Schiffstechniker lieben es reinlich. Im Maschinenraum eines Schiffes, egal ob großer Ozeanriese oder kleiner Rettungskreuzer an der Nord- oder Ostsee, ist es normalerweise äußerst sauber, Ölflecken oder anderen Dreck sucht man vergebens. Kein Wunder also, dass sich Frank Hermansen an diesem Donnerstagvormittag bei den Besuchern an Bord der MS Roald Amundsen für seinen Maschinenraum zunächst einmal entschuldigt. "Es ist nicht so sauber, wie es eigentlich sein sollte", sagt der Techniker , "aber wir absolvieren derzeit noch einige Tests." Wobei: Beim Blick auf die vier Dieselaggregate mit jeweils fast 4900 PS entdeckt zumindest ein schiffstechnischer Laie auch keine größeren Verschmutzungen. Nur im Leitstand, von wo aus Hermansen und seine Leute die Maschinen nebenan steuern, wird deutlich, dass dieses Schiff hier noch nicht fertig ist: Die Monitore und Schalteinrichtungen sind noch mit wuchtigen Holzdielen ummantelt, um sie vor Beschädigungen zu schützen.
Denn noch wird an Bord der MS Roald Amundsen intensiv gewerkelt. Eine Spezialfirma ist gerade dabei, die letzten der insgesamt 265 Kabinen mit Betten, Einbauschränken und Duschkabinen zu bestücken. In den insgesamt drei Restaurants ist zwar schon zu erkennen, wo sich künftig die Köche beim Frontcooking austoben werden, aber von der geplanten Inneneinrichtung aus nordischen Hölzern und norwegischen Granitplatten sowie einem künstlichen Kaminfeuer, um das sich die Passagiere scharen werden können, ist noch nichts zu sehen. Und auf die Brücke, seinen künftigen Arbeitsplatz, sagt Kapitän Kai Albrigtsen, könne er die Besucher leider auch noch nicht führen. "Dort ist noch überhaupt nichts zu sehen."
Viel Zeit bleibt den Arbeitern auf der Kleven-Werft in Ulsteinvik in Norwegen aber nicht mehr. Im ersten Quartal 2019 will die Reederei Hurtigruten ihr neues Flaggschiff losschicken, spätestens im vierten Quartal 2019 soll das ähnlich dimensionierte Schwesterschiff MS Fridtjof Nansen in See stechen. Beide Schiffe, das sagt Hurtigruten-Chef Daniel Skjeldam nicht ohne Stolz, werde vor allem eines auszeichnen: ihr Hybrid-Antrieb, der sich tief im Bauch der Schiffe befindet. Mit dem, so Skjeldam, werde man einen neuen Standard bei Expeditionskreuzfahrtschiffen setzen. "Wir werden die Branche verändern."
Und das ist nicht nur aus Skjeldams Sicht dringend nötig. Die boomende Branche stößt Unmengen an Schadstoffen in die Luft. Nach Angaben des Naturschutzbund Deutschland (Nabu) aus dem Jahr 2012 pustet ein Kreuzfahrtschiff täglich im Schnitt mehr als 476 Tonnen CO₂ in die Atmosphäre, das entspreche dem Ausstoß von 83 700 Autos. Auch Schwefeldioxid, Stickoxide und Feinstaub belasten die Umwelt. Naturschützer fordern für manche Küstenorte Einfahrverbote für schmutzige Kreuzfahrtschiffe. Deshalb suchen zumindest einige Reedereien nach Lösungen, wie der Schiffsverkehr sauberer werden kann. Eine Möglichkeit sind Flüssiggas-Antriebe wie auf der Aida Nova; auch der Konkurrent P&O Cruises will auf diese Technik setzen. Frachter könnten mittels Flettner-Rotoren, die ähnlich wie ein Segel wirken, den Wind als zusätzliche Antriebsquelle zum Verbrenner nutzen.
Hurtigruten-Chef Skjeldam hat angekündigt, in Zukunft auch Reste aus der fischverarbeitenden Industrie und andere organische Abfälle zu Biogas zu verarbeiten und damit seine Schiffe anzutreiben. Zuvor allerdings müssten noch entsprechende Tank- und Lagervorrichtungen gebaut werden. In Skandinavien sind zudem Fähren mit Elektromotoren im Einsatz - an den Anlegestellen zapfen sie beispielsweise mit einem überdimensionierten Stecker oder einem ausfahrbaren Pantografen (kennt man von Straßenbahnen und Lokomotiven) Strom für die Batterien.
Das Schiff soll in der Antarktis und in Alaska unterwegs sein, in einer sensiblen Natur
Für die langen Strecken, die die Expeditionsschiffe von Hurtigruten zum Beispiel zu Zielen in die Antarktis zurücklegen, reichten die Batteriekapazitäten (noch) nicht aus, sagt Skjeldam. Deshalb setzt er auf den Hybrid-Antrieb, den Mix aus Diesel und Elektrizität. Der funktioniert, laienhaft ausgedrückt, so: Die vier Dieselgeneratoren laufen möglichst durchgehend bei optimaler Drehzahl und damit optimalem Wirkungsgrad. Wird der Strom gerade nicht für die elektrisch betriebenen Schiffspropeller benötigt, werden die Batterien gespeist; bei Lastspitzen, etwa bei Manövern im Hafen, geben die Akkus die Energie wieder ab. Dadurch sinke der Gesamtverbrauch an Treibstoff im Schnitt um etwa 20 Prozent, sagt Skjeldam. Und damit auch der Schadstoffausstoß. 3000 Tonnen CO₂ würden so pro Jahr und Schiff gespart. An besonders sensiblen Stellen könne das Schiff bis zu 30 Minuten lang komplett emissionsfrei unterwegs sein.
Und an sensiblen Stellen wird das Schiff oft sein. Denn Kapitän Albrigtsen wird die MS Roald Amundsen weniger auf den alten Postschiffslinien entlang der norwegischen Küste steuern, sondern mit ihr vor allem Expeditionsreisen nach Alaska oder in die Antarktis unternehmen. Mit Schlauchbooten oder Kanus können die Reisenden dann zu Ausflügen ins Eis starten und versuchen, Walen, Robben, Eisbären und Pinguinen möglichst nahe zu kommen. Umso wichtiger sei es, in dieser sensiblen Natur möglichst umweltfreundlich unterwegs zu sein, sagt Daniel Skjeldam: "Wir sind dort nur Gäste und müssen uns entsprechend verhalten."
Auf Komfort müssen die Passagiere an Bord der Hurtigruten-Schiffe dennoch nicht verzichten. Es gibt eine Panoramalounge, ebenso eine Bar, einen Sportraum, Sauna und Pooldeck. Wenn die Passagiere das Schiff betreten, werden sie von einer riesigen LED-Leinwand empfangen, die sich über mehrere Decks zieht, Bilder von knuffigen Robbenbabys oder imposanten Eisbergen sollen auf die Reise einstimmen. Und wer es sich leisten kann, der bucht eine aufpreispflichtige Suite mit eigenem Jacuzzi auf dem Balkon, von dem aus sich die Eislandschaft betrachten lässt. Inwieweit das dann mit Nachhaltigkeit in Verbindung zu bringen ist, kann jeder selbst entscheiden.