"Wir sind eine Kleinstadt", sagt Frank Martensen. Mit gut 5000 Einwohnern ist seine Gemeinde größer als die meisten in seiner norwegischen Heimat. Martensen ist seit Februar 2008 Kapitän auf der Voyager of the Seas, einem schwimmenden Luxushotel samt Bäckerei und Eisbahn.
Vor und hinter den Kulissen kümmern sich Tausende Hände darum, dass alles funktioniert. "Wir haben hier Angestellte aus 60 Ländern der Erde", sagt Martensen. "Jede Kultur, jede Religion, jede auch nur etwas größere Sprache ist hier vertreten." Der Job ist hart, das Gehaltsgefälle enorm. Und doch sind die Stellen an Bord überaus beliebt.
Der Koch Martin Jordan hat seine niederösterreichische Heimat aus ganz pragmatischen Gründen mit einer der engen Mannschaftskabinen getauscht: "Ich war erst in Berlin und dann in Irland und wollte endlich mal wieder Sonne sehen", sagt er. So schippert er jetzt den Sommer über durchs Mittelmeer und im Winter durch die Karibik. Die Familie habe sich damit arrangiert.
Der 35-Jährige ist als Sous-Chef für fast 10.000 Mahlzeiten am Tag verantwortlich. "Die Amerikaner mögen große Portionen mit viel Fleisch. Bei den Deutschen muss Gemüse dabei sein. Die Spanier nehmen immer nur ganz wenig, gehen dafür aber ein halbes Dutzend Mal zum Buffet. Bei denen dauert Essen ewig", beschreibt Jordan die unterschiedlichen Anforderungen. Dennoch gibt es manchmal Überraschungen.
"Einmal wurde ganz wenig gegessen und wir haben uns gefragt, was wir falsch gemacht haben." Die Lösung war einfach: "Das war ein Tag mit richtig Seegang." Bei der Arbeit und nach Monaten der Gewöhnung habe sein Team davon nichts mitbekommen. "Aber die Passagiere hatten andere Sorgen als zu essen."
Der Tipp des Österreichers gegen Seekrankheit: "Grüne Äpfel essen! Ich weiß nicht, warum - aber es hilft." Dass genügend grüne Äpfel, Wasser und Wein, Eier und Fleisch oder Seife und Büroklammern an Bord sind, ist die Aufgabe von Simon Wiig. Der Versorgungsoffizier vertraut in den Häfen auf seine Lieferanten - die beiden wichtigsten sind Deutsche -, von denen er palettenweise Lebensmittel für zwei Wochen Transatlantik an Bord nimmt: Unter anderem 16 Tonnen Rindfleisch und fast ebenso viel Hähnchenfleisch, drei Tonnen Hummer, zehn Tonnen Muscheln und Austern, drei Tonnen Lachs.
Hinzu kommen gut 22 Tonnen Mehl, vier Tonnen Zucker und 1300 Kilogramm Kaffee. Dann noch 40 Tonnen Früchte, 60 Tonnen Gemüse - die 16 Tonnen Kartoffeln nicht inklusive, 2600 Liter Eiscreme, 9000 Liter Milch, gut fünf Tonnen Käse und 4200 Becher Joghurt. Auch 150.000 Eier kommen mit.
Vor den Dutzenden Türen zu den Kühlräumen stapeln sich Kisten und Kartons mit allem, was eine Kleinstadt sonst noch braucht: "Zahnpasta und Shampoo, Druckerpatronen und -papier, Buntstifte für die Kinderbetreuung und Golfbälle für den Minigolfplatz", sagt Wiig. Toilettenpapier? "31.988 Rollen!" Auch die Nationalität spielt bei den Berechnungen eine Rolle: "Bei Spaniern brauchen wir mehr Wein, bei Amerikanern mehr Cola, bei Deutschen mehr Bier und Brezeln", erzählt Wiig. Notfalls gehe er mit einem dicken Dollarbündel auf den Markt des nächsten Hafens.
Der Engländer öffnet die Tür zu einem Extraraum, der ein begehbarer Kleiderschrank von der Größe einer Fünf-Zimmer-Wohnung ist. "Hier sind die Uniformen für die 2000 Besatzungsmitglieder: Die Gala-Uniform für den Kapitän, die Schürze für das Zimmermädchen, das Uniformhemd für den Nautiker, die Kombis für die Maschinisten und die Anzüge für die Kellner." Ordentlich in einem Setzkasten liegen die Schulterklappen für die Offiziere. Am häufigsten sind jene mit vier Streifen.
"Naja", erklärt Wiig, "wir haben zwar nur einen Kapitän, aber der hat die meisten Uniformen". Denn der Kapitän ist nicht nur Kapitän, sondern auch das beliebteste Fotomotiv auf dem 142.000-Tonner. "Ja, für manche ist das eine große Sache, am Kapitänstisch zu sitzen", sagt Martensen schulterzuckend. "Ich kann es ja auch genießen, eine kleine Berühmtheit zu sein. Denn im Gegensatz zu richtigen Prominenten, muss ich nur von Bord gehen und bin komplett privat."
Der Norweger ist in einem kleinen Fischerdorf aufgewachsen, seine ganze Familie fuhr zur See. "Ich wollte immer Seemann werden, am liebsten Kapitän wie mein Vater." An Kreuzfahrtschiffe hat er nie gedacht. "Fracht ist unkomplizierter als Passagiere."
Doch mit 36 Jahren wurde er dann schließlich der jüngste Kapitän seiner Reederei. Sieben Jahre später freut er sich über seinen Job, "weil niemand solch ein Büro hat wie ich". In den Etagen darunter arbeiten die Leute von Esther Nagel. Die Bremerin ist Chefin der 85 Zimmermädchen an Bord. Jede ist für 20 Kabinen zuständig. "Zweimal am Tag, vormittags und abends, räumen die Damen und Herren die Zimmer auf, putzen die Badezimmer und kümmern sich auch ansonsten um alles in den Kabinen", erläutert Nagel.
Etwa 15 Minuten sind pro Kabine vorgesehen. "Das ist normalerweise gut zu schaffen. Normalerweise", sagt sie mit einem etwas gequälten Blick. "Wir erleben auch Überraschungen. Gerade zum Spring Break." Während der amerikanischen Frühjahrsferien machen viele Jugendliche eine Kurzkreuzfahrt und lassen es richtig krachen. "Manche Kabine ist dann..., na sagen wir: eine Herausforderung."
Auch die Wäscherei muss ran, für die ebenfalls Nagel verantwortlich ist. "Wir waschen und bügeln, nicht nur für die Passagiere, natürlich auch für die Besatzung." Von der Socke des Kapitäns bis zum Smoking des Suite-Reisenden, von der öligen Kombi des Maschinisten bis zum Lätzchen des jüngsten Passagiers geht alles durch die Wäscherei. "Etwa 15.000 Stücke, jeden Tag."
Im Dampf der Waschmaschinen und Bügelautomaten werkeln 25 Frauen und Männer. Bei alledem ist das Grundgehalt fast nur symbolisch zu nennen. Auch die Zimmermädchen leben vom Trinkgeld. Doch die Voyager mit ihren 14 Stockwerken ist ein amerikanisches Schiff - da passen die deutschen Trinkgeldgewohnheiten zuweilen nicht. Die Reederei empfiehlt Passagieren, sich doch gleich zehn Dollar pro Tag von der Kreditkarte abziehen zu lassen, das werde dann an Zimmermädchen und Kellner verteilt.
Bei einer zweiwöchigen Fahrt kommt ein Paar - bei Kabinenpreisen zwischen 800 und mehreren tausend Euro - so auf rund 200 Euro. Viele Amerikaner zahlen das klaglos, die Deutschen bleiben oft darunter. "Sicher nicht aus Geiz", sagt eine Angestellte, "das sind einfach unterschiedliche Trinkgeldkulturen". "Ein guter Kellner macht seine 4000 Dollar im Monat", schätzt Kapitän Martensen. "Steuerfrei!"
Dass zwischen seinen Offizieren auf der Brücke und den Zimmermädchen ein enormes Gehaltsgefälle ist, findet er "nicht unproblematisch". Aber: "So ist es in jeder Kleinstadt. Auch bei uns." Der Heimathafen der Voyager liegt auf den Bahamas.
Chefingenieur Eugenio Androne trägt eine schneeweiße Kombi und sieht weder verdreckt noch verschwitzt aus. "Es hat sich viel getan in den letzten Jahrzehnten. Unsere Arbeit sieht jetzt so aus." Der Italiener weist auf das halbe Dutzend Bildschirme, vor denen sein kroatischer Mitarbeiter sitzt. Kameras zeigen die einzelnen Aggregate, ihre Messwerte stehen auf dem Bildschirm daneben. "Nein, wir kriechen nicht mehr mit dem Schlüssel durch die Maschine, das meiste ist Kontrolle - das aber 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche."
Gut 50 Leute arbeiten in seinem Bereich. "Die Brücke mag das Gehirn des Schiffs sein, das hier ist aber sein Herz." Kurze Pause. "Wobei in einem gesunden Körper Herz und Hirn natürlich zusammenarbeiten." Laut ist es im eigentlichen Maschinenraum dennoch. Androne grüßt seine Mitarbeiter meist nur per Handzeichen oder Schulterklopfen. Ein kurzes Nicken als Antwort bedeutet, dass alles klar sei.
Es ist warm, aber nicht heiß zwischen den Maschinen. Und sauber. Lediglich eine 50 Zentimeter dicke Welle glänzt von Öl. Die Schraube? Androne lächelt. "Das? Ach, das ist doch nur der Generator." Die Voyager produziert den Strom für Licht, Hotel und vor allem Kühlung selbst. Tausende Menschen auf engem Raum, die fast rund um die Uhr arbeiten, unterschiedliche Sprachen sprechen, aus verschiedenen Kulturen stammen, unteschiedliche Götter anbeten - ist da Krach in der Kleinstadt nicht vorprogrammiert?
"Bisher ist alles gut gegangen", sagt der Kapitän und klopft auf das Holz seiner Brücke. "Es sind ja nicht die Aggressiven, Bornierten, die sich auf einem Kreuzfahrtschiff bewerben. Wer sich hier meldet, ist weltoffen. Wir sind eine kleine UN auf See." Allerdings mit klareren Regeln: "Ich bin Kapitän, nicht gewähltes Oberhaupt", stellt Martensen klar. "Notfalls muss ich mich durchsetzen."
Autorität hat Martensen durchaus. Vor ein paar Jahren wurde sie getestet. Auslöser waren Katarina Witt und die internationale Angewohnheit von Männern, sich Bilder in ihre Spindtür zu kleben. Die deutsche Eiskunstläuferin war Taufpatin der Voyager of the Seas, das erste Schiff mit einer Eisbahn an Bord. Wenig später erschien sie im Playboy - hüllenlos. "Die Taufpatin nackt in Dutzenden Schränken an Bord", sagt ein Offizier, "der Kapitän war nicht glücklich".