Kreuzfahrt:Das Schiff ist das Ziel

Wie ist die Reise auf der riesigen "Norwegian Escape", bei der die Karibik zu einer wirklich schönen Nebensache wird? Eine Probefahrt.

Reportage von Ingrid Brunner

Warum schwitzt man auf einer Karibik-Kreuzfahrt in der Sauna und lässt sich anschließend in einem Schneeraum beschneien? Warum fährt ein erwachsener Mensch auf einer Riesenwasserrutsche, deren quietschbuntes Röhrensystem auf Deck 19 über die Bordwand auskragt? Und warum klettern Leute, die nicht schwindelfrei sind, in einem Hochseilgarten und balancieren dann 53 Meter über dem Meer auf einer Planke - wie Captain Jack Sparrow, nur freiwillig? Ganz einfach: Weil man kann!

Die Kreuzfahrt auf der Norwegian Escape, seit 23. Oktober vergangenen Jahres jüngstes Mitglied in der nunmehr 14 Schiffe umfassenden Familie der Reederei Norwegian Cruise Line (NCL), hat noch viel mehr derlei Amüsement zu bieten - so viel, dass das Bord-Entertainment ernsthaft in Konkurrenz tritt zum Fahrtgebiet. Der Spaß beginnt noch vor dem Ablegen im Hafen von Miami. Es geht auf eine Kreuzfahrt in die östliche Karibik. Die Britischen und die Amerikanischen Jungferninseln sowie die Bahamas sollen angesteuert werden. Traumziele eigentlich. Doch was tun die Passagiere? Stehen sie ergriffen mit einem Sektglas an der Reling und harren beim Sailaway fremder Gestade? Nein, sie tanzen, schwimmen, rutschen, klettern bereits - und wo immer möglich, halten sie dabei einen Drink fest.

Freestyle Cruising heißt, man kann täglich zwischen 28 Restaurants und 21 Bars wählen

Doch der verschreckte Kreuzfahrer alter Schule sollte sich nun auf keinen Fall in seiner Kabine verstecken und seinen Kulturschock schleunigst verdauen. Denn auch wenn die Bespaßung sehr dem amerikanischen Geschmack entspricht, gibt es auf der Escape viel zu entdecken und auszuprobieren - darunter sind Angebote für beinahe jeden Geschmack und Charakter.

Hoteldirektor Jovo Sekulovic nennt es "freedom of choice". Wahlfreiheit ist das Konzept, mit dem NCL, so Sekulovic, als erste Kreuzfahrtgesellschaft eine Nische in der Branche entdeckt und besetzt hat. Seit 2013 ist der Serbe bei NCL. "Stellen Sie sich vor: Wir haben 28 Dining Options an Bord. Jeder kann essen, wann und wo er will." Er meint damit die verschiedenen Restaurants an Bord: Der Gast kann sich während der Kreuzfahrt durch die Küchen der Welt essen - oder es zumindest versuchen. Alles auszuprobieren, ist in einer Woche schier unmöglich. Ob Japanisch oder Kubanisch, ob Französisch oder Italienisch, ob Tapas bei Pincho oder Barfood im irischen Pub O'Sheehan's, das 24 Stunden geöffnet ist: Die Auswahl ist beeindruckend, die Einrichtung der Restaurants geschmackvoll und die Qualität der Speisen mehr als überzeugend. "Als ich das erste Mal davon gehört habe, dachte ich, das kann niemals funktionieren, aber es klappt!" Jovo ist immer noch begeistert von dieser Idee der Flexibilität - der man den Namen Freestyle Cruising gegeben hat und die nicht beim Essen endet.

"Traumschiff"-Fans, bitte jetzt nicht weiterlesen, denn auf der Escape hat man allerhand vermeintlich alte Kreuzfahrt-Zöpfe abgeschnitten: Dresscode, Captain's Dinner, Einmarsch mit Wunderkerzen, entrückte Wesen in weißer Uniform, erstarrte Rituale, Schwarz-Weiß-Ball, all das gibt es nicht an Bord der Escape. "Wir pflegen eine neue Kultur der Offenheit, wir wollen den Kontakt mit den Passagieren", erklärt der Hoteldirektor. Die höheren Ränge, sogar der stets fröhliche, erst jüngst auf die Brücke der Escape gekommene Kapitän Giovanni Cutugno, alle zeigen sich, wenn es ihr Dienst erlaubt, auf Deck sechs im Atrium, dem zentralen Treffpunkt, plaudern mit den Passagieren, beantworten deren Fragen. Das Atrium ist Rezeption, Verwaltung, Reisebüro, Bar, Espressobar, Internetcafé und Loungezone mit Bühne für Livemusik, Bingo und Gesellschaftsspiele in einem.

Kreuzfahrtdirektor Silas Cook sorgt fürs Entertainment - er ist überall dabei: beim Karaoke, beim Wettbewerb um die schönsten Männerbeine, als Conférencier für die Livemusik-Auftritte in den 21 Bars. Man fragt sich, wann der Mann schläft. Er ist die gute Laune in Person, hat Erfahrung im Showbiz gesammelt. Ergänzend zu Jovos Idee vom "schwimmenden Resort" hat Cruise Director Silas die Vision von einem "Las Vegas auf See" umgesetzt. Der klassischen Unterhaltung setzt er Shows, Musical und Comedy entgegen - original lizensiert vom Broadway und aus Vegas, und hoch professionell auf die Bühne gebracht. Im Supperclub läuft die Dinnershow "The Brat Pack" - Menü plus Entertainment in tiefrotem Plüsch-Ambiente. "After Midnight", ein aktueller Broadway-Erfolg, bringt den berühmten Cotton Club vom Harlem der Zwanzigerjahre auf die Bühne; eine Hommage an das goldene Zeitalter des Jazz. In "The Million Dollar Quartet" ist die legendäre Jamsession von Elvis Presley, Carl Perkins, Jerry Lee Lewis und Johnny Cash im Sun-Studio zu einem fulminanten Singspiel verdichtet.

Informationen

Die beschriebene Reise, sieben Nächte östliche Karibik, kostet ab/bis Miami, USA, ab 855 Euro pro Person in der Innenkabine bei Doppelbelegung (zzgl. Flug). Routenverlauf: Miami, USA; St. Thomas, Amerikanische Jungferninseln; Road Town, Tortola, Britische Jungferninseln; Nassau, Bahamas; Miami, USA (www.ncl.de).

Viele Shows und Restaurants sind im jüngst kreierten Premium-all-inclusive-Paket enthalten. Auch alkoholische Getränke, die weniger als 15 Dollar kosten. Ausgerechnet bei Softdrinks muss man aufpassen: Während stilles Wasser, Limonaden und Säfte inklusive sind, kosten frisch gepresste Säfte und Sprudelwasser extra. Die tägliche Bordzeitung Freestyle Daily hilft beim Durchblick: Sie listet auf, was frei und was kostenpflichtig und was sonst noch so los ist. Und das Bordfernsehen hält auf der Kabine für jeden Passagier eine stets aktuelle Liste seiner Ausgaben parat - minutiös bis hin zu den verbrauchten Minuten des Internetpakets. Hier hat moderne Technik für eine erfreuliche Transparenz bei den Nebenkosten gesorgt.

Touchscreens auf allen Fluren informieren, in welchen Shows, in welchen Restaurants noch Plätze frei sind. Aber niemand muss online selbst reservieren. Die Crew ist umwerfend freundlich und hilfsbereit - in den Restaurants, an der Rezeption, im Spa oder im Fitnessstudio. Alles läuft wie am Schnürchen - keine Kleinigkeit bei einem Schiff mit 4268 Passagieren und 1730 Crew-Mitgliedern. Eine schwimmende Kleinstadt mit einer hoch spezialisierten Logistik, in der letztlich die Massen so gut verteilt sind, dass man sie nur bei den Landausflügen geballt zu sehen und zu spüren bekommt.

Und was ist mit der Karibik?

Die Hälfte der Passagiere sind Wiederholer - viele waren schon mehr als einmal an Bord eines NCL-Schiffes. Niemand hat hier ein Problem mit großen Schiffen. "Great ship, captain", sagt Helmar Wolf beim Captain's Cocktail anerkennend zu Giovanni Cutugno. Wolf, ein Österreicher aus Imst, der in New Hampshire mit einer Restaurant-Gruppe viel Geld verdient hat, geht nur auf große Schiffe. Er ist mit Frau und Enkel an Bord. Für Kinder gibt es Betreuungsangebote in drei Altersstufen, von 0 bis 17 Jahre - so können auch die Eltern ungestört spielen. Oder die noch Älteren: Maria aus Connecticut kommt seit Jahren nur um zu spielen an Bord. "Das Kasino ist das Einzige, womit ich meinen Mann zu einer Reise bewegen kann", sagt die betagte Lady. Sie hat gerade eine Pechsträhne - aber das könne ja nicht ewig so bleiben, meint sie und schiebt ihren Rollator entschlossen zum nächsten Spielautomaten.

Kreuzfahrt: SZ-Karte

SZ-Karte

Und was ist mit der Karibik? Man sollte es sich auf keinen Fall entgehen lassen, in dieser türkisblauen Badewanne zu schwimmen, etwa am Honeymoon Beach in St. John, nach einem kleinen Spaziergang durch den Nationalpark. Oder auf Virgin Gorda in The Bath zwischen den gigantischen Felsbrocken am Strand entlangzuwaten, die Höhlenlandschaft der Devil's Cave zu erkunden, zu schnorcheln oder einfach am Strand den Pelikanen zuzuschauen. Am Ende sind das doch die Eindrücke, die am längsten in Erinnerung bleiben.

Es gibt auch beschauliche Ecken, zum Beispiel beim Sundowner im Loungesessel an der Waterfront

"Wenn Sie glauben, hier ist viel los, dann sollten Sie mal sehen, was hier in ein paar Wochen während des Spring Break abgeht. Dann ist das Schiff voller Studenten!", sagt Hoteldirektor Jovo amüsiert. Nun, selbst für diesen Ernstfall gibt es ein paar Orte der Ruhe auf der Escape. Immerhin heißt das Schiff "Flucht" oder "Entkommen". Der geballten Fröhlichkeit entkommt man zum Beispiel auf dem eigenen Balkon. Dort lässt man gemütlich die herrlichen Buchten, die vielen verwunschenen Inseln der Britischen und der Amerikanischen Jungerferninseln vorbeiziehen. Man kann sich zurückträumen in die Zeit, als diese Gewässer Piratengebiete waren. Auch auf dem Außendeck auf Deck sieben ist es ruhig. Außer dem Meeresrauschen ist dort nur das Klicken der Klötze der Shuffleboardspieler zu hören. Und an der Waterfront auf Deck acht sitzt man in Loungesesseln, mit einem Sundowner oder einem Eis aus der Gelateria. Man sieht der Sonne beim Untergehen zu - der Himmel voller Pink- und Lilatöne. Wem das alles nicht still genug ist, der kann sich für 99 Dollar Aufpreis hinter die Absperrung des Vibe Beach Clubs auf Deck 19 zurückziehen.

Aber einmal auf die Planke sollte man trotzdem gehen. Macht echt Spaß!

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