Krämerbrücke in Thüringens Hauptstadt:Aus Afrika auf die Brücke

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Der ältere Herr empfängt seine Gäste freundlich auf dem Treppenabsatz seiner Wohnung. Drinnen muss man auf seine Füße achten. Es gibt sechs verschiedene Höhenniveaus in einem Raum, Schwellen und Erhebungen, die entstanden, weil das Haus über Jahrhunderte immer wieder umgebaut wurde. Zimpel bewegt sich mit der Sicherheit einer Katze über diese Verwerfungen. "Man spürt es auch ganz leicht", sagt er, "dass immer mal eine Bewegung da ist. Das verkraftet das Haus."

Krämerbrücke Erfurt

Wer auf der Brücke steht, bekommt davon nichts mit - der Fluss Gera verschwindet hinter den Häuserreihen links und rechts.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Egon Zimpel ist Maler und Mitbegründer einer Bürgerinitiative, die sich Anfang der 1990er Jahre gegen die Vergabe der Häuser an Kettenläden engagierte. An den Wänden hängen Radierungen von Felszeichnungen, schnörkellos klare, strukturierte Darstellungen von Tieren und geometrischen Mustern. "Nach der Wende, als alle erst mal aus dem Osten Richtung Westen gingen, wollte ich lieber in die Wüste."

Den Felszeichnungen in der Sahara galt sein großes Interesse. Er hat sogar einen Film gedreht über seine Afrikareise. Dann aber zog es ihn wieder auf die Brücke zurück. In der marktwirtschaftlichen Wüste der ehemaligen DDR waren derweil Investorengruppen auf der Suche nach profitablen Anlagen. Auch die berühmte Brücke geriet in ihr Visier.

Schon in den 1970er Jahren hatten die Erfurter Behörden eine Art Gentrifikation betrieben: Die Brücke und ihre Bewohner waren ziemlich verwahrlost - "Blechbüchsenviertel", sagt Zimpel, nannte man das damals. Dann der vorsichtige Wandel. Im Sozialismus wie im Kapitalismus verfolgte man die Idee, Künstler mit preiswertem Wohn- und Arbeitsraum in heruntergekommene Stadtteile zu locken, damit sie sie kreativ gestalten. Auch in Erfurt hat das funktioniert.

Die Brücke war zwar angegriffen, aber intakt. Investorengruppen "mit großen Mobiltelefonen" reisten an, erinnert sich Zimpel. Ihm war klar: "Diese Brücke zu privatisieren, das wäre ihr Ende."

Zimpels Bürgerinitiative setzte sich durch. 1996 wurde von der Stadt Erfurt die Stiftung Krämerbrücke gegründet. 29 der 32 Häuser werden heute von ihr verwaltet, nur drei sind in privaten Händen. Der Stiftungsrat, in dem auch die Mieter vertreten sind, regelt den Zuzug auf die Brücke: Kunst, Kunstgewerbe und Delikatessen sind die Stützpfeiler des Fachwerkensembles. "Die Krämerbrücke ist so alt. Und ein alter Körper muss ständig zum Arzt, da ist ständig etwas zu machen", sagt Zimpel.

Auf alten Fotos sieht man, dass die Krämerbrücke einmal eine ganz normale Geschäftsstraße war: Ein Karl Stremberg bot 1891 Bad-, Gas-, Wasser- und Klosett-Anlagen an. Weiter hinten verkündet Ida Fritsche per Schild, dass sie alle Sorten roher Felle einkaufe. Manches ist auch gleich geblieben.

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