Süddeutsche Zeitung

Kommentar:Vergessene Hauptstädte

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Geradezu inflationär vergeben EU und Unesco die Kulturhauptstadt-Würden und Welterbe-Titel. Können solche Prädikate noch etwas wert sein?

Von Stefan Fischer

Umeå. Paphos. Mons. Pécs. Irgendeine Erinnerung? Alle diese Städte waren in diesem Jahrzehnt einmal Kulturhauptstadt Europas. In drei Jahren wiederum wird die griechische Stadt Eleusis diesen Titel führen. Weil Griechenland dann erneut an der Reihe ist und aber Athen, Thessaloniki und Patras bei früherer Gelegenheit schon dran waren. Seit 1999 vergibt die EU den Titel meist doppelt und teilweise sogar dreifach im Jahr, manche Länder wählen bald zum vierten Mal einen Ausrichter. Irgendwann werden den kleineren Staaten die Städte ausgehen. Schon heute kennt man die Kulturhauptstädte oft nicht einmal dem Namen nach.

Noch inflationärer als die EU ihre Kulturhauptstadt-Würden verleiht die Unesco ihre Welterbe-Titel. Die Liste, vor 40 Jahren begonnen, umfasst inzwischen knapp 1100 Stätten. Kann so ein Prädikat noch etwas wert sein? Kann eine Stadt profitieren von der Ausrufung als Kulturhauptstadt, wenn die Menschen aus dem Ausland nichts mit ihr verbinden und ihnen oft nicht einmal ihre Existenz bekannt ist?

Die Antwort lautet eindeutig: Ja! Die Erfahrung zeigt bis heute: Wird ein Ort als Welterbe ausgezeichnet, steigen die Besucherzahlen. Es ist nicht so, dass dieser Ort im globalen Wettbewerb um Touristen in Konkurrenz zu 1100 anderen Stätten unterzugehen droht. Sondern er tritt durch die Auszeichnung überhaupt erst ernsthaft in diesen Wettbewerb ein. Die Reisen der meisten Urlauber werden stetig kürzer, da bleibt nur Zeit für die allerwichtigsten Sehenswürdigkeiten. Da hilft ein Label: zu den schönsten Dörfern Frankreichs zu zählen, eine "Alpine Pearl" zu sein oder, die Krönung, auf der Welterbeliste zu stehen. Nur zwei Stätten war dieser Titel so unwichtig, dass sie eine Streichung von der Liste nicht verhindert haben, ein Antilopen-Schutzgebiet in Oman und - Dresden.

Ob eine Kulturhauptstadt etwas aus ihrer Chance macht, ist eine andere Sache. In Tallinn etwa hat der Titel als stadtplanerischer Katalysator gewirkt. Und die Städte müssen sich eben auch zeigen: Es schadet nicht, dass Valletta mit all seinen merkwürdigen Umtrieben auch durch das Kulturhauptstadtjahr im Rampenlicht steht. Ganz grundsätzlich ist dieser Titel ein Hinweis, dass es mehr auf der Welt zu sehen gibt als immer nur Barcelona oder Berlin.

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Quelle:
SZ vom 30.05.2018
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