Kommentar:In letzter Minute

Weniger reisen zu können, ist ein Luxusproblem. Verglichen mit Schulsperrungen und drohender Isolierung.

Von Jochen Temsch

150-jähriges Jubiläum Baubeginn Schloss Neuschwanstein

Als die Urlaubs-Welt noch in Ordnung war: Touristen im letzten Sommer auf Schloss Neuschwanstein.

(Foto: dpa)

Die Angst vor dem Coronavirus erstickt die Reiseslust. Einreiseverbote, Quarantäne, Italien, eines der wichtigsten Urlaubsländer der Deutschen, eine Sperrzone - Szenen wie aus einer dystopischen Science-Fiction passen nicht zum schönen Schein der Freizeitbranche. Eine aktuelle Umfrage des Deutschen Reiseverbandes (DRV) in dieser Woche hat ergeben, dass hierzulande schon jetzt 700 Reiseveranstalter und Reisebüros erhebliche Umsatzeinbußen von bis zu 75 Prozent verzeichnen. Gar nicht erst zu sprechen von den Hoteliers in Italien, auf die es Stornierungen hagelt. Menschenansammlungen zu meiden und auf Reisen zu verzichten, reduziert das Krankheitsrisiko. Weil der Corona-Spuk so schnell nicht vorüber sein dürfte, sind viele Urlauber verunsichert, nicht nur, was ihre Osterferien angeht, die viele schon abgeschrieben haben, sondern auch, was ihren Haupturlaub im Sommer betrifft.

Wenn die Tourismusforscher recht haben, wirkt sich hier weniger die Angst vor einer Ansteckung als die gesellschaftliche Wahrnehmung der Reaktionen auf das Virus aus. Natürlich. Das Wichtigste für jeden Urlauber ist die Aussicht auf ein paar unbeschwerte Tage. Die gibt es aber nicht, wenn man bei jedem Nieser zusammenzucken muss oder angesichts von Straßensperren, Temperaturscreenings und drohender Isolierung. Was also tun: umbuchen, absagen, abwarten?

Es ist ein Luxusproblem, verglichen mit geschlossenen Schulen, Veranstaltungsverboten oder Kontaktsperren zwischen Enkeln und besonders gefährdeten Großeltern und was in naher Zukunft sonst noch an Szenarien denkbar ist, die das Leben beeinträchtigen. Und es ist eines, für das die Reiseunternehmen selbst Lösungen anbieten. Viele Veranstalter, Reedereien und Airlines räumen jetzt flexible Stornierungs- oder Umbuchungsbedingungen ein, Hoteliers zeigen Kulanz. Pauschalreisen, bei denen die Kunden mehr Rechte und Sicherheiten haben, erweisen sich auch in dieser Krise von Vorteil gegenüber Einzelbuchungen, bei denen Reisende womöglich auf Kosten sitzen bleiben und das Risiko, nicht mehr befördert zu werden, allein tragen. Und wer bereits einen Urlaub organisiert hat, sollte jetzt die Stornoregeln in der Buchungsbestätigung lesen: Bis zu drei Monate vor Antritt der Reise fallen meist keine Gebühren an, danach werden sie prozentual gestaffelt, je später man absagt, desto mehr bezahlt man dafür. Im schlimmsten Fall ist die Anzahlung weg - aber andererseits gut angelegt bei Gastgebern, die das Geld dringend brauchen.

Last Minute, das könnte dieses Jahr die beste Strategie zur Urlaubsplanung sein, die Entscheidung für eine Reise in letzter Minute. Dabei besteht das Risiko, dass man nichts Passendes mehr findet. Aber andererseits kann die Spontanität auch dazu führen, dass man sich mal wieder ohne große Vorbereitung und Abwägung auf etwas Überraschendes, Unbekanntes einlässt. Und so das Glück genießt, überhaupt wieder unterwegs sein zu können.

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