Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Schön doof":Warum bei Airbnb alles wunderbar ist

Lesezeit: 2 min

Während auf Facebook gepöbelt wird, loben die Gäste des Zimmervermittlers Airbnb jede Bruchbude bis zur Blödheit. Aus Angst.

Von Jan Stremmel

Alle jammern über Facebook-Hass und "Dislike"-Button - dabei wäre woanders im Netz ein bisschen schlechte Laune dringend nötig, findet Jan Stremmel: Auf Airbnb wird jede Bruchbude bis zur Blödheit gelobt.

Wer im Jahr 2015 seine Wohnung hässlich findet, hat genau drei Möglichkeiten: ausziehen. Mal wieder aufräumen und Blumen kaufen. Oder ein Inserat auf Airbnb schalten. Letzteres ist eindeutig die beste Lösung, denn erstens verdient man Geld, und zweitens bekommt man ganz ohne Aufräumen oder Blumen sehr viele Komplimente: "Great apartment, amazing experience!" - "Super gemütliche Wohnung, kreative Einrichtung!" - "Total nette Betreuung! Absolute Empfehlung!!!!"

Klingt nett, was? Dachte ich auch. Deshalb buchte ich zwei Nächte in der "Oase der Ruhe", wie M. seine Wohnung in einer westdeutschen Großstadt nennt. Die Fotos sehen okay aus, 70 Euro pro Nacht ist billiger als ein Hotel. Vor mir hatten 14 Gäste die Wohnung bewertet, im Schnitt mit viereinhalb von fünf Sternen. Erst drei Tage vorher hatte eine Bernadette ihren Bericht mit dem Fazit geschlossen: "M.s Wohnung ist einfach wunderbar - jederzeit wieder!"

Um es kurz zu machen: Die Wohnung war nicht wunderbar, sondern ein dunkles Loch mit frisch zerwühltem Bett, braungelatschten Tennissocken im Flur, einem soliden Geruch von Talg in der Luft und einem Küchentisch voller Pilsflaschen. Als ich die Wohnung betrat, stand M. gerade schwankend vor der Kloschüssel und pisste. Ich weiß das, weil die Toilettentür offen stand.

Nur mal so: Bei Facebook plant man gerade die Einführung eines "Dislike"-Buttons und überall macht man sich deshalb Sorgen um die Diskussionskultur. Justizminister Heiko Maas schimpft schon seit Wochen, die Leute von Mark Zuckerberg müssten doch endlich mal die Pöbeleien in den Griff kriegen. Wenn Maas ein gutes Beispiel sucht, sollte er mal bei Airbnb vorbeischauen: lauter freundliche Leute. Kein Hass, keine Polemik. Nur "great place" hier und "absolutely LOVED it" dort. Neben Facebook wirkt der Kommentarbereich von Airbnb wie ein skandinavischer Waldorf-Kindergarten auf Baldrian.

Was Facebook zu viel hat, würde Airbnb mal gut tun: ungehobelte Direktheit, meinetwegen ein paar anonyme Spinner. Aus der Mischung könnte sich jeder ein eigenes Bild machen - bei Gastro-Bewertungsseiten klappt das super. Das Kuschelproblem von Airbnb liegt aber im Konzept. Der Gast bewertet den Gastgeber und umgekehrt, und jeder sieht, was der andere geschrieben hat. Ja, das ist nett gedacht. Aber wer eine schlecht bewertete Wohnung hat, kriegt weniger Gäste, und wer eine Wohnung schlecht bewertet, bekommt in Zukunft weniger Wohnungen, weil niemand einen Gast will, der ständig motzt. So loben alle alles, aus Angst vor schlechten Noten. Selbst das, was in Wahrheit ein "Pfui Teufel, nie wieder!" verdient.

Ich bin dann ins Hotel und bekam von M. das Geld zurück. Ich wollte gern meine Erfahrung schildern. Ging nicht. Die Dame bei Airbnb sagte, es sei "leider technisch nicht möglich", jemanden zu bewerten, bei dem man nicht wirklich übernachtet habe. Wer also aus Ekel vorzeitig abbricht, darf keine Bewertung schreiben. Amazing!!!

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Quelle:
SZ vom 19.09.2015
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