Kolumne "Mitten in ...":Was er schon alles unter dem Tisch gefunden hat ...

Das Geraffel seiner Gäste versaut einem Wirt in den Stubaier Alpen jedenfalls ordentlich die Laune. Da ist "Luki Luki Skywalker" in Khao Sok schon viel entspannter.

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Lüsens

Der Alpengasthof Lüsens liegt strategisch günstig am Ende eines Tals in den Stubaier Alpen. Die Gegend ist ideal für Skitouren auf Dreitausender, zum Langlaufen und Eisklettern. Nach ihren Aktivitäten kehren die meisten Wintersportler im Gasthaus ein, an schönen Wochenenden sind die rustikalen Stuben rappelvoll. Für den Wirt, könnte man meinen, ist diese Monopollage ein Segen. Das Wirtshaus ist eine Gelddruckmaschine. Alle Gäste haben riesigen Durst und Hunger, sind erschöpft und gut gelaunt. Doch die Freude ist eher einseitig. "Nehmt's des Zeugs vom Tisch!", schnauzt der Wirt die Gäste an, bevor er sie begrüßt. Er meint unsere Mützen, Handschuhe, Sonnenbrillen. "Ihr glaubt gar nicht, was ich schon alles unter dem Tisch gefunden habe: Unterhosen, Zähne ... also weg mit dem Geraffel." Schluck. Würg. Eigentlich möchte man jetzt doch nichts bestellen, danke.

Titus Arnu

SZ vom 28. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Hamburg

Leute, kommt nach Hamburg und fahrt Rad. "Radfahren macht glücklich - auch im Winter!" Schreibt der ADFC, der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club, Gegenentwurf zum ADAC. Neulich verteilte der ADFC an einer Hamburger Straße zwischen 7.30 und 9 Uhr Äpfel, die Aktion hieß "Winter Bike to Work". Genau genommen ist es so, dass es in Hamburg seit Wochen regnet. Und wenn es nicht regnet, dann stürmt es. Meistens regnet und stürmt es gleichzeitig, tendenziell Orkan, der Schirm fliegt weg oder verbiegt sich grotesk, man braucht Ganzkörpercapes und muss achtgeben, nicht nach Bremen geweht zu werden. Radwege und Fußwege, mit bloßem Auge eh kaum zu unterscheiden, verschwinden unter Ästen und Pfützen, Autofahrer rasen vorbei. Aber ja, Radfahren im Hamburger Winter macht glücklich, klar, darauf einen Apple to go.

Peter Burghardt

SZ vom 28. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Khao Sok

33 Jahre nachdem Elmar Wepper in "Irgendwie und Sowieso" den "Seegrasindianer" etabliert hat, muss daran erinnert werden. Grund ist der thailändische Dschungelguide Luki Luki. Sein Schauspieltalent ist nahezu wepperhaft: Er mimt erst einen furzenden Elefanten - um sich in "Luki Luki Skywalker" zu verwandeln (indem er in einer finsteren Höhle eine Neonröhre auspackt). Per Boot geht es über den See. Das Dschungelgebiet heißt Khao Sok, und der Guide kaut nicht auf einem Socken. Sondern auf einem Stängel, den er auch auf dem Boot gelegentlich anzündet. Seine von Sonne gegerbte Haut verleiht ihm die Anmut eines Häuptlings im Kanu. Seine von Qualm inspirierten Kalauer erinnern eher an Sam Hawkins im Saloon. Welches Kraut er wohl in seinem Glimmstängel drin hat? Elmar Wepper würde sagen: ein echter Seegrasindianer.

Korbinian Eisenberger

SZ vom 28. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Bologna

"Keine Chance", sagt der Schaffner und schüttelt mitleidig den Kopf. Dabei ist es sein ÖBB-Zug, der mit 14 Minuten Verspätung in Bologna-Centrale eintuckert. Es bleiben 60 Sekunden zum Umsteigen Richtung Florenz, von Gleis 7 auf 19. Dem österreichischen Bundesbahner wollen wir's zeigen und stürmen los. Orientierungslos. Ein Mann fällt in unseren Sprint ein. "Firenze? Ich bring euch", ruft er auf Englisch und übernimmt, ohne eine Antwort abzuwarten, die Führung. Wie ein Footballspieler räumt er alles und jeden aus dem Weg. Es geht durch Tunnels und über Rolltreppen hinunter zum roten schicken Sprinterzug. Wir springen mit Puddingbeinen auf. Der Mann fordert nun energisch seinen Sold, gierig greifen seine Finger nach dem Schein. No, no, zu wenig! Da schließen die Türen. Und unser Retter steht draußen vor dem Fenster, zeternd, mit geballter Faust.

Jutta Czeguhn

SZ vom 21. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Köln

Zwischenstopp in Köln. Der Anschlusszug fährt erst in einer Dreiviertelstunde weiter, es bleibt also noch Zeit für einen Kaffee. Mit der Rolltreppe runter vom Bahnsteig, rein ins Getümmel. Und tatsächlich ist einiges geboten: Schneewittchen bestellt sich gerade einen Kaffee bei Starbucks, Superman läuft mit einer Hexe im Schlepptau Richtung Gleis und Pippi Langstrumpf steht etwas verloren vor dem Rewe To Go. Was ist denn da los? Ach ja, es ist ja Karneval, und man befindet sich in Kölle, der Hauptstadt der Narren. Nachdem man sich selbst mit Proviant eingedeckt hat, geht es mit der Rolltreppe wieder hoch zum Gleis. Dort steht ein kleiner, dicker Mann mit einem imposanten Schnauzer, in seiner Hand ein riesiger Käfig. Darin: mindestens 20 Tauben. Das aufwendigste Karnevalskostüm? Ach was! Wohl eher: der ganz normale Wahnsinn.

Jacqueline Lang

SZ vom 21. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Wadi Shab

Die Wintersonne scheint auf das türkisfarbene Wasser, das von Palmenhainen und Felswänden umgeben ist. Das Wadi Shab in Oman ist umwerfend schön. Verständlich, dass die mehrheitlich europäischen Touristen die Kameras zücken. Oh, ein Wasserfall, schau mal nach rechts, und, wow, der Feigenbaum da links! Hier ein Schnappschuss, da ein Selfie. Als ein einsamer Greis gesenkten Blickes auf die Gruppe zuschreitet, halten sie kurz inne. Alles an ihm ist strahlend weiß: das Gewand, der Turban, der lange Bart. Da halten es die Urlauber nicht länger aus, er passt einfach perfekt in die Kulisse. Ohne zu fragen, richten sie ihre Kameras auf ihn, die französische Rentnerin ist kurz vorm Abdrücken, als der alte Mann wortlos, aber entschieden die Hand hebt. Die Französin steckt die Kamera weg. Irritiert blicken ihm die Touristen nach. So viel Macht in einer kleinen Geste.

Dunja Ramadan

SZ vom 21. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Madrid

Die Plaza de Olavide in Madrid mit ihren Straßenrestaurants ist ein sehr angenehmer Ort, auch im Winter, vorausgesetzt, die Sonne scheint. Dann ist es vierzehn, fünfzehn Grad warm, ideal also zum Kaffeetrinken oder gar Mittagessen an der frischen Luft. Wenn da nicht die Tauben wären. Die kleckern von den Bäumen auf die Tische, leider lässt sich nicht alles durch Sonnenschirme abdecken. Einer der Wirte setzte deshalb eines Tages den Taubenschreck in einen Baum: einen Uhu aus Plastik, der bedrohlich mit dem Kopf wackelt und Ultraschallaute ausstößt, die den Tauben aufs Gemüt schlagen sollen. Das funktionierte auch eine Weile wirklich gut - bis es einen Kurzschluss gab. Der Uhu sitzt seitdem stumm und stur auf dem Ast. Und sein Kopf ist der Lieblingsplatz für die Tauben geworden. Sie haben ihn mittlerweile völlig zugekleckert.

Thomas Urban

SZ vom 14. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... ICE 1530

Eine halbe Stunde braucht der ICE 1530 von München nach Ingolstadt, das reicht eigentlich, um kurz zu frühstücken. Ich bestelle ein Croissant an der Theke und entschließe mich dann doch, im Speisewagen zu sitzen. Ein Fehler. "Sie dürfen hier eigentlich nicht sitzen, wenn Sie an der Theke bestellt haben", belehrt mich der Kellner. "Auch nicht, wenn ich bei Ihnen einen Kaffee bestelle?" "Nein." "Warum?" "Das geht nicht." Nach einer nervigen Diskussion bringt er mir doch noch ein Getränk. Während ich die 3,30 Euro teure Plörre trinke, lästert der Kellner mit seiner Kollegin über mich ab. Beim Bezahlen frage ich, was eigentlich das Problem sei. Jetzt kommt die deutscheste aller Antworten: "Wir müssen uns an die Vorschriften halten." Klar. Und es wäre eigentlich auch schön, die Bahn würde sich an den Fahrplan halten und ihre Kunden nicht wie Dreck behandeln.

Titus Arnu

SZ vom 14. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Auckland

In Corelli's Café fliegen die Spatzen niedrig. Wem sein Apfelkuchen lieb ist, isst ihn nah am Körper. Die Damen auf der Couch gegenüber verteidigen ihre Pommes Frites. Ruhe bewahren, Spatzen beißen ja nicht. Und schon zuckt man selbst zusammen wie von Raubtieren bedroht, weil ein kleiner Kampfflieger mit geschärftem Schnabel auf den - in der Tat empfehlenswerten - Apfelkuchen zusteuert. Gar nicht so einfach, Kaffee zu trinken, wenn man gleichzeitig sein Gebäck nicht aus den Augen lassen darf. Am besten lässt man den Kaffee erst mal stehen, denn Spatzen brauchen keinen Kaffee zum Kuchen. Interessant, wie ein paar harmlose Viecher so viel Anspannung in eine eigentlich entspannte Situation bringen können. Die Damen essen hastig und gehen. Sie haben was übriggelassen. Ein Spatz lässt sich auf der Couch nieder. Der Frieden kehrt zurück.

Thomas Hahn

SZ vom 14. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Erfurt

Der ICE von Berlin hat zwei Zugteile, der vordere soll nach München, der hintere nach Frankfurt. Dann die Durchsage: Es müsse leider andersherum sein, weshalb in Erfurt bitte alle den Zugteil wechseln mögen. Mit anderen Worten: ein echter Bevölkerungsaustausch, an Gleis 1 - links die München-Reisenden auf dem Weg von vorne nach hinten, rechts die Frankfurt-Reisenden auf dem von hinten nach vorne. Nächste Durchsage: Defekt in diesem Zugteil, Abfahrt ungewiss. Man dürfe aber gern den ICE nehmen, der um 8.31 Uhr auf Gleis 9 nach München fährt. Also schnell wieder raus, Rolltreppe runter und rüber; als man auf Gleis 9 ankommt, ist es 8.30 Uhr. Sämtliche ICE-Türen: geschlossen; keine Chance. Wieder zurück zu dem anderen, vielleicht fährt er ja bald. Rolltreppe runter, Rolltreppe hoch, auf Gleis 1. Der ICE: weg.

SZ vom 7. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Tokio

Die Odakyu Line wird immer langsamer, schließlich bleibt sie ganz stehen. Dann wieder bewegt sie sich ein paar Meter, bleibt erneut stehen. So geht das eine halbe Stunde lang. Die japanischen Durchsagen versteht die Touristin nicht. Trotzdem ist sie sehr verwundert. Denn während der gesamten Zeit herrscht Totenstille. Erst ganz zum Schluss, als der Bogen für eine Münchner Nahverkehrsgeschädigte schon lange überspannt ist, vernimmt die Touristin ein tieferes Atmen von der Dame neben sich. Was zur Stille in der Bahn beiträgt und von deutschen Verkehrsbetrieben dringend kopiert werden sollte, ist das Telefonierverbot. Dieser Hinweis kommt regelmäßig auch auf Englisch: Bitte Handys lautlos stellen und nicht telefonieren. So erholsam! Nur ein Bekannter, der in Tokio lebt, gibt zu bedenken: "Die Japaner lieben Deutschland - weil es dort keine Regeln gibt."

Claudia Wessel

SZ vom 7. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Kitzbühel

Samstagabend in einer Après-Ski-Bar in Kitzbühel, wobei Kitzbühel hier als reine Orts- und nicht als Niveau-Angabe des Etablissements dient. Es gibt Bier, einen Hackklotz, "Hodiodioodioodie" und eine Gruppe Jungs, die fragt, ob man sie fotografiert. Später sind die Jungs weg und als man selber gehen will, drei der vier eigenen Jacken auch - nur die Damenjacke hängt noch einsam am Haken. "Die treffen wir bestimmt in der nächsten Bar wieder", sagt man sich après-ski-optimistisch und geht los. Man liegt falsch. Den ersten trifft man schon auf der Straße, in bekannter Jacke. Widerstandslos gibt er sie ab, darunter kommt seine eigene zum Vorschein. Ein Zweiter führt zu einem Auto, in dem zwei weitere Männer sitzen, ebenfalls in Fremdbekleidung. Die Liftkarten sind alle noch in den Taschen. Nur einen Müsliriegel haben die Amateurdiebe verdrückt.

Veronika Wulf

SZ vom 7. Februar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... London

Kurztrip nach London, das bedeutet nicht nur viel sehen, sondern auch viel gehen. Leider macht ein Lendenwirbel nicht mit, am Ende ist jeder Schritt eine Tortur. Der Blick fällt auf einen Massage-Salon gegenüber dem Hotel. "Mona's" ist zunächst wie aus einem Horrorfilm voller Klischees: Ein kleiderschrankartiger Mann deutet nach unten, wo am Fuße der verwinkelten, mit abgewetztem Teppich überzogenen Treppe ein schummriger, notdürftig hergerichteter Raum auf mich wartet. Eine winzige Asiatin schwebt herein, erbeutet meine Brille und erklimmt meinen Rücken. Während ich grübele, wer wohl meine Organe bekommen wird, füge ich mich in mein Schicksal und falle in einen Tiefschlaf, aus dem ich erst erwache - in einem Stück -, als ich den herben Geruch von Tiger-Balsam wahrnehme. Von Mona gestählt, kann London mir nichts mehr anhaben.

Milan Pavlovic

SZ vom 31. Januar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Ebersberg

Der FC Bayern hat verloren. In Ebersberg. Bitterer: in Ebersberg gegen 1860 München. E-Junioren, die Sorte Wellness-Turnier, bei dem die Bayern gegen Vereine wie ATSV Kirchseeon spielen und zwischendurch zum Kuchenbuffet schlendern. Neun-, zehnjährige Jungs, die das 1:2 gegen 1860 tapfer ertragen. Anders als ein Zuschauer, der dem Schiedsrichter zubrüllt: "Idiot - Idiot - Idiot - Idiot..." Er hört nicht auf, schreit 30, 40 Mal, man denkt an Steinmeiers Appelle über ein würdiges Miteinander, an niederrheinische Provinzderbys aus der eigenen sportlichen Vergangenheit, als der Bundespräsident Karl Carstens hieß und Zuschauer dem Schiri die Autoreifen zerstechen wollten. Gehört dazu? Ein Mann will den Zornigen beruhigen, sagt: "Es geht doch um Kinder." Der, barsch: "Idiot!" Die Bayern-Jungs verteilen später auf der Tribüne fröhlich Schlüsselanhänger.

Frank Nienhuysen

SZ vom 31. Januar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Sydney

Es war von Anfang an klar, dass es eine ziemlich blöde Idee war, ins Städtchen Bargo ganz nah heran an die Buschbrände fahren zu wollen. Aber der Auftrag lautete nun mal: Berichterstattung über Australiens Feuerkatastrophe. Bargo war relativ nah, eineinhalb Stunden ab Sydney Hauptbahnhof. Und in der Zeitung stand, im örtlichen Pub würden Einheimische mit ihren Tieren Schutz finden, Zeugen der Flammen, potenzielle Interviewpartner. Extrem blöde Idee, sensationslüstern geradezu. Trotzdem: hin zum Bahnhof. Am Schalter saß ein älterer Fahrkartenverkäufer. "Geht heute noch ein Zug nach Bargo?" - "Nein." Strenge Anschlussfrage: "Warum nicht?" Und mit einer ungerührten Freundlichkeit, die souverän entlarvte, wie rettungslos blöd die Idee seines Kunden war, antwortete der Fahrkartenverkäufer: "Weil dort der Busch brennt."

Thomas Hahn

SZ vom 31. Januar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Cherai Beach

Das Englisch der Inder kann ungeübte Touristinnenohren schon einmal herausfordern. Man denke nur an das "R", mit dem die subkontinentale Aussprache den Versuch des Verstehens mitunter überrollt wie eine große Welle den Strand. Wie gut, dass es den jungen Kellner im Hotelrestaurant gibt. Er ist ein Sprachgenie, möchte unbedingt Deutsch lernen. "FC Bayern. Servus. Hat es geschmeckt?" Jeden Morgen begrüßt er die Gäste freundlich, fragt nach den Plänen und erzählt, dass es in der Woche zuvor so stark geregnet habe, weshalb Schulen und Kirchen geschlossen bleiben mussten. Manchmal aber klappt die Verständigung nicht auf Anhieb. "Was ist supersweet auf deutsch?" "Pappsüß." "Ah, Eichhörnchen sind pappsüß." Irgendwann will man wissen, wie der junge Mann heißt. "Akshay", sagt der Deutschliebhaber, "aber sagen Sie einfach Axel zu mir."

Karin Kampwerth

SZ vom 24. Januar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Berlin

Berlin hat 3,75 Millionen Einwohner. Manche davon sind besonders nett. Einer zum Beispiel, der zuweilen Neujahrsbriefe an Freunde in München schreibt, also an mich, die ihm dann leider auf dem Weg zum Briefkasten aus der Manteltasche fallen, irgendwo auf einem der gut 5000 Kilometer Straßen- beziehungsweise grob geschätzt etwa 10 000 Kilometer Gehwegstrecke von Berlin. Großes Bangen, wird ein anderer, wenigstens halbwegs netter Berliner den Brief einwerfen? Aber Berliner Passanten haben offenbar Besseres zu tun, als sich um anderer Leute Korrespondenz zu kümmern, der frankierte Brief bleibt erst mal verschollen. Bis schließlich die Nichte anruft, noch eine besonders nette Berlinerin, die allerdings an einem ganz anderen Ende der Stadt wohnt als der Briefeschreiber. Sie hat da einen Brief für mich gefunden, nur etwas ramponiert.

Marlene Weiß

SZ vom 24. Januar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Barcelona

Einfach prächtig, die Villa Vicens, Unesco-Weltkulturerbe. Antoni Gaudí hat sie vor gut 130 Jahren für einen reichen Kaufmann in Gràcia gebaut. Das Viertel ist für die Barceloneses in etwa das, was Schwabing für die Münchner ist. Mit unglaublicher Liebe zum Detail haben sie das erste Haus, das der liebste Sohn der Stadt konzipiert hat, wiederhergestellt: vom gusseisernen Zaun, dessen Muster die Palmenblätter im Garten aufgreift, über das dunkel getäfelte Esszimmer bis zu den bunt gefliesten Erkertürmchen im maurischen Stil. Sogar das stille Örtchen ist so, wie der Meister es entworfen hatte, eines der ersten Wasserklosetts der Stadt überhaupt! Auf dem rissigen Holzdeckel klebt ein Zettel, ein pinkelndes Männchen mit einem rotgefassten Verbotszeichen darüber: "Danke, dass Sie Gaudís erstes Haus respektieren." Offenbar gab es da schon Missverständnisse.

Reymer Klüver

SZ vom 24. Januar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Singapur

Glück gehabt mit dem Taxifahrer diesmal. Kein Griesgram, sondern ein zufriedener Onkel Mitte 60, der auch noch Auto fahren kann. Wir unterhalten uns über unsere flügge werdenden Kinder. Der Fahrer erzählt stolz, dass seine Tochter zur Uni geht. Und dass das erste Jahr sehr hart war für die Familie - das Kind so weit weg. Ich weiß, wovon er spricht, denn ich habe unsere Tochter kürzlich nach Glasgow zum Studium gebracht, 11 003 Kilometer Luftlinie entfernt von ihrem Zuhause in Singapur. Aber, so trösten sich der Taxifahrer und die Mutter: Wenigstens wohnen die Studenten im ersten Jahr auf dem Campus mit all den anderen Studenten, um die Umstellung zu erleichtern. Wo studiert denn das Taxifahrerkind? Na, an der Nanyang Technical Uni in Singapur, weit weg von zu Hause am anderen Ende der Insel. Genauer: 33 Kilometer.

Susanne Perras

SZ vom 17. Januar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Jenbach

Taxifahrt vom Bahnhof Jenbach im Inntal ins Hotel. Im Auto: der Taxifahrer, wenig Haare, viel gute Laune, dazu Snowboards, Skier, Gepäck und drei Passagiere. Letztere haben die Zugfahrt mit ein, zwei Bier verbracht und sind in Stimmung für einen Plausch. Der Fahrer gibt Tipps zu Dingen, die man wissen will (die Pizzeria Central ist gut und noch geöffnet), und Dingen, die man nicht wissen will (das Bordell kostet 70 Euro Eintritt). An dieser Stelle wird es Zeit, das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. Er solle doch sein Lieblingslied auflegen. Also fummelt er am Handy herum, dreht laut, und die nächtliche Fahrt durch den Winterwald wird plötzlich pompös untermalt von: Carl Orffs Carmina Burana. Er scheint zu spüren, dass seine Musikwahl nicht ganz das war, was man erwartet hatte. Er dreht etwas leiser und sagt: "Davon kriegst Durchfall oder kriegst Energie!"

Christian Helten

SZ vom 17. Januar 2020

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

München Hauptbahnhof, 25. Dezember, abends. Vollbepackt und weihnachtlich gesättigt schieben sich die Menschen durch die Gleishalle. Mit einem kurzen Blick auf mein Gepäck entscheide ich mich für ein Taxi. Am Taxistand große Aufregung, Stimmengewirr, Gelächter. Nach dem Einsteigen frage ich den freundlich lächelnden Fahrer, was denn da gerade los gewesen sei. "Ach, wissen Sie, ich erlebe hier sehr viel", sagt er. "Manche wollen nur mit einem Audi fahren. Andere nur BMW oder Toyota oder in einem SUV. Aber gerade eben, da kam einer, der schaute in jedes Taxi rein und meinte nur: ,Ich such an deutschen Fahrer!'" Und das findet er lustig? "Darüber könnte ich nicht lachen", sage ich. "Na ja, da ist er", erwidert der Taxifahrer und zeigt auf einen Mann, der an der Ampel wartet: "Der läuft heute zu Fuß heim. Heute ist Weihnachten, da gibt's keine deutschen Fahrer ..."

Bernd Wilhelm

SZ vom 17. Januar 2020

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