Mitten in ... einem Abteil des ICE 375
In der ersten Klasse sitzt man trocken und warm, und manchmal stimmt alles: Ein Mann bringt Kaffee, eine Frau reicht Brezen, keine Dauertelefonierer, keine fröhlichen Nordhessen. Dann hakt es in Frankfurt, wir warten auf verspätete Züge. Ein abgerissener Mann schlurft von Platz zu Platz, bittet unaufdringlich um ein paar Euro. "Jetzt aber raus hier!", schreit einer wutentbrannt. Dann steigt ein Rucksackträger zu, er redet vor sich hin. Die Mitreisenden brummeln: "Wann geht es endlich weiter, da waren ja die Züge in der DDR pünktlicher, wofür zahlt man überhaupt?" Der Rucksackmann bläst ein paar Takte auf der Mundharmonika an. Eine Frau will ihn zur Ordnung rufen, geht aber einige Sitzreihen zu weit und giftet uns an: "Wer lärmt denn hier rum? Das geht ja gar nicht, ich hab so'n Hals." Man sitzt trocken in der ersten Klasse, aber es ist frostig geworden.
Wolfgang Janisch
SZ vom 8. März 2019