Kolumne "Mitten in ...":Vera empört sich

Im Nagelstudio in Wien wird's unbehaglich. Und in Töging ziehen sechs Damen im Ballkleid ein langes Gesicht.

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Wien

Lange nicht in Wien gewesen, aber jetzt hat man Karten für die Wiener Philharmoniker. Hach, wie schön. Man fährt hin, wählt was Elegantes aus, lässt sich die Nägel machen. Und plötzlich ist die Stimmung beklemmend. Vera, Kroatin in den besten Jahren, eigenes Studio, plaudert in Wiener Schmäh über den Sohn, der wie man selbst in Berlin lebt. Kürzlich war sie zu Besuch, zu einer Hochzeit, Gott sei Dank nicht der Sohn, eine türkische Hochzeit. Aber sie sei gern wieder weggefahren, Berlin sei grau und fest in türkischer Hand. Und die vielen Flüchtlinge! Man schaut auf die halb fertigen Nägel und schweigt. Vera empört sich. Die deutsche Polizei habe nichts unter Kontrolle. Ach? Ja, alle hupen da, obwohl keine Gefahr droht. Vielleicht wegen der Hochzeit? Also bitte, sagt Vera, bei uns gäb's das nicht. Da wär' die Polizei sofort da. "Weil Wien eben sicher ist."

Cerstin Gammelin

SZ vom 8. Februar 2019

Mitten in Töging

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Töging

Sie haben sich alle in Schale geworfen. Der Bürgermeister trägt Fliege, der katholische Kirchenpfleger das prächtigste Stück aus seinem Krawattenfundus. Dass es seiner Frau um die Ohren fliegt, wenn er sie im Foxtrott formvollendet übers Parkett wirbelt, verhindert die goldene Krawattennadel. Was für eine Gala! Der Töginger Stadtball gehört zu den exklusivsten Ereignissen zwischen Ampfing und Altötting. Aber welche Boutique hat sich da einen Scherz erlaubt? Eins, zwei, drei - sechs Frauen tragen das völlig identische Ballkleid. Gleiche Farbe: Rot. Gleicher Schnitt: Rücken frei. Gleiches Modell, neu. Sechs Schwestern? Nein, den missvergnügten Blicken nach, mit denen sie sich taxieren, kennen sie sich nicht. Nur das Kleid, das kennen sie. Ein Königreich für einen schwarzen Fummel. Aber bei der Tombola gibt es Tankgutscheine zu gewinnen.

Rudolf Neumaier

SZ vom 8. Februar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Boston

"Safety first" ist ein Mantra in den USA, es gilt auch für den TD Garden, die Basketballarena der Boston Celtics. Vor dem Spiel müssen 20 000 Menschen durch die Sicherheitsschleuse. Bei mir piept's, also Tasche auf. "Sorry, you can't bring this. It's a weapon." Der Security-Mann zieht die verbotene Waffe aus meinem Beutel: den Selfiestick. Dieses 50 Zentimeter lange Gestell aus Plastik und verbogenem Alu? Eine Waffe? Das Ding hat schon zu viel überstanden, um im Müll zu landen. Schließfächer? Gibt es nicht. "Versteck es draußen", rät der Sicherheitsmann. Also lege ich meine Waffe vor dem Stadion neben einen Briefkasten. In der Halle stelle ich später fest, dass Gefahr nur von einer Waffe ausgeht: vom Ball, für die Zuschauer in der ersten Reihe - die mit den 2000-Dollar-Tickets. Und mein gefährlicher Selfiestick? Liegt nach dem Spiel noch draußen, ganz friedlich.

Regina Steffens

SZ vom 8. Februar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Mierlo

Neulich habe ich einem jungen Mann zum Tod seiner Oma gratuliert. Das war natürlich ein Versehen. Wir haben in den Niederlanden meine Schwiegermutter beerdigt, und da habe ich beim landestypisch dreifachen Begrüßungskuss Enkel Tomas das vertraute "Gefeliciteerd" (Herzlichen Glückwunsch!) statt des für mich neuen "Gecondoleerd" (Herzliches Beileid!) überbracht. Ganz so schlimm war das nicht. Die Oma war schon 94, und sie hätte sich, zynischen Witzen nicht abgeneigt, zu Lebzeiten bestimmt köstlich amüsiert. Schämen war sowieso unnötig. Das stellte sich beim Abendessen heraus, wo ich die Runde mit dem peinlichsten Fehler meiner Fremdsprachenhistorie erheitern wollte. "Ich hatte das gehört", sagte mein Schwager. "Dachte, man sagt das in Deutschland so." Gut, wenn einem in der Welt sowieso alles zugetraut wird.

Christina Berndt

SZ vom 1. Februar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Koh Mak

Pabuk soll der schlimmste Sturm sein, der Thailand in den vergangenen 30 Jahren außerhalb der Monsun-Zeit heimgesucht hat. Nur: In Thailand bekommt man davon nichts mit. Wir sitzen auf dem wunderschönen Inselchen Koh Mak, auf der anderen Seite von Pabuks Zentrum. Da poppen Nachrichten auf unseren Handys auf. Ob es uns gut geht, ob wir in Sicherheit sind, ob wir nicht früher nach Hause fliegen wollen. Wir sind ratlos. Gut, der Himmel ist bewölkt, die Wellen etwas höher und ein bisschen Wind geht auch. Aber sonst? Zum Frühstück, einen Tag später, stapeln die Hotelangestellten Sandsäcke vor die Terrasse. Sie werden trocken bleiben. Aber dann, zum Abendessen, bekommen wir die Ausmaße Pabuks voll zu spüren. Gesten- und wortreich entschuldigt sich ein Koch bei uns: "Wir haben leider keine Mangos. Das Lieferboot konnte nicht ablegen."

Max Sprick

SZ vom 1. Februar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Wenn Pflicht formalisierte Vernunft ist, dann ist Leidenschaft das Gegenteil: die Unvernunft des Herzens. Insofern muss es krachen, als man im rasenden Taxi den Auftritt von Xiu Xiu erreichen will. Xiu Xiu ist eine US-Indieband, schwer vorstellbar, dass 1000 Münchner die kennen. Viel zu spät hat man von dem Konzert erfahren, bei Ankunft ist es 20.05 Uhr, fünf Minuten zu spät - und keine Kasse mehr auf. Wie entfesselt springt man die Treppen hoch, der Einlasser fordert die Karte. Man habe keine, wegen der Verspätung, man könne ihm aber die 20 Euro auf die Hand geben. Nein, sagt er, nur mit Karte. Man habe aber alle Platten der Band, jedes Lied kenne man, seit 16 Jahren verfolge man deren Weg. Vergeblich. Ohne Karte geht es nicht, sagt dieses Vorbild der Pflichterfüllung. Enttäuschung? Ein viel zu kleines Wort für den Schmerz, den man still nach Hause nimmt.

Marc Hoch

SZ vom 1. Februar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Ostrava

Die Straßenbahnen in der tschechischen Industriestadt Ostrava quietschen und rumpeln. Dass der Fahrkartenautomat an der Haltestelle nur Münzen akzeptiert und keine Karten, wundert mich überhaupt nicht. Ich steige ohne Ticket ein. Bevor sich hinter mir die Türen schließen, springt ein Kontrolleur in den Wagen. Ich lese angestrengt die Anweisungen am Entwerter im Waggon und krame nach einem Ticket, das ich nicht habe. Der Herr tritt auf mich zu und fragt: Möchten Sie eine Fahrkarte kaufen? Unbedingt will ich das. Ganz einfach, sagt er: Sie halten Ihre Geldkarte an das Gerät und es zieht automatisch den Fahrpreis ein. Kontaktlos. Ich scheitere mit meiner deutschen EC-Karte. Der Kontrolleur guckt mitleidig. Mit der Kreditkarte funktioniert es. Ich bin beeindruckt. Am Gerät klebt ein Schild: Gesponsert von der EU.

Viktoria Großmann

SZ vom 25. Januar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Lancaster

Zum ersten Mal in den USA, zum ersten Mal bei der Familie des Freundes. Beides ziemlich aufregend für ein deutsches Landei. Das merkt die Großmutter, die in einem tiefen Wald in Pennsylvania wohnt. "My ancestors were Pennsylvania Dutch, so I'm a bit German", sagt sie. Vermutlich will sie etwas von der Aufregung nehmen, stürzt mich stattdessen aber in Verwirrung: "Dutch" bedeutet doch holländisch, und Niederländer sind ganz bestimmt keine Deutschen, oder? Ich schweige höflich, soll in den USA ja schon vorgekommen sein, dass Politiker sogar Afrika für ein einzelnes Land halten. Später spreche ich meinen Freund unauffällig auf die geografische Verwirrung an. Er lacht und sagt: "Dutch, dötsch, deitsch, deutsch." Für die Zunge seiner Oma alles dasselbe - ebenso wie für andere US-Amerikaner, die schon vor langer Zeit aus den Pfälzer "Deitschen" lieber "Dutch" machten. Fiese Umlaute sind also dafür verantwortlich, dass in Pennsylvania Deutsche zu Niederländern werden.

Theresa Parstorfer

SZ vom 25. Januar 2019

Mitten in - Reit im Winkl

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Reit im Winkl

Zweimal flackert die Laterne, ein Sirren - und in ganz Reit im Winkl geht das Licht aus. Die Bundeswehrlaster, die Kranwagen, das Gerät von THW und Feuerwehr auf dem Parkplatz gegenüber: nur noch schemenhaft auszumachen. Gerade erst hatte der Skilehrer von nebenan dem frisch im Katastrophengebiet eingetroffenen Touristen erklärt, dass die Medien übertreiben. Schneechaos? Pah! "Wohl eine Leitung gerissen", mutmaßt der Einheimische etwas zu gelassen. Zum Glück ist das Ferienhaus reichlich mit Kerzen bestückt. Es könnte gemütlich sein, wären da nicht die Selbstzweifel: Wie blöd kann man sein, jetzt hier Urlaub machen zu wollen? Was, wenn man tagelang ohne Elektrizität auskommen muss, ohne Herd, ohne Heizung vielleicht? 45 Minuten später ist der Strom wieder da. Der Vierjährige jubelt: "Endlich geht der Computer wieder und alles ist toll!"

Philipp von Nathusius

SZ vom 25. Januar 2019

Mi Nov_Dez 18 Marc Herold

Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... München

Der Autoschlüssel ist verschwunden. Kein Grund zur Panik, das macht er öfter. Er ist ein altmodischer Typ, den man noch im Schloss umdrehen muss, um das ebenfalls in Würde ergraute Auto zu öffnen, und zu groß für jeden Schlüsselbund. Ein Einzelgänger, der oft auf Abwegen ist, aber immer wieder auftaucht. Im Wäschekorb. In einer Jackentasche. Neben dem Zahnputzbecher. Aber diesmal: keine Spur. Im Hinterkopf keimt ein böser Verdacht. Schnell die Treppe hinunter, rechts in die Seitenstraße. Da steht das Auto. Der Schlüssel steckt. In der Kofferraumklappe. Von außen. Seit ... Himmel, seit drei Tagen! Zittrige Erleichterung, dann Erstaunen: Wird mitten in München ein Auto selbst dann nicht geklaut, wenn es 72 Stunden schlüsselfertig an der Straße steht? Oder wird mein Auto selbst dann nicht geklaut? Egal, der Schlüssel ist zurück. Und das Auto noch da.

Paul Munzinger

SZ vom 18. Januar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... Rom

Mausefallen waren einmal. Unten im Hof, neben der Gittertonne für den Kompost, steht jetzt eine Rattenvernichtungsmaschine. Ein massives, grünes Metallgehäuse, einen Meter hoch, an der Vorderseite ein Zähler, der wie das Zifferblatt einer Uhr aussieht. Unser neapolitanischer Portier, der sich vor nichts so sehr fürchtet wie vor den fetten Ratten Roms, sagte triumphierend: "Schau, die gehen hier rein, angelockt von so einem Duft, gelangen in einen Korridor, fallen dann durch ein Loch in ein Wasserbecken und ertrinken." Der Zähler springe dann auf die 1, auf die 2, die 3. Stinken würde das nicht: "Wir haben etwas ins Wasser gemischt." Drei Wochen steht der Apparat schon unten. Die Uhr? Sie zeigt 0, immer 0. Die Komposttüten liegen jeden Morgen zerfetzt in der Gittertonne. Sie mögen fett sein, die Tiere, aber dumm sind sie nicht.

Oliver Meiler

SZ vom 18. Januar 2019

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Quelle: Marc Herold

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Mitten in ... New Orleans

Die Stimmung in der Sportsbar ist überschwänglich. Die "New Orleans Saints" führen haushoch, bei jedem Touchdown schmeißt der Barkeeper eine Schnapsrunde. Wobei das Footballspiel dem Publikum in der Kneipe wurscht ist, denn es besteht gar nicht aus Fans, sondern aus Drag Queens. Eine von ihnen, Vanessa, erklärt, dass das Footballspiel mit dem Drag-Queen-Karaokeabend kollidiert. Klingt vielversprechend, also bleiben wir nach dem Sieg der Saints noch sitzen. Plötzlich bittet Vanessa den deutschen Gast auf die Bühne, could you sing a German song, please? Klar, "99 Luftballons" gehen immer. Doch dann läuft über den Bildschirm der englische Text: "99 red balloons, floating in the summer sky, panic bells, it's red alert". Alarmglocken, Warnstufe rot - welch passender Text für den Gemütszustand der Sängerin. Da hilft auch der Schnaps von vorhin nichts.

Beate Wild

SZ vom 18. Januar 2019

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