Kolumne "Mitten in ...":"Wo ist denn hier die Fernbedienung?"

Im hessischen Epterode geschieht in der Adventszeit Unglaubliches: Ein Fünfjähriger verschmäht frischgebackene Plätzchen. Und in Boulder haben Haustiere Vorfahrt - oder doch nicht?

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(Foto: Marc Herold)

Mitten in ... Epterode Man hat Weihnachtskekse gebacken im nordhessischen Epterode. Die Küche duftet, Kleckse, Krümel und andere Schweinereien sind beseitigt, das polierte schwarze Backblech steht glänzend an der weißen Wand. Es läutet, Besuch, eine junge Mutter mitsamt fünfjährigem Sohn. Passt, es gibt frisches Gebäck. Das Kind, ein Energiemonster, das eigentlich nur im Schlaf die kleine Klappe hält, lässt Kekse Kekse sein und steht schweigend und äußerst nachdenklich vor dem blitzsauberen Backblech. Man wundert sich, das kennt man von ihm sonst gar nicht. Seine Finger zucken, erst leicht, dann konvulsivisch. In die Verwunderung mischt sich Sorge. Was ist bloß mit dem Jungen los? Irgendein Anfall womöglich? I wo. Das Kind des 21. Jahrhunderts hat lediglich eine Frage auf dem Herzen: "Wo ist denn die Fernbedienung für den Fernseher hier neben der Spüle?" Susanne Höll SZ vom 14. Dezember 2018

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(Foto: Marc Herold)

Mitten in ... Boulder Heidewitzka, sie machen es diesem Trump und seinen Spießgesellen aber auch wirklich zu einfach, die Ultraliberalen, Öko-Apostel und Tierwohlbefürworter in den USA. "Haustiere haben hier Vortritt", heißt es auf dem Schild am Zebrastreifen, der die Arapahoe Avenue in Boulder durchschneidet, jener kleinen, linksliberalen Enklave in Colorado, die viele Einwohner nur halb im Scherz "Volksrepublik" nennen. Was das Schild in der Praxis bedeutet, kann man sich als Trumpianer lebhaft vorstellen: Die Boulderaner bremsen zwar für Hunde, Katzen, Sittiche und Chipmunks, aber ungern für Konservative. Doch halt, stopp: Haben uns die Fantasie und das Wissen um die Unversöhnlichkeit der politischen Lager da einen Streich gespielt? Auf dem Schild stand doch "Pets" - oder doch "Peds"? "Pets", das heißt Haustiere. "Peds" sind Fußgänger. Claus Hulverscheidt SZ vom 14. Dezember 2018

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(Foto: Marc Herold)

Mitten in ... Lissabon Die älteste durchgehend betriebene Buchhandlung der Welt ist die Livraria Bertrand. Ehrfürchtiges Schlendern durch die Räume, ein lyrisches Gefühl breitet sich aus, die Kundin schnuppert an den gesammelten Werken des Nationaldichters Pessoa und wünscht sich, von irgendwoher klänge jetzt Fado. Eine freundliche Buchhändlerin nähert sich und beginnt, von der Lyrik von Sophia de Mello Breyner Andresen zu schwärmen. Nie gehört. Die Buchhändlerin schleppt die Kundin zum Regalabschnitt besagter Dichterin, schlägt ein Büchlein auf und trägt die schlichten Verse über das Meer, die Wellen, den Schaum vor - ein Traum. Wenig übersetzt worden, sagt die Buchhändlerin, international völlig unterschätzt. Entrückt steht die Kundin kurz darauf an der Kasse und kauft das Büchlein lyrischer Juwelen. Dass sie kein Wort Portugiesisch spricht? Nebensächlich. Christiane Lutz SZ vom 14. Dezember 2018

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(Foto: Marc Herold)

Mitten in ... Regensburg Auf dem Regensburger Bahnhofsvorplatz. Die Zeit wird knapp, und der Platz zieht sich. Es gäbe sehr viele Stellen, an denen der Fernbus nach Prag fahren könnte, theoretisch. Praktisch fahren die Busse nach "Teugn Grundschule" oder "Viehhausen Kohlstadt". Wenn man ferne Länder wie Mexiko mit dem Bus bereist, warum nicht Europa? So die Idee bei der Buchung, für die man sich jetzt, hetzend, verflucht. Dann endlich, eine Ausbuchtung in der Straße, Google Maps sagt "Regensburg Busbahnhof", obwohl da weder Bus noch Bahnhof sind. Man wünscht sich nach Mexiko, klimatisierte Wartehallen, funktionierende Anzeigetafeln, freundliches Personal. Derweil rauscht ein Bus vorbei. Halt! Stand da nicht Praha? Man rennt, bis man ihn einholt, Bussteig 11. Praha? Jaja, sagt der Fahrer. Warum hier auf dem Schild dann "Pfatter Rathaus" stehe? Weiß er auch nicht. Ach, Mexiko. Elisa Britzelmeier SZ vom 7. Dezember 2018

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Mitten in ... Moreré An einem der schönsten Strände Brasiliens, im Dörfchen Moreré, Insel Boipeba, isst man gegrillten Hummer zum Preis einer Bratwurst. Er wird an Plastiktischen serviert, die zur Hälfte im Sand versinken. Nebenan im Palmschatten liegen zwei ortskundige Kiffer, sie blicken auf Holzboote, die im türkisfarbenen Wasser schaukeln. Hin und wieder schreitet ein Pferd durch die Szenerie. In Moreré ist die Welt noch in Ordnung. Aber eine Frage hätten wir doch: Wieso stehen da zwei Fußballtore im Meer? Die Kiffer beantworten sie gerne: "Das ist unser Fußballplatz." Aber da kann man ja gar nicht kicken. "Doch, bei Ebbe." Eine möglicherweise sehr deutsche Anschlussfrage: Wieso baut ihr euren Platz nicht irgendwohin, wo er den ganzen Tag bespielbar wäre? Die eher brasilianische Antwort lautet: "Wer will denn den ganzen Tag Fußball spielen?" Boris Herrmann SZ vom 7. Dezember 2018

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Mitten in ... Egilsstadir Irgendwo im Osten von Island: Auf der Straße sind mehr Schafe als Menschen unterwegs, die Hauptstadt Reykjavik und die Touristenbusse sind weit weg. Ab und zu mahnt ein Verkehrsschild die erlaubte Höchstgeschwindigkeit an: Tempo 90. Vulkane, Lavafelder, Steinwüsten in vielen Farben ziehen vorbei. Das nächste Ziel ist weit, die Tachonadel kann schon mal auf die 100 rutschen. Trotzdem überholen noch eiligere Fahrzeuge, die offensichtlich auf der Flucht sind. Nach der nächsten Kurve plötzlich der erste isländische Streifenwagen seit Tagen. Eine Verkehrskontrolle mitten im Nirgendwo? Einige Japaner stehen am Straßenrand, neben sich Koffer und Rucksäcke aufgereiht. Ihr Auto haben sie tiefer gelegt - es steht im Straßengraben, im Lavagestein. Totalschaden. Die Tachonadel pendelt sich für den Rest des Tages zwischen 80 und 90 ein. Dieter Sürig SZ vom 7. Dezember 2018

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Mitten in ... Glastonbury Glastonbury ist wunderlich. Nicht nur im Sommer, wenn auf einer Farm in der Nähe das berühmte Rockfestival über die Bühne geht. Lebenskünstler trifft man hier das ganze Jahr. In der Luft hängt der Duft von Räucherstäbchen, die Menschen tragen Blumen im Haar oder Samtpantoffeln mit Zierschnallen. In der englischen Kleinstadt, über die man sagt, sie sei das sagenhafte Avalon, musizieren Blockflötenspieler und Gitarristen neben Shops, die "The Sound Healer" heißen oder "Rainbows End Cafe". Plötzlich erklingt eine Engelsstimme. Rein und fehlerfrei bringt sie Passanten dazu, stehen zu bleiben und sich umzusehen. Wo ist dieser begnadete Straßenmusiker? Als sich eine Traube gebildet hat, wird klar: Es ist der Stuckateur auf dem Baugerüst, der nicht für Geld und Publikum singt, sondern für sich - oder womöglich für König Artus. Bernhard Blöchl SZ vom 30. November 2018

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Mitten in ... Vancouver Busfahrer, die nicht Auto fahren können, sind wie Schriftsteller, die nicht schreiben können. Gefährlicher sind die Busfahrer. Kevin holt uns am Hotel in Vancouver ab, wir wollen mit Bus und Fähre nach Vancouver Island. Kevin tritt mit großer Pose auf, er ist mehr Zirkusdirektor als Busfahrer, so nach dem Motto: "Hereinspaziert, verehrtes Publikum, lachen Sie über die Clowns, zittern Sie ..." Ja, man lacht über den Fahrer. Und man zittert. Kevin bremst, wenn er nicht bremsen soll, er vergisst Fahrgäste, er fährt vor der Fähre auf die falsche Spur, er rumpelt über Randsteine, und er findet nicht aus Victoria heraus, der Hauptstadt von Vancouver Island; Fahrgäste zeigen ihm auf dem Smartphone den Weg. Als wir zurück sind, sagt Kevin: "Sie können bei meinem Arbeitgeber eine Bewertung über mich abgeben." Er lächelt. "Oder auch nicht." Gerhard Fischer SZ vom 30. November 2018

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Mitten in ... München Eine aufgebrachte Frau in einem Deko-Geschäft, mit ihren zwei Töchtern. Die Frau möchte den "Großeinkauf" ihrer zehnjährigen Tochter, wie sie sagt, zurückgeben. Sie verweist auf den Taschengeldparagrafen und darauf, dass der Kaufvertrag quasi gar nicht zustande gekommen sei. Der Gesichtsausdruck der Töchter schwankt zwischen ertappt und amüsiert; schuldbewusst ist nicht dabei. Die Mutter lädt wütend den Einkauf auf den Tresen und schimpft auf den Verkäufer, der allerdings gerade nicht da ist. Der Einkauf der Tochter? Das, was jeder normale Mensch kaufen sollte, wenn er unverhofft zu 50 Euro kommt: ein Kaugummiautomat und drei Kilo Kugelkaugummis. Der Verkäufer nimmt den Einkauf belustigt entgegen, aber nicht, ohne vorher das Kleingeld noch aus dem Automaten zu fischen und der Tochter zurückzugeben. Nora Reinhardt SZ vom 30. November 2018

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Mitten in ... Flensburg Auf dem Weg von Flensburg nach Aarhus, in einer dänischen Bummelbahn. Es meldet sich der Lokführer: "Guten Morgen, liebe Reisende. Heute haben wir leider keine Toilette an Bord." Kurze Pause. "Aber wenn jemand dringend muss, soll er Bescheid geben, dann machen wir einen Unterwegshalt." Mitreisende grinsen. Man schlägt die Beine übereinander. Der Weg führt durch flache, kahle Landschaft. Im Kopf tauchen Fragen auf: Hält der für jeden, der mal muss? Oder gibt es nur einen Sammelhalt? Wo genau geht man dann hin? Hinter den Baum? Und wenn da gerade kein Baum ist? So kahl hier ... Wie spricht man im Falle so eines Unterwegshalts miteinander? Wie mit dem Lokführer? "Moment, da drüben ist noch jemand. Der ist noch nicht ganz fertig. Momentchen noch." Und vor allem: Wann, verdammt noch mal, sind wir endlich in Aarhus? Georg Cadeggianini SZ vom 23. November 2018

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Mitten in ... Hollywood Sie hat noch etwa 30 Meter bis zur Supermarktkasse, da kommt plötzlich das nächste Lied aus den Lautsprechern: "She drives me crazy" von den Fine Young Cannibals. Sie, riesig, tiefdunkle Haut, atemberaubend makellos, zieht ihre Sonnenbrille auf und beginnt zu tanzen, als befände sie sich mitten im Musikvideo und nicht zwischen Kaugummis und Snacks. Wirft ihre Arme in die Luft, dreht sich, hüpft. Doch ihr Tanz scheint in Hollywood nichts Besonderes zu sein, keiner schenkt ihr Beachtung - bis auf die Kassiererin. "Honey!!!", ruft diese der Tänzerin entgegen. "Du bist ja den ganzen Weg auf mich zugetanzt!" Sie antwortet: "Natürlich, ich liebe diesen Song!" Die Kassiererin schweigt einen Moment. "Du warst doch zu seiner Zeit noch gar nicht geboren", sagt sie dann. "Ich schon ... Oh Honey, wie viele Männer ich verrückt gemacht habe!" Max Sprick SZ vom 23. November 2018

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Mitten in ... Zürich In Zürich leben und über die Preise klagen, ist so eine Sache. Na klar, manchmal fällt einem der Geldbeutel in den Kaffee, wenn man erfährt, dass dieser so viel kosten soll wie in Deutschland ein Mittagessen, andererseits: Irgendwie hat man's ja vorher gewusst. Und Deutsche, die den ganzen Tag über Geld reden? Muss auch nicht sein. An diesem Montag allerdings stockt mir der Atem. 4,50 Franken, etwa vier Euro, möchte der nette Verkäufer mit dem britischen Akzent für eine mikroskopisch kleine Dose Clotted Cream haben. Really? Der Mann verdreht die Augen. Ein Drittel des Preises gehe an den Zoll. "Rahmsteuer!" Er wirft die Hände zum Himmel. Was mehr als 15 Prozent Milchfettgehalt hat, sei gigantischen Steuern unterworfen, er habe einiges versucht, bei Schlagsahne gäbe es kein Pardon. Schicksalsergeben kaufe ich die Dose. Schmeckt ... ganz in Ordnung. Charlotte Theile SZ vom 23. November 2018

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