Reisen:Kolumbien, endlich wieder mit Zukunft

Viele Regionen galten lange als nicht bereisbar. Nun herrscht Frieden und Aufbruchsstimmung. Gründe für einen Besuch gibt es genügend.

Von Thomas Heinloth

Es gibt Tage in Bogotá, da ist das Glück ein Meerschwein. Sonntage zumeist, denn dann gehört die Carrera Séptima zwischen dem Goldmuseum und der Plaza Bolívar den Gauklern und Artisten, den Feuerspuckern und den Zauberkünstlern, den Tangotänzern, Akkordeon- und Ukulele-Spielern, Laiendarstellern aller Art, Pantomimen in chromglänzenden Raumanzügen, Schreihälsen, die Luftballons und Bier anpreisen, Taubstummen, die um ein paar kleine Münzen bitten. Und sie gehört Manuel Uribe Santos und seinen kleinen Nagern. "Die Séptima", sagt er, "ist sonntags mein Zuhause."

Sechs Meter Asphalt auf der Siebten Straße, acht Meerschweinchen und ein gutes Dutzend Plastikschüsseln mit je einem Loch - das sind die Eckdaten für Manuels Geschäftsmodell. Dann braucht er nur noch Publikum, das Lust hat auf ein kleines Spielchen. Im Halbkreis stehen die umgedrehten Schüsseln, jede mit einem Maiskorn darunter, und obendrauf der Wetteinsatz des Publikums. Dann rennen kleine Tiere unter großem Anfeuerungsgeschrei, suchen sich eine Plastikschüssel aus, und wer richtig lag mit seinem Tipp, bekommt das Vierfache seiner Pesos wieder. Den Rest schiebt Manuel Uribe Santos in die Tasche seines Anoraks. Die Geschäfte? Laufen blendend. "Schau dir die Séptima an: So viele Leute. Man findet kaum einen freien Platz zum Geldverdienen. Vor ein paar Jahren konnte man durch die Fußgängerzone hier noch mit dem Moped fahren."

Vor ein paar Jahren noch war ganz Bogotá ein Ort, den man besser ausließ, und unter den Hauptstädten Südamerikas war die Kolumbiens diejenige mit dem denkbar schlechtesten Ruf. "Mord, Dreck und Drogen", sagt Santos, "das war Bogotá." Vorbei. Nicht nur auf der Séptima hat man die düstere Stadtgeschichte abgeschüttelt wie einen lästigen Albtraum. Die Klebstoffschnüffler und die Kleinkriminellen in den Altstadtgassen vertrieb das Militär. Problemviertel wurden kurzerhand eingeebnet - und zu Parkanlagen umgewandelt. Die Kokain-Kartelle, die den Staat mit Autobomben terrorisierten, sind mittlerweile Mittelständler und haben das Feuer eingestellt.

Heute schweben die Liebespärchen wieder mit der Gondel hinauf zum Monserrate, dem Hausberg Bogotás, um am Mäuerchen der weiß getünchten Wallfahrtskirche zwischen Trompetenbäumen und Jasmin Händchen zu halten. Auf der Plaza Bolívar, wo 1985 Panzer den besetzten Justizpalast in Brand schossen, tanzen sich in einer Samstagnacht Zehntausende gemeinsam warm, bei einem Salsa-Konzert unter den blassen Sternen. Der Eintritt ist umsonst, das Bier ist alkoholfrei, nur eine Handvoll Polizisten sorgt für Sicherheit. "Die Angst", sagt Manuel, "die Angst ist weg." Und jetzt also auch noch Frieden.

Nur ein paar Hundert Meter weg von Manuels Meerschweinchen-Parcours, im altehrwürdigen Teatro Colón, unterschrieben Ende November Farc-Guerilla und Regierung im zweiten Anlauf den Vertrag, mit dem Kolumbien zurück will in den Kreis der ganz normalen Länder. Keine Checkpoints auf den Straßen mehr, keine Reisewarnungen, keine schraffierten Flächen auf Kolumbiens Karte: die Gegenden, in denen die Farc das Sagen hat.

In San Agustín etwa hat das Militär zwar einen Posten gleich am Markt, außerhalb der Stadt aber, in den feuchtgrünen Hängen, in den Bambushainen, zwischen den hohen Kochbananen-Stauden und den Feldern für Maniok und für Mais, regierte über Jahre die Guerilla. Luis Alejandro Ortega ist immer gut mit ihr ausgekommen.

"Man erkennt die schon von Weitem, weil sie Gummistiefel tragen", sagt er, "und dann trinkt man eben eine Tasse Kaffee." Nie habe er so etwas wie "Revolutionssteuer" bezahlt und nicht einen seiner Söhne in den Krieg gegen die Regierung geschickt. "Ich habe", sagt er, "immer einfach nur Kaffee angebaut."

Zwei Jahre ohne einen Toten: Das werten sie hier als Zeichen für den Neuanfang

Auf sieben Hektar hat er seine Sträucher stehen, im Halbschatten zwischen Avocadobäumen. In diesen Wochen läuft die Ernte, und über Ortegas Finca liegt das Rattern der gusseisernen Maschine, die das rote Fleisch der Kaffeefrüchte von den Bohnen trennt. Gut zehn Tonnen Rohkaffee bringt er in Durchschnittsjahren ein, heuer dürften es deutlich mehr sein, die Ernte war perfekt. "Und der Preis", sagt er, "ist endlich wieder oben." 8160 Pesos, etwa 2,50 Euro, bekommt er derzeit für das Kilo, fast doppelt so viel wie bislang. "Was für ein Jahr!"

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Die Nachricht von der historischen Unterschrift im Teatro Colón hat auch San Agustín elektrisiert. "Endlich", sagt Ortega, "gibt es einen Neuanfang." Die letzte Zeit war es schon ruhiger geworden, die Guerilla immer tiefer irgendwo im Busch, die Gewalt nicht mehr allgegenwärtig. "Seit zwei Jahren haben sie hier keinen mehr erschossen." Und nun soll aus dem Waffenstillstand Frieden werden. "Darauf haben wir so lang gewartet."

Schönheit auf den zweiten Blick, dann aber umso betörender

Gleich hinter seinen Kaffeesträuchern liegt die eigentliche Attraktion des Ortes: Der Parque Arqueológico und seine geheimnisvollen Statuen. Keiner weiß, wie die rund 300 mannshohen Figuren vor gut 2000 Jahren hierher kamen, wozu sie dienten, was genau sie darstellen sollen. Meist sind es wohl Schamanen, halb Mensch, halb Tier, rätselhafte, grinsende Gestalten, aus Lavastein und aus Basalt gehauen, mal anrührend und mal verstörend, mal mit Jaguarzähnen, mal mit einem Affenkopf. Ein Uhu, der sich eine Schlange krallt, eine Frau mit aufgerissenen Augen, in der Hand ein Neugeborenes. Dazwischen Grabanlagen, Erdwälle und ein Zauberwald: uralte Ficus- und Feigenbäume, mit Epiphyten überwuchert. Über den Orchideen tanzen handtellergroße Schmetterlinge, und in der feuchten Luft liegt das Schnarren von einer Million Zikaden.

"Keiner weiß", sagt Ortega, "ob da noch mehr Grabstätten irgendwo im Dschungel liegen." Solange die Guerilla den Busch regierte, traute sich kaum ein Archäologe her, um nachzusehen. Jetzt stellt man sich in San Agustín auf Besuch ein. Links von Luis Alejandro ist eine Pension geplant, sein Nachbar rechter Hand hat sich ein paar Pferde angeschafft und bietet Tagestouren an: hinunter zum Río Magdalena, nach "El Estrecho", da, wo der noch junge Fluss hellbraun schäumend durch eine Felsenenge schießt.

Guacacallo, Fluss der Gräber, nannten die indigenen Völker den Río Magdalena in seinem Oberlauf, und in der engen Schlucht, die er sich hier gegraben hat, sitzen steinerne Grabwächter über den Stromschnellen im Fels. Seit Kurzem gibt es Rafting-Touren hier, und man könnte tatsächlich durchfahren, den ganzen Fluss hinunter, gut 1500 Kilometer weit, bis in den Norden, wo der Río Magdalena nach einer langen Reise bei Barranquilla in die Karibik mündet.

Im Westen liegt dann Cartagena, Kolumbiens Vorzeige-Ort und Ziel beinahe jedes Karibik-Kreuzfahrtschiffs, im Osten Santa Marta, eine Schönheit auf den zweiten Blick, dann aber umso betörender. Am besten, man kommt am späten Nachmittag hierher, wenn die Schatten länger werden und die Salzluft an der weiten Uferpromenade milde. An den Ausläufern des Stadtstrands baden dann die Menschen in den Wellen vor den Lastkränen des Containerhafens, und wer nicht ins Wasser geht, sieht den Tankern draußen zu.

Auch der Parque Santander ist ein guter Ort in der letzten hellen Stunde eines Tages, und wenn es dämmert, macht er seinem Beinamen alle Ehre: Parque de los Novios. Im Park der Liebespaare gehört an diesem Abend die eine Hälfte den Mädchen und einer Model-Agentur, die zu einem Casting eingeladen hat. Mit klarem, geraden Schritt stolzieren Santa Martas Schönste hier von einem Pavillon den Steg hinunter und ziehen sich unter Pfefferbäumen und Flamboyants die Lippen nach.

Die andere Park-Hälfte ist Bühne für die Jungs, die sich um einen Ghettoblaster scharen, wilde Breakdance-Akrobatik zum Besten geben und Blicke tauschen mit den Schönheiten von gegenüber. Santiago tanzt schon eine ganze Weile, fast jeden Abend kommt er hierher, Freunde treffen und trainieren. "Sonst", sagt er, "gibt's hier nicht viel zu tun." Fliesenlegen und Sanitärtechnik hat er eigentlich gelernt, doch die koloniale Altstadt Santa Martas harrt noch ihrer Generalsanierung, und so wartet auch Santiago noch immer auf einen guten Job. Einen, mit dem er endlich von zu Hause ausziehen könnte mit seinem Mädchen.

Auswandern in die USA? Warum sollten sie das tun, jetzt, da es hier eine Stunde null gibt

Sein Elternhaus liegt nur ein paar Straßen weiter, ein pastellgelber, eingeschossiger Bau, von dem die Farbe blättert, die Veranda zur Straße hin vergittert, damit man dem Nachtwind Fenster und Türen öffnen kann. Und nach hinten raus ein kleiner, begrünter Patio: Platz genug für einen Schaukelstuhl, ein bisschen Obst und das Geflügel. Santiago bringt kaltes Dosenbier, dann erzählt er von seiner und Kolumbiens Zukunft. Im Herbst saß er schon fast auf einem gepackten Koffer und wollte nach Los Angeles, vielleicht auch nach Las Vegas. Was aber soll er da - jetzt, wo Donald Trump regiert? "Als Latino", sagt er, "kannst du die USA vergessen." Und dann ist da die Stunde null, mit der Kolumbien das neue Jahr beginnt.

Das Friedensabkommen hat die Wachstumsprognosen der Wirtschaftsforschungsinstitute beflügelt und die Buchungszahlen der Tourismusindustrie nach oben schnellen lassen. "Vielleicht", sagt Santiago, "wird Amerika ja jetzt im Süden richtig groß." Er jedenfalls wird erst einmal bleiben.

Das hellblaue Geviert Himmel über dem Innenhof wechselt ins Dunkelblaue. Santiago geht ins Haus, noch zwei Dosen "Club Colombia" holen. Nebenan kichern die Nachbarskinder. Hoch über den Papayas drehen die Papageien kreischend Pirouetten. Und in den Orangenbäumen haben sich die Hühner zum Schlafen niedergelassen, zuversichtlich, heiter.

Reiseinformationen

Anreise: Ab Frankfurt z. B. mit Lufthansa nach Bogotá, hin und zurück ab ca. 630 Euro; von dort fliegt Avianca nach Pitalo bei San Agustín oder Santa Marta.

Sicherheit: Die Farc hat ihre Kampfhandlungen eingestellt. Mit der zweiten Guerilla-Gruppierung, dem ELN, gibt es noch kein Friedensabkommen, sie ist aber kaum noch aktiv. Paramilitärische Verbände und Drogenkartelle gibt es noch in den Grenzgebieten zu Venezuela und Panama. In den touristisch relevanten Regionen ist die Sicherheitslage entspannt.

Reisearrangement: Studiosus bietet eine 16-tägige Rundreise an, bei der es auch nach San Agustín und Santa Marta geht, ab 4190 Euro, www.studiosus.com

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