Königreich Bhutan:Wo Glück das Wichtigste ist

Der Zeit voraus und doch hinterher: Das kleine Königreich Bhutan versucht eigenwillig den Spagat zwischen kultureller Tradition und der Hinwendung zur Moderne.

Gernot Sittner

Dasho Kado könnte als typischer Vertreter seines Volkes gelten. Doch eher erscheint er als Unikat unter seinesgleichen, und das liegt nicht nur an seinem Auftreten.

Dasho Kado - etwa 60, massige Gestalt, Glatzkopf, spitzer grauer Kinnbart. Bevorzugte Kleidung: der traditionelle Gho, ein knielanger Mantel, seit dem 17.Jahrhundert offizielles Kleidungsstück. Dasho Kado war Chef der Leibgarde des Königs von Bhutan, ein Mann, der sich allein schon durch seine Erscheinung und seine dröhnende Stimme schnell den ihm gebührenden Respekt zu verschaffen vermag.

Vom regierenden König wie von dessen Vorgänger spricht er voll Verehrung und Hochachtung, auch wenn es Gerüchte gibt, dass ihn der König, dem er so treu gedient hatte, mal zur Strafe auspeitschen ließ. Wenn ihm ein Mitglied des Königshauses eine Audienz gewährt, trägt er zum Gho stolz den roten Kabney, eine Schärpe, die ihn als einen vom König ausgezeichneten Bürger ausweist, und spricht, wie es Landessitte und Zeremoniell verlangen, nur mit gedämpfter Stimme, die Hand vor dem Mund.

Andererseits steht Dasho Kado heute nicht mehr in Diensten des Königshauses, sondern hat eine Reiseagentur. Sein liebstes Arbeitsgerät wurde in Bhutan erst vor sechs Jahren zugelassen: das Mobiltelefon. Es vergehen keine fünf Minuten, in denen er es nicht aus den Tiefen seines Ghos herausfischt, anruft oder angerufen wird. Und Dasho Kado versteht offensichtlich sein Geschäft. Halb Bhutan scheint ihn zu kennen. Wenn er bei sich zu Hause Gäste aus dem Ausland bewirtet, folgen auch der Gesundheitsminister oder der oberste Richter Bhutans gerne seiner Einladung.

Bei Dasho Kado kann man Trekkingtouren buchen oder Ausflüge zu den Dzongs, den Klosterburgen, und er vermittelt auch eine Audienz bei der Großmutter des Königs. Dennoch sollte man in Bhutan nicht darauf setzen, dass alles nach Plan verläuft, ehe man das Land wieder verlassen hat. Auch ein Dasho Kado hat nicht alles in der Hand.

Umwelt- und Naturschutz als Teil der Verfassung

Es ist zum Beispiel nicht ausgeschlossen, dass sich am Ende die Abreise verzögert. Denn wenn durch das enge Tal von Paro, in dem auf mehr als 2200 Metern Meereshöhe der einzige Flughafen des Landes liegt, schon vormittags ein heftiger Wind fährt, dann ruht der Flugbetrieb, und der Aufenthalt im Land des Donnerdrachens verlängert sich wider Willen.

Es gibt so gut wie keine Alternative: Außer dem Luftweg führen kaum andere Routen nach Bhutan. Nach Norden zu verstellen Himalaya-Berge bis zu einer Höhe von mehr als 7500 Metern den Übergang nach Tibet; dort treffen sich, so wird erzählt, allenfalls mal Grenzwächter von beiden Seiten auf eine Zigarette, wenn sie Schmugglern auf der Spur sind. Von Süden, aus Indien, führen zwar einige wenige Straßen ins Land hinein, in die schmale Niederung der Duar-Ebene, aber ein seriöser Reiseführer wird diese zeitaufwendige Anfahrt nicht empfehlen.

Zum nördlichen Nachbarn pflegt Bhutan kaum Beziehungen, für den südlichen ist es eine Art Pufferstaat gegenüber China. Das lässt sich Indien etwas kosten, es finanziert viele Infrastrukturprojekte Bhutans. Die indische Rupie ist neben der Landeswährung Ngultrum ein übliches Zahlungsmittel.

Irgendwie ist Bhutan der Zeit voraus und hinkt ihr zugleich hinterher. Was das Land so schwer zugänglich macht, stellt auch sein wertvollstes Kapital dar: ein ungewöhnlicher Naturreichtum - hohe Berge (80 Prozent Bhutans liegen über 2000Metern) und tiefe Täler, gewaltige Schluchten und reißende Flüsse, Urwälder, in denen noch Tiger und Schneeleoparden, Bären und Affen leben.

Bhutan hat sich in seiner Verfassung dem Schutz seiner Umwelt und Natur verpflichtet, alle Unternehmen sind dem untergeordnet. Wie wichtig dies ist, lernen die Kinder schon in der Schule. Anders als der Nachbar Nepal hat Bhutan auch der Versuchung widerstanden, sich dem Massentourismus zu öffnen. Der Numerus clausus funktioniert ganz einfach: Der Tourist zahlt 230 US-Dollar pro Tag; für Unterkunft, Verpflegung, Reiseführer und eine Staatsabgabe.

König Jigme Singye Wangchuck war klug genug, aus den politischen Unruhen in benachbarten indischen Bundesstaaten und in Nepal für sich und sein Land Konsequenzen zu ziehen. Vor vier Jahren dankte er freiwillig ab und verband den Thronverzicht zu Gunsten seines Sohnes Jigme Khesar Namgyel Wangchuck mit der Ankündigung der ersten Wahlen zu einer Nationalversammlung.

Nicht alle Regeln Buddhas werden streng befolgt

Bhutan ist jetzt eine konstitutionelle Monarchie, dessen Staatsoberhaupt, der noch unverheiratete, 30-jährige "Drachenkönig", beim Volk in hohem Ansehen steht, auch bei Dasho Kado, der ihn von klein auf bewacht und betreut hat. Ein Erinnerungsfoto in seiner guten Stube zeigt ihn als damals amtierenden Leibwächter mit dem späteren Thronfolger auf dem Rücken.

Als Staatsreligion prägt der Tantrische Buddhismus seit dem 17.Jahrhundert das Leben. Überall im Land stehen die kleinen Stangenwälder mit den im Wind flatternden Gebetsfahnen, in Städten, Dörfern und auf Passhöhen. Mönche genießen hohes Ansehen, der Staat garantiert die Existenz ihrer Klöster.

Aber nicht alle Regeln Buddhas werden auch heute noch streng befolgt. Rauchen auf öffentlichen Plätzen ist eigentlich ebenso verboten wie der Handel mit Tabak. Buddha predigte zwar Enthaltsamkeit, aber "Red Panda", ein in Bhutan nach deutschem Rezept gebrautes Weißbier, scheint auch bei den Einheimischen, die es sich leisten können, sehr beliebt zu sein. Eine gewisse Sorte Gras wächst in Bhutan wie anderswo Brennnesseln und wird an die Schweine verfüttert. Mittlerweile ist es zum Problem geworden, weil sich auch hier herumgesprochen hat, dass sich aus Cannabis besser Profit schlagen lässt.

Erst vor elf Jahren wurde ein großes Tabu gebrochen: Das Land hat das Fernsehen erlaubt; aus Rücksicht auf die eigene Kultur war es bis dahin verboten gewesen.

Es fällt nicht schwer, sich in Bhutan zu verständigen. Zwar sprechen und verstehen vor allem die Älteren auf dem Lande nur Dzonghka, die offizielle Landessprache, aber die meisten Jungen beherrschen Englisch. Die Regierung bemüht sich sehr darum, dass alle Kinder zumindest Primarschulunterricht erhalten. Auf die Frage, wo sie nach Abschluss ihrer Ausbildung einen Arbeitsplatz finden werden, wissen allerdings nicht nur die Eltern keine Antwort. Jugendarbeitslosigkeit ist schon jetzt ein drängendes Problem.

Zu Fuß und auf Pferderücke

In Bhutan gilt freie Fahrt; ein Tempolimit außerhalb von Städten und Dörfern erübrigt sich auf den schmalen Straßen, die nur selten über längere Strecken geradeaus führen. Das bringt es mit sich, dass Exkursionen zu einem zeitaufwendigen Unternehmen werden, zumal das Land übersät ist mit einzigartigen Tempeln und Klosteranlagen, die - bei aller Vielfalt in den Details - in einem einheitlichen, unverwechselbaren Baustil gehalten sind; der prägt sogar die einfachsten Bauernhäuser. Holz, Lehm und weißgekalkte behauene Steine sind das bevorzugte Baumaterial.

Eine Fahrt von Thimphu in den Osten des Landes zum Besuch einiger der schönsten und eindrucksvollsten Klöster mit ihren buddhistischen Kunstschätzen nimmt mehrere Tage in Anspruch. Sie führt von der Hauptstadt mit ihrem festungsartigen Sitz der Regierung und des königlichen Kabinetts, in dem aber auch Hunderte Mönche und Lamas leben, zunächst zur großartigen Anlage des Punakha-Klosters. Es liegt in einem fruchtbaren, freundlichen Tal am Zusammenfluss von Mochu und Pochu (Mutter- und Vater-Fluss). Weiter im Osten geht es in die Täler vom Bumthang, Trongsa und Lhüntse, nach Tashigang, Merak und Sakteng.

Dasho Kado erwartet seine Gäste in Jakar, auf halbem Weg in den Osten Bhutans - und er hat diesen Ort für ein Rendezvous wohl nicht zufällig gewählt: ein weites Tal auf mehr als 2500 Metern, wie geschaffen für kurze Wanderungen und längere Trekkingtouren.

Hier sind einige der bedeutendsten Heiligtümer des Landes, etwa der Tempel von Jampey Lhakhang, der schon im Jahr 659 erbaut worden sein soll. Noch bis in die siebziger Jahre war diese Landschaft nur zu Fuß oder auf Pferderücken zu erreichen. Heute wird in Jakar das "Red Panda" gebraut, und Dasho Kado führt seine Gäste auch zu einer stattlichen Hütte, in der sie bei einem Schweizer original Schweizer Käse kaufen können. Die Zivilisation hat auch Bhutans Landesmitte, das Bumthang-Tal, erreicht, aber wenn trotzdem abends der Strom ausfällt, gehört das für Dasho Kado zu den Alltäglichkeiten, die nicht der Rede wert sind.

Am intensivsten ist Bhutan fernab der Straßen auf einer Trekkingtour zu erleben. Zur Auswahl stehen alle Schwierigkeitsgrade zwischen 2000 und 5000 Metern Höhe. Die einfachsten dauern nur drei Tage; für die anspruchsvollste Tour sind mindestens drei Wochen zu veranschlagen. Wer Trekking liebt, kann nach der Landung in Paro erst einmal auf das Auto verzichten, zunächst zum "Tigernest" hinaufsteigen, dem Klosterheiligtum Taktshang, das 800Meter über der Talsohle an einer Felswand klebt, und sich dann in einer Mehrtageswanderung nach Thimphu führen lassen.

Glück als Staatsräson

"Bildung oder Tunnel?", fragte vor kurzem eine in Thimphu erscheinende Zeitung: Soll Bhutan vorrangig in die Ausbildung seiner Jugend investieren oder in den Bau von Tunneln, die den Verkehr im Hochgebirge erleichtern? Zum Vermächtnis des früheren Königs gehört das Ideal der "Gross National Happiness", des Bruttonationalglücks, das Jighme Singye Wangchuck als wichtigstes Wirtschaftsziel Bhutans propagierte: eine Art Gegenkonzept zur Politik der grenzenlosen Steigerung des Bruttosozialprodukts.

Bhutans Wirtschaft soll wachsen, und seine Bewohner sollen mehr und mehr in den Genuss zivilisatorischer Errungenschaften kommen. Aber eine eigens dafür berufene Staatskommission hat darüber zu wachen, dass dabei nicht buddhistische Werte und die einzigartige Kultur des Landes zu Schaden kommen. Denn anders, so des Königs Vision, ist individuelles Glück nicht möglich.

Bildung oder Tunnel? Dasho Kado und seine Branche werden sich wohl darauf einstellen müssen, ihre Gäste auch künftig über hohe Pässe und nicht durch Tunnel zu den Naturschönheiten und Kunstschätzen Bhutans zu bringen.

Informationen:

Anreise: Über Bangkok, Kathmandu oder Kalkutta. Von dort ausschließlich mit der staatlichen bhutanischen Drukair nach Paro, dem Flughafen der Hauptstadt-

Arrangement: Bhutan-Reisen bieten mehrere Reiseveranstalter in Kooperation mit bhutanischen Partnern an, die auch das Visum besorgen. Bei der Einreise ist für das Visum eine Gebühr von 20 US-Dollar zu entrichten.

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