Nicht nur London ist in England ein attraktives Ziel für Touristen, die vor Ort ihre Begeisterung über den schönen Urlaub aber nicht zu temperamentvoll herausposaunen sollten. Auch sonst gibt es viele Möglichkeiten, den steifen Briten auf die Zehen zu steigen. Doch keine Sorge, sie werden sich gleich dafür bei Ihnen entschuldigen. Ein Überblick über mögliche und unmögliche Fettnäpfchen in England. Begrüßung Formvollendet ist die Frage "How do you do?". Diese ist als Floskel anzusehen und mit der Gegenfrage "How do you do?" zu beantworten. Auch auf "How are you?" reicht ein "Fine, thank you." Ihr tatsächlicher Gemütszustand spielt für die Antwort keine Rolle. Auch ein "Nice to meet you!" ist eine ausreichend höfliche Eröffnung. Wenn Sie sich unbedingt namentlich vorstellen wollen, warten Sie zumindest diesen Gesprächsbeginn ab - vielleicht auch noch das Wettergeplänkel, wobei Nicht-Insulaner etwas weniger über Nieselregen oder Hitze lamentieren sollten als die Einheimischen. Und bitte nicht umarmen und Küsschen verteilen - das wäre mehr als eine Spur zu nah. Wird Ihnen die Hand entgegengestreckt, dürfen Sie diese drücken. Kurz. Zum Abschied reicht ein körperkontaktloses "Have a nice day".
Anrede So zurückhaltend die Engländer sind, so großzügig sind sie mit Koseworten: Alles Mögliche ist "wonderful" und "lovely", ein jeder ein "dear", "darling" oder gar "love". Das ist nett gemeint, sollten Sie aber nicht persönlich nehmen: "Love" ist keine Einladung zu mehr Nähe als nötig, Schätzeken! Kurios wird es in manchen Regionen, in denen Fremde freundlich als "duck" oder "pet" angesprochen werden - was nicht despektierlich gemeint ist. Schon gar nicht, wenn man um die überbordende Tierliebe der Engländer weiß. Diese gehen bei geschäftlichen und privaten Kontakten sehr schnell zum Vornamen über - diesen Schritt sollten Sie aber abwarten. Im Bild: Prinz Charles bemalt parfümierte Seifen in Entenform nahe Nizza, Südfrankreich.
Im Gespräch Während andernorts das Thema "Wetter" als Scheitern in der hohen Kunst des Smalltalks angesehen wird, sind Wind, Sonne und Regen jeder Art in England ein legitimes Mittel, um keine unangenehme Gesprächspause aufkommen zu lassen. Zum Glück ist das Wetter abwechslungsreich genug, um eine Unterhaltung am Laufen zu halten. Als normales kommunikatives Schmiermittel werden zudem "please" und "thank you" angesehen und erwartet. Wechselt Ihr Gegenüber plötzlich das Thema, könnten Sie etwas Unangenehmes angesprochen haben. Und: Auch in der Unterhaltung ist Vordrängen verpönt, also unterbrechen Sie Ihre Gesprächspartner nicht. Diese finden Sie eher im Pub an der Ecke, während anlasslose und damit erzwungene Kommunikation im Bus oder Park beim Briten nur einen Eindruck hinterlässt: Dass er nicht nur einen Wildfremden, sondern vielleicht sogar einen verrückten Wilden vor sich hat, dem mit größtmöglicher Reserviertheit zu begegnen ist. Falls Sie eine noch so kleine Bitte haben, überlegen Sie, wie Sie diese möglichst höflich formulieren könnten - und packen dann noch ein paar sprachliche Schnörkel drauf: "Could you do me a favour ..., please?" und "Would you be so kind ..., please?". So kommen Sie ohne Fauxpas an das Salz am anderen Ende des Tisches.
So sorry! Der Legende nach entschuldigen sich Engländer sogar, wenn ein anderer ihnen auf die Füße tritt. Wahrscheinlich ist das andauernde Entschuldigen so in Fleisch und Blut übergegangen, dass ihnen im Schreckmoment tatsächlich ein "Excuse me!" entfährt. Versuchen Sie, da mitzuhalten und allzeit höflich zu sein. Und zwischen den Zeilen zu entziffern, wann Ihnen ein Engländer womöglich gerade widerspricht - denn direkt wird er es nicht tun: Kritik oder andere Meinung wird gerne in Fragen verkleidet wie "Wäre es möglicherweise vielleicht besser ... ?" oder "Sind Sie sicher, dass Sie ...?". Übrigens, "very interesting" können Sie im besten Fall mit "ah, okay" übersetzen. Eventuell hat Ihr Gegenüber aber auch noch nie eine langweiligere Unterhaltung geführt. Oder von so einer völlig verblödeten Idee gehört. Sorry! Kritik Willkommen auf dem sozialen Minenfeld: Hier bewegen Sie sich sicher, wenn Sie das Problem höflichst so klein wie möglich reden: "I'm sorry but we may have a problem here. I'm afraid you have parked your car on my foot." Und während woanders im Klartext mitgeteilt wird, dass der Urlauber ja wohl das Zimmer mit Meerblick gebucht hatte und nicht das mit freier Sicht auf die Mülltonnen, ist diese Mitteilung in England dezent in eine Frage zu verpacken: "I'm sorry, might it be possible that there is a mix-up in our reservation?"
Haltung bewahren Dies ist das Ziel eines Engländers in fast jeder Situation: Überbordende Emotionen dürfen auf Beerdigungen, bei Fußballspielen und vielleicht noch bei royalen Hochzeiten gezeigt werden. Ansonsten gilt das Motto, "to keep a stiff upper lip": Kein Zittern der Oberlippe soll ein Gefühl verraten, mit hoch erhobenem Kopf wird den Widrigkeiten des modernen Lebens vom Straßenverkehr bis hin zum Wetter entschlossen getrotzt. Selbstdisziplin ist das Ziel und erklärt auch das legendär geduldige Schlangestehen der Engländer. Höchstens erhobene Augenbrauen verraten, dass der Wartende innerlich brodelt. Zum Glück ist auch Stoizismus weit verbreitet. Der Humor "Could be worse, could be raining." Wer es nicht versteht, kleinere und größere Rückschläge mit Humor zu nehmen, wird bei den Briten auf Unverständnis stoßen. Nichts ist für sie schlimmer als Menschen, die keinen Sinn für ihren lakonisch-trockenen Witz haben, der zur Haltung geworden ist. Dieser wird gerne mit todernstem Gesicht zum Besten gegeben. Sollten Sie also den Verdacht haben, dass gerade vielleicht eine Prise Ironie im Spiel ist, lächeln Sie zumindest versonnen. Im schlimmsten Fall wirken Sie etwas verschroben, was bei spleenigen Briten nicht schlecht ankommt. Hauptsache, Sie gelten nicht als humorfrei. Noch schlimmer wären nur laute Schenkelklopfer zu grölend herausposaunten Pointen.
Fettnäpfchen Ihr Gesprächspartner wendet sich ab, die Nase gerümpft, die Augenbrauen zucken missbilligend? Dabei sind Sie gerade noch so amüsant über die königliche Familie hergezogen. Doch Royal ist nicht gleich Royal: Während etwa Prinz Charles durchaus zum Ziel von Spott - gewürzt mit besagtem trockenen Briten-Humor - werden darf, steht die Queen über solch profaner Kritik. Von ihrem Thron darf sie keiner stoßen, schon gar kein dahergelaufener Tourist vom Kontinent. Wird bei einer Rede ein Toast auf die Queen ausgesprochen, erheben sich alle Zuhörer - ja, auch der ausländische Besucher. Womit sich ein Sitzenbleiber noch unbeliebt machen kann: Gespräche über den Zweiten Weltkrieg, den Brexit (im ungünstigsten Fall mit moralinsaurem Unterton), die Fehler der englischen Nationalmannschaft und Vordrängeln in der Warteschlange. Zudem ist laute Kritik verpönt: Völlig entnervte Engländer lassen sich höchstens zu einem geschnaubten "Typical!" hinreißen. Ein unverzeihliches Fettnäpfchen: Schotten, Nordiren und Walisern mitzuteilen, sie seien Engländer. Sie sind höchstens Briten - wenn überhaupt. Übrigens: Wer eine Briefmarke der Queen falsch herum aufklebt, begeht Majestätsbeleidigung.
Interkulturelle Missverständnisse Engländer lieben ihre Haustiere - Hunde im speziellen - und können nicht verstehen, dass nicht alle Urlauber ihre Einschätzung teilen, dass possierliche Vierbeiner oder anbetungs- und beobachtungswürdiges Federvieh im Zweifelsfall lärmenden, schmutzenden Kindern vorzuziehen sind. Ein absolutes No-go ist folglich, das Fehlverhalten selbst des hinterhältigsten, inkontinentesten, trommelfellzerkläffenden Wadenbeißers auch nur ansatzweise zu bemängeln. Halten Sie notfalls auch Ihr zweites Bein hin. Kritisieren dürfen nur die Tierbesitzer, die dies mit solcher Nachsicht tun, dass ihnen einen Ehrenplatz im Hundehimmel sicher ist. Immerhin kommen Touristen so auch mit Einheimischen außerhalb von Pubs in Kontakt: Hauptsache, sie sprechen erst wohlwollend den Hund an, dann den Besitzer. Die Sozialanthropologin Kate Fox vermutet, dass ihre Landsleute die verzogenen Kläffer so freudig über die Stränge schlagen lassen, weil sie selbst sich jegliche Exaltiertheit versagen: Der Brite ist schließlich entweder vornehm-zurückhaltend und oft peinlich berührt - oder gebärdet sich wie ein enthemmter Hooligan. Nur der ausgewogene Mittelweg bleibt ihm in den meisten Fällen versperrt. Im Bild: Prinz Charles und Prinzessin Anne spielen mit einem Corgi am Strand von Holkham, 1957 - oder der Hund spielt mit ihnen.
Achten Sie auf Ihre Finger Mit einem Handzeichen können Sie jeglichen guten Eindruck zunichtemachen: dem Victory-Zeichen. Dieses ist in Deutschland völlig harmlos, doch in England entspricht es mit nach vorn gedrehtem Handrücken dem Stinkefinger. Auch ohne beleidigende Bedeutung setzen Engländer Gesten eher reduziert ein, wir sind hier schließlich nicht bei temperamentvollen Südländern, die mit ausladender Gestik anderen den Raum streitig machen. Ein Kopfnicken, ein dezentes Deuten - das war's. Im Restaurant Die schlechte Nachricht, falls Sie ins Restaurant eingeladen haben: Sie zahlen, und zwar für alle. Ansonsten heißt es teilen ("go Dutch"), aber nicht wie in Deutschland: Der Gesamtbetrag wird durch die Zahl der Gäste dividiert - egal ob einer von ihnen eine teure Flasche Wein und Hummer auf Kaviar bestellt hatte. Das Besteck wird erst aufgenommen, wenn allen serviert wurde, oder in einer lockeren Runde wenigstens jeder sitzt.
Tischsitten Die britische Küche war lange Zeit nur für ein Gericht berühmt: Fish and Chips. Dennoch machen es sich die Briten beim Essen alles andere als einfach. Eine ganz spezielle Tischsitte ist nicht wirklich logisch und praktisch schon gar nicht: Während die Deutschen die Wölbung der Gabel dafür nutzen, um draufzuschaufeln, was schwer aufzuspießen ist, verzichten Briten auf dieses Drehen und Wenden. Bei ihnen zeigt immer die Wölbung der Gabel nach oben. Der Knigge-Vorteil: Die Gabel kann so nicht überladen werden und der Mund genauso wenig. Der große Nachteil: Das Essen von naturrunder Nahrung wie den beliebten Erbsen dauert viel zu lang, manchmal scheint es unmöglich. Doch die Briten wissen sich zu helfen. Mit dem Messer pressen sie alles von hinten gegen die Zinken der Gabel und balancieren diese zum Mund. Wer als Tourist die Gabel dennoch wie gewohnt hält, begeht zwar keine große Stilsünde, überfrachten sollte man sie dennoch nicht. Denn wer will schon auffallen, weil er als Einziger den Mund zu voll nimmt? Wie sich vor allem die upper class noch das Leben schwermacht? Ein Löffel wird niemals ganz in den Mund geschoben und besser seitlich statt mit der Spitze voran - was natürlich keine Einladung zum Schlürfen ist.
Im Pub Der Pub ist der wahre Melting Pot der Briten - zumindest in ihrem Viertel: Hier schauen vor allem zum Feierabend gegen 18 Uhr Arbeiter und Angestellte auf dem Nachhauseweg vorbei. Wer sich allerdings einfach so niederlässt, sitzt auf dem Trockenen: Bestellt und bezahlt wird an der Theke, an der es ausnahmsweise keine Warteschlange gibt - der Wirt weiß aber, wer als Nächster drankommt. Hektisches Winken, Schnipsen und Rufen - pleeeaaase - ist unangebracht. Die Order sollte möglichst präzise ausfallen, "ein Bier" reicht nicht aus: Darf es ein Lager (ähnlich dem "Hellen" in Deutschland), Porter (dunkles, herbes Bier mit malzigem Geschmack - noch kräftiger ist das "Stout") oder Ale (beziehungsweise "Bitter", obergäriges Bier - Altbier und Kölsch würden dazu zählen) sein, als Half-Pint oder doch etwas größer als Pint (568 Milliliter, mehr oder weniger)? Schaum gilt übrigens meist als unnötiger Zierrat, der Platz für gutes Bier nimmt und den Zapfer unter Betrugsverdacht stellt. Wer im Pub essen will, bezahlt ebenfalls direkt am Tresen. Allerdings ordern Gruppen ab zwei Personen nicht jeder einzeln Bierchen für Bierchen: Einer bestellt eine Runde, das nächste Mal der andere. Trinkgeld ist übrigens nicht üblich, man kann dem Wirt aber mit den Worten "and one for yourself" ein Bier ausgeben. Er wird dann später kurz rüberprosten.
Trinkgeld In Restaurants gibt es einen "tip" von zehn bis 15 Prozent. Ist auf der Rechnung bereits "service charge" aufgeführt, darf es weniger sein. Für Kofferträger sollte der Gast zwei Pfund locker machen, im Taxi wird auf das nächste Pfund aufgerundet - außer der Fahrer war besonders freundlich und hat sich mit Ihrem Gepäck abgemüht: Dann sind zehn bis 15 Prozent des Fahrpreises eine willkommene Anerkennung. Im Pub kann man sich wie gesagt das Trinkgeld sparen - außer es steht ein Glas mit Münzen auf der Theke, was allerdings von manchen Pub-Stammgästen als Verwässern der Sitten angesehen wird. Also doch wieder nur Bier für den Wirt.
Einladungen Sie wurden tatsächlich privat eingeladen? Sie dürfen sich geehrt fühlen! Wer diese Schwelle überwunden hat, kann sich auf die dann große Gastfreundschaft der Engländer freuen. Diese Freundschaft erhalten kleine Mitbringsel, die möglichst keine unglücksbringenden Lilien sind. Gerne wird eine Flasche Wein entgegengenommen. Bei einer Party, die förmlich genug für eine Einladungskarte ist, steht vielleicht sogar "bring a bottle" darauf oder b.y.o.b. (bring your own bottle). Pünktlichkeit wird als Akt der Höflichkeit vorausgesetzt. Thank you Man kann sich im Leben gar nicht genug bedanken, schon gar nicht in England. Also danke für das Ale, danke für das Wechselgeld, danke, dass man bestellen durfte. Die deutsche Floskel "Nichts zu danken" würde in England auf völliges Unverständnis stoßen. Also bedanken Sie sich lieber einmal zu oft, bevor Sie als ruppiger Kontinental-Trampel gelten. Daher: Vielen Dank, dass Sie so freundlich waren, diese Knigge-Tipps bis zum Ende so überaus wohlwollend zu verfolgen. Wir hoffen, Sie haben noch einen schönen Tag und eine gute Reise. Wir wären sehr geehrt, Sie nochmals auf unserer Seite begrüßen zu dürfen. Vielen Dank schon mal dafür. Have a nice day. Im Bild: Königin Elizabeth II., Prinz Edward, Prinz Philip, Prinz Charles und Prinz Andrew im November 1979 vor Schloss Balmoral in Schottland.