Süddeutsche Zeitung

Kolumne: Einmal im Leben:Kirschblüte in Japan

Es sind nicht einfach nur rosa blühende Bäume, es ist ein Teil der japanischen Kultur: sich darunter zu versammeln, zu picknicken und zu feiern - oder sie in stiller Melancholie zu betrachten.

Von Thomas Hahn, Tokio

Es gibt zwei Arten, Hanami zu feiern. Die laute und die leise. Bei der lauten sind die blühenden Kirschbäume im Grunde nur die Kulisse für ein Picknick mit Getränken und Gesang. Japanische Geselligkeit ist nicht zu unterschätzen. Es kann dabei eng und bierselig werden. Firmen-Abteilungen schicken an den Festtagen eigens Leute voraus, damit sie an den klassischen Hanami-Orten wie dem Ueno-Park in Tokio einen Platz unter den Bäumen reservieren.

Während der Pandemie haben viele die laute Art vermisst, aber vielleicht lernte dabei mancher auch, die leise mehr zu schätzen. Denn die Kirschblüten einfach nur zu betrachten, ihre zarte, trotzdem irgendwie kraftvolle Schönheit wirken zu lassen, war in den Zeiten der Corona-Angst ein Trost. Und ist es das nicht auch jetzt, obwohl die Gesundheitskrise nicht mehr den Alltag bestimmt? Die Nachrichten erzählen von Krieg und Konflikten. Aber die Kirschbäume lassen sich nicht stören.

Erhaben stehen sie mit ihren schwarzen, knorrigen Ästen da wie angewurzelte Tänzer und zeigen ihr Blütenkleid in verschiedenen Tönen von Rosa. Zwei bis drei Wochen, nie länger. Dann taumeln die Blüten zu Boden wie warmer Schnee und rühren die Menschen erst recht. Hanami ist auch das Fest der japanischen Melancholie, eine Feier des herrlich-traurigen Daseins. So wie die Kirschblüte ist doch das ganze Leben. So schön, so kurz. Der Blick in die Zweige versöhnt mit der Vergänglichkeit, der niemand entkommt, und gleichzeitig kann man sich freuen, dass das Schauspiel der Blüte im nächsten Frühling aufs Neue beginnt.

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