Karstberge von Guilin:Nadeln aus Jade

Im Reich der Karsthügel, der Reisbauern und seit einiger Zeit auch der Sportkletterer: Die berühmten Karstberge von Guilin im Süden Chinas können nun auch bestiegen werden. Für die Einheimischen ist das ein gutes Geschäft.

Marlene Weiss

Der Hühnerei-Berg, er kann doch nicht so schwer zu finden sein. Na bitte, der Hügel da links, das muss er sein, eindeutig eiförmig. Wobei, der daneben, oder der dahinter? Schließlich fragt man eine alte Frau im Dorf. Das Hühnerei? Da geht es lang, auf dem Trampelpfad durchs Gestrüpp. Willkommen in Guangxi, China, im Reich der Karsthügel, der Reisbauern und seit einiger Zeit auch der Sportkletterer.

CHINA-ECONOMY-RICE

Im Tal bestellen die Bauern ihre Felder wie eh und je. Die Hügel bei Yangshuo aber erleben gerade einen Wandel: Sie werden mit Stahl-Bohrhaken für Kletterer versehen.

(Foto: AFP)

Die Stahl-Bohrhaken, in die das Seil eingehängt wird, sind beruhigenderweise die gleichen wie anderswo auf der Welt. Seil, Klettergurt und Karabiner kommen ohnehin von daheim, zuerst ist alles seltsam vertraut. Erst zwanzig Meter weiter oben, der sichernde Partner unten ist kaum noch zu sehen, kommt der Kulturschock: Im Monsundunst sieht man Seidenreiher über Reisfelder ziehen, in denen Bauern mit Strohhüten arbeiten. Dazwischen stehen schroffe Kalksteinhügel, die höchsten etwa zweihundert Meter hoch. Fast könnte man vergessen, dass man im Jahr 2011 hier ist, und dann auch noch für die westliche Modesportart Klettern. Aber da tauchen auch schon zwei lärmige spanische Kletterer mit ihren Mountainbikes auf und stören die Idylle.

Macht nichts, man kann nicht alles haben. Wenn nicht noch andere zum Klettern in die Gegend kämen, würde auch niemand Sicherungshaken anbringen. Und Qiu Xiang, der sich der Einfachheit halber Paul nennt, wenn er mit Ausländern spricht, wäre wohl arbeitslos.

Vor zwölf Jahren ist er zum ersten Mal geklettert. Das war am berühmtesten Berg der Gegend, am Yueliang Shan, dem Mondberg. Durch eine halbrunde Lücke im Kalkstein scheint der Himmel dort wie ein überdimensionaler Mond. "Von da an war ich süchtig", sagt Qiu heute. Inzwischen ist der 35-Jährige einer der besten Kletterer in der Gegend.

Im Jahr 2004 gründete er sein eigenes Kletterunternehmen namens Spiderman Climbing in Yangshuo, dem Touristenort im Zentrum der Hügellandschaft. "Seit vier oder fünf Jahren kommen stetig mehr Kletterer", sagt Qiu, "auch weil ein paar berühmte Leute hier Fotos für Magazine gemacht haben, das hat geholfen."

400 Kletterrouten

Wer vom Gipfel des Mondbergs über die Hügelketten schaut, die sich bis weit in die Ferne aneinanderreihen, wundert sich fast, dass die Kletterer diese Traumlandschaft nicht schon viel früher entdeckt haben. Schließlich ist sie nicht gerade ein Geheimtipp, auf jedem zweiten China-Reiseführer prangen Bilder von den einzigartigen Kalkstein-Hügeln am Li-Fluss.

"Turmkarst" nennen Geologen diese Gesteinsformationen. Entstanden sind sie vor etwa vierzig Millionen Jahren, als der tropische Regen den Kalkstein nach und nach aufgelöst hat. Übrig blieben die Hügel, viele von ihnen von Höhlen durchzogen.

Aber während Pauschalurlauber und Rucksacktouristen schon seit Jahrzehnten in die Gegend pilgern, ist das Klettern hier noch ein ziemlich junges Phänomen. Die ersten Routen am Mondberg erschloss in den frühen Neunzigern der US-Kletterer Todd Skinner, der vor einigen Jahren beim Klettern im Yosemite-Park tödlich verunglückte. Damals war der Sport in China noch nahezu unbekannt.

Später richtete der Chinese Huang Chao weitere Routen ein. Viele andere der inzwischen gut 400 Kletterrouten sind Paul Collis zu verdanken, einem Hobby-Alpinisten aus England. Er lebt in Hongkong und gibt seit 2003 hingebungsvoll einen Kletterführer für die Gegend um Yangshuo heraus, mittlerweile in neunter Kleinstauflage.

Das Geschäft mit den Sporttouristen

Schon jammern die ersten Pioniere, dass der Kletterboom droht alles zu zerstören. Denn viele wollen am Geschäft mit den Sporttouristen teilhaben. Mehrere kleine Unternehmen bieten Kurse an, seit einigen Jahren gibt es im Herbst ein Kletterfestival. Andere haben ein bequemeres Geschäftsmodell entwickelt: Immer wieder beklagen sich Kletterer, dass an Felsen grundlos Eintritt verlangt wird.

"Ich finde es richtig, dass die Einheimischen am Tourismus mitverdienen", sagt Paul Collis. Aber manchmal kommt er an eine Felswand, an der er selbst mit viel Mühe teure Sicherungshaken angebracht hat. "Und dann steht da einer, der nichts dafür getan hat, und will Geld von mir!" Das ärgert ihn so sehr, dass er inzwischen lieber in unbekannteren Gebieten in China klettern geht. Sein Routenverzeichnis wird Paul Qiu weiterführen.

Es ist ganz passend, dass damit ein Teil der Organisation in einheimische Hände übergeht. Denn mit dem rasanten Wirtschaftsaufschwung entdecken die Chinesen das Sportklettern - etwa die Hälfte seiner Kunden kommen aus China, schätzt Qiu. Die meisten der chinesischen Touristen reisen zwar nach wie vor für den klassischen Ferien-Dreiklang nach Yangshuo: Fotos machen, Essen, Karaoke singen; nur ein kleiner Teil will sich sportlich betätigen. Aber bei den Touristenhorden, die zur Ferienzeit über die Gegend hereinfallen, sind das ziemlich viele, und es werden immer mehr.

Wenn nur ein Prozent der Chinesen sich für Outdoor-Aktivitäten interessierte, würden wir so viel verdienen, dass wir das halbe Jahr Ferien machen könnten", sagt Yi Ouyang, und lacht. So weit ist es wohl noch nicht. Aber als er vor zehn Jahren anfing, in Yangshuo für einen der ersten Kletteranbieter als Guide zu arbeiten, gab es in ganz China nur ein paar hundert Kletterer; das hat sich geändert.

"Inzwischen hat jede größere Stadt einen Kletterverein", sagt Yi. Die Firma, bei der er arbeitet, hat sich im vergangenen Jahr auf allgemeine Outdooraktivitäten verlegt und bietet jetzt auch Fahrrad- und Kajaktouren an; mit Kletterkursen allein lässt sich wegen der großen Konkurrenz nicht mehr viel Geld verdienen.

Nach dem Klettern in einer der steilen Höhlen, die das tropische Klima einst ins Gestein gegraben hat, geht es zum Baden an den Fluss; der Weg führt in der goldenen chinesischen Abendsonne durch Reisfelder. "Der Fluss windet sich wie ein grünes Seidenband, die Hügel sind wie Haarnadeln aus Jade", schrieb der Dichter Han Yu vor 1200 Jahren über diese Landschaft. Das zumindest ist noch immer so.

Informationen

Anreise: Flug nach Guangzhou oder Hongkong hin und zurück circa 750 Euro. Von beiden Städten mit dem Nachtzug in 13 Stunden nach Guilin (www.chinatripadvisor.com). Von dort per Bus in 1,5 Stunden nach Yangshuo.

Unterkunft: In Yangshuo gibt es viele einfache Hotels, DZ ab fünf Euro. Empfehlenswert sind in Yangshuo die Ökohotels Yangshuo Village Inn und Yangshuo Mountain Retreat, DZ ab 40 Euro, www.yangshuoguesthouse.com.

Klettern: Die meisten Kletterfelsen sind gut zu Fuß, mit dem Fahrrad oder per Minibus zu erreichen. Information, Guides und Ausrüstung zum Beispiel über www.insight-adventures.com oder www.karstclimber.com.

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