Karibikinsel Saint Lucia:Verkaufte Schöne

Karibikinsel Saint Lucia: Die Pitons - im Bild der Petit Peton -, spitze Berge im Südwesten der Insel, sind das Wahrzeichen von Saint Lucia. In den Wäldern, durch die Führungen angeboten werden, leben seltene Vogelarten.

Die Pitons - im Bild der Petit Peton -, spitze Berge im Südwesten der Insel, sind das Wahrzeichen von Saint Lucia. In den Wäldern, durch die Führungen angeboten werden, leben seltene Vogelarten.

(Foto: Martin Moxter/mauritius images)

Saint Lucia blieb von den jüngsten Hurrikans in der Karibik verschont. Die Einheimischen fürchten eine andere Bedrohung: durch Investoren.

Von Pia Ratzesberger, Saint Lucia

Es ist kalt im Regenwald. Nirgendwo auf der Insel ist es so kühl wie hier, nur wenig Licht fällt auf den Pfad, und hoch droben verzweigen sich die Äste zu einer grünen Decke. Stille. Dann ist ein Knirschen zu hören, es sind die Stiefel eines Mannes, der jeden Tag durch diesen Wald stapft. Der keinen Ort so gut kennt wie diesen. Smith Jean Philip bleibt stehen, er lauscht, ob er ihn noch einmal hört, den Papagei von Saint Lucia. Doch wieder Stille.

Der Pfad führt nach oben, an einem Fels entlang ins Freie, Blick über einen Wald, wie er in einem Kinderbuch gemalt wäre, in allen Grüntönen, mit Palmen, so breit wie ein Fluss, und Farnen, so hoch wie ein Baum. Smith Jean Philip, 32, lehnt sich gegen das hölzerne Geländer und schaut hinüber zu den Bergen, den Pitons. Den Wahrzeichen seiner Insel. Der Süden, sagt er, sei für ihn das echte Saint Lucia. Der Norden sei ihm zu touristisch. Er ist sich nur nicht sicher, wie lange der Süden noch so bleibt.

Die Insel Saint Lucia liegt zwischen Martinique und Barbados, zwischen zwei Inseln also, deren Namen man fern der Karibik kennt, aber auch Saint Lucia hat sich in den lvergangenen Jahren verändert. Am Rand der Straßen weisen Schilder den Weg zu Luxusresorts, in den Häfen fahren Kreuzfahrtschiffe ein. Und wenn es nach der Regierung geht, soll der Tourismus noch viel mächtiger werden. Der Premierminister der Insel, Allen Chastanet, war zuvor Tourismusminister. Er plant im Norden der Insel gerade einen Delfinpark, und im Süden will er Land an chinesische Investoren verpachten. Ein Acre, also etwa 4000 Quadratmeter, soll gerade mal einen Dollar kosten.

Dabei hat Saint Lucia ohnehin alles, was sich ein Urlauber von der Karibik erhofft. Man muss sich ja nur einmal umsehen. Der Regenwald, die Berge, die Strände. Smith Jean Philip sieht sich um und sagt dann: "Natürlich habe ich Angst um die Insel."

Er pflügt weiter durch den Regenwald, mit Polohemd, langer Kette um den Hals und schweren Wanderschuhen. Er führt an manchen Tagen hier Touristen entlang, an anderen Schulklassen, um ihnen zu zeigen, wie der Wald funktioniert und wie wertvoll er ist. Schon als Kind sprang Philip morgens auf die Transporter der Förster auf, statt in die Schule zu gehen, und fuhr mit ihnen die Pfade ab - wer auf Saint Lucia auf der Ladefläche eines Autos steht und den Kopf in den Wind hält, fällt ohnehin nicht auf. Das machen alle.

Philip deutet nach oben zu den Baumwipfeln, in guten Momenten sind dort die seltenen Vögel zu sehen, fünf bedrohte Arten leben auf der Insel. Er zählt sie auf, als spreche er ein Gebet: die Blaumaskenamazone, auch Papagei von Saint Lucia genannt, der Rostbauchtyrann, der Luciawaldsänger, der Saint-Lucia-Gimpelfink und der Saint-Lucia-Trupial. Der Wald, sagt Philip, sei sein Leben.

Die Rotfeuerfische haben sich zu stark vermehrt. Jetzt kommen sie auf den Teller

Auch im Regenwald gibt es Rastplätze, und so setzt sich Philip nun auf eine der Holzbänke abseits des Pfades und beginnt zu erzählen. Seine Frau arbeitet auf einer Kakaoplantage, er als offizieller Guide bei der Verwaltung von Saint Lucia, und nebenbei bietet er auch eigene Touren an, vor allem für Vogelbeobachter. Auch er macht die Natur zum Geschäft, aber behutsam. Er sieht sich als Botschafter, will bewahren. Denn auf Saint Lucia hat sich in den vergangenen Jahren viel verändert.

Da sind noch immer die bunten Häuser, meist auf Stelzen gebaut, oft aus Holz, selten aus Stein. Die Imbissstände der Rastafari, es gibt dort vegane Pizza zu kaufen und Mangosaft. Da sind die Händlerinnen mit ihren Plastikplanen, auf denen sie Kokosnüsse anbieten, frisch aufgeschnitten, oder Bananen in ganzen Bündeln. Die Strände, an denen sich die Familien treffen, am Sonntag zum Picknick, und die Boote, die zum Fischen rausfahren, jeden Tag. Gerade versuchen die Männer, möglichst viele Feuerfische zu fangen, denn die Tiere mit dem Gift in den Flossen vermehren sich zu schnell. "Eat them to beat them" steht auf Schildern auf der ganzen Insel - "iss sie, um sie zu besiegen".

Da sind jetzt aber eben auch die Luxusresorts, in denen Kellner diese Feuerfische zum Dinner servieren. In denen Rikschas zwischen Privatvillen mit Pool umherfahren und manche Gäste mit dem eigenen Hubschrauber anreisen. Beim Frühstück sitzen dann an den Tischen vor allem Touristen aus den USA, aus Kanada und aus England, der früheren Kolonialmacht. Saint Lucia stand im 17. und 18. Jahrhundert immer abwechselnd unter französischer und britischer Herrschaft, von Beginn des 19. Jahrhunderts an sicherten sich die Engländer die Macht, und heute ist die Insel noch immer Mitglied im Commonwealth. In manchen der Resorts hängt ein gerahmtes Porträt von Königin Elisabeth II. an der Wand.

Die Gäste dieser luxuriösen Hotels wollen außer von der Queen lieber nicht beobachtet werden, und so haben sich viele der Resorts in Buchten geschmiegt, wo Prominente wie der Designer Tommy Hilfiger dann ungestört mit ihrer Yacht einlaufen können. Der Vorteil für alle Urlauber auf der Insel ist, dass diese Resorts von den Straßen aus nicht zu erkennen sind, und wenn man vom Flughafen im Süden der Insel Richtung Norden fährt, sieht man vor allem Natur. Cashewbäume und Kokosnüsse und Zimtbäume und Mangobäume und Passionsfrüchte.

Es fahren auch viele kleine Boote, auf dem Wasser sieht man mit ein wenig Glück Delfine, Wale - und spätestens dann stellt sich die Frage, warum die Regierung überhaupt noch einen Delfinpark bauen will. Die Delfine sind doch bereits da. Smith Jean Philip sagt dazu nur: "Ich hätte nicht gedacht, dass die Politik so verrückt ist."

Während er noch viele Jahre mit Blick auf die Pitons durch den Regenwald stapfen wird, sitzt etwa 50 Kilometer weiter auf einem Dorfplatz ein Mann, der dort sein Leben verbracht hat. Der frühere Förster wartet im Schatten gerade darauf, dass der Gottesdienst in der katholischen Kirche vorbei ist, er selbst ist Rastafari, glaubt eher an die Natur als an die Zehn Gebote - er will seine Frau abholen. Der Mann sitzt mit Polohemd und Flipflops vor der Grundschule von Babonneau, seit einem Jahr ist er jetzt in Rente, und er erinnert sich noch gut daran, wie dieser Ort aussah, bevor die Touristen nach Saint Lucia kamen. "Alles, was man hier sieht, war früher Feld, es gab kein Wasser und keinen elektrischen Strom. Alles, was du essen wolltest, musstest du selber anbauen." Gegenüber verkauft eine Frau frittierten Thunfisch in einem Imbiss, der Verschlag war früher einmal die Bücherei des Ortes, und das zeigt ganz gut, wie sich Saint Lucia entwickelt hat. Heute nämlich stehen die Bücher in dem großen, neu gebauten, hell gestrichenen Gemeinschaftshaus. An einer Wand hängt ein Schild, auf dem steht: "Hurricane Shelter". Wenn es stürmt, kommen die Menschen hierher.

In der Karibik gibt es keine Winter, stattdessen das ganze Jahr über Wärme, von Juni bis November aber ziehen Hurrikans über die Inseln. In den vergangenen Jahren traf es immer wieder die Nachbarinsel Dominica, Menschen starben, Häuser fielen zusammen, Wälder wurden umgefegt - Touristen kamen erst einmal keine mehr. Die Hotels auf Saint Lucia waren dann voller, allerdings nur, weil Gäste von anderen Inseln kamen, die dort keine Bleibe mehr hatten. Aus der Ferne machen die meisten keinen Unterschied zwischen den karibischen Inseln, wenn sie in den Nachrichten die Bilder sehen, buchen sie lieber keine Reise dorthin, weder nach Saint Lucia noch nach Dominica. Und genau das bereitet dem früheren Förster am Dorfplatz und vielen anderen auf der Insel Unbehagen. Sie fürchten, dass sich Saint Lucia zu abhängig vom Tourismus macht.

Der Mann in Babonneau, sein Gesicht von feinen Falten durchzogen, war in seinem Leben so viel im Regenwald, er kennt jeden Baum und jede Pflanze. Gleich neben dem neuen Gemeinschaftshaus steht ein Cashewbaum, auch ein Zimtbaum. Ein paar Straßen weiter tragen die Äste grünweiße Noni-Früchte, großen Beeren gleich. Der Saft soll gegen Krebs helfen, erzählen sich die Menschen hier. Die Natur sei doch das Wertvollste auf der ganzen Insel, sagt der frühere Förster, und trotzdem werde sie zu wenig geschützt. Die Menschen verließen sich viel zu sehr auf die Touristen, auf die Kreuzfahrtschiffe, die Hotels. Er schüttelt den Kopf, steht auf und klopft sich die Hose ab. Die Kirchenglocken läuten. Der Gottesdienst ist aus.

Die Türen der Kirche öffnen sich, die Menschen verlassen die Reihen, viele von ihnen sind fein gekleidet, mit Sakko und Kostüm. Der Innenraum der Kirche ist in verschiedenen Blautönen gestrichen, der ganze Ort kam damals zusammen, um das Haus zu renovieren. Der frühere Förster geht mit seiner Frau hinüber zu seinem Transporter, dreht sich noch einmal um und sagt: "Wissen Sie, wir haben nichts, was wir auf den Weltmarkt bringen können. Wir haben nur Sonne und Wasser."

Vielleicht aber ist das viel mehr wert.

Reiseinformationen

Anreise: British Airways fliegt von Frankfurt über London nach Saint Lucia, ab circa 820 Euro. Condor fliegt ab November wieder nach Saint Lucia, von Frankfurt oder München geht es über Manchester, hin und zurück ab circa 830 Euro.

Unterkunft: z. B. im Balenbouche Estate im Süden der Insel auf einer ehemaligen Plantage vermietet eine ausgewanderte Deutsche fünf Cottages - die frühere Scheune ist jetzt für Yoga gedacht. Ab circa 100 Euro die Nacht, www.balenbouche.com

Weitere Auskünfte: Vogelbeobachtungen zum Beispiel unter www.excitingtoursstlucia.com/bird-watching. Zur Insel allgemein: www.stlucia.org oder www.my-stlucia.org

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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