Karibik:Eine Insel zwischen Traum und Trauma

Morne Trois Pitons Nationalpark Landschaft im Morne Trois Pitons Nationalpark und die Ostküste von Dominica, Karibik, Mi

Der Morne Trois Pitons Nationalpark an der Ostküste Dominicas gehört zum Unesco-Weltnaturerbe - wegen des intakten Regenwaldes.

(Foto: Peter Schickert/ imago images)

Auf Dominica gibt es noch intakten Regenwald und spektakuläre Wasserfälle. Doch Hurrikans und der Corona-Lockdown haben das Land schwer getroffen. Wie geht es weiter?

Von Jens Kuhr

Bei Limetten waren wir mal Weltmarktführer", sagt Jeffrey Akwasi Asiedu und presst den Saft einer Limettenscheibe in den Hals der Flasche Carib-Bier vor ihm auf dem Tisch. Im Hintergrund läuft relaxter Reggae. An normalen Tagen herrscht zur Mittagszeit in der Hi Rise Bar am Hafen von Roseau Hochbetrieb. Die ersten Rum Punchs und Piña Coladas gehen über die Theke. Vom großen Balkon sind die aus ein paar Brettern und Balken zusammengenagelten Flöße der Fischer draußen auf der Karibischen See zu sehen. Asiedu führt seine Gäste gerne hierher. Der Reiseführer weiß, dass sie sich dann wohlfühlen. Doch seit Ende März herrscht hier Leere. Wegen der Corona-Pandemie war der Inselstaat Dominica bis zum 15. Juli geschlossen, niemand durfte rein, niemand raus. Dann lockerte die Regierung den Lockdown schrittweise. Für Touristen ist Dominica seit dem 7. August wieder geöffnet.

Die Insel ist in etwa so groß wie das Stadtgebiet Hamburgs. Und sie hat es in sich: Der über weite Teile intakte tropische Regenwald ist der ursprünglichste der Karibik und seit 1997 Unesco-Weltnaturerbe. 365 Flüsse sollen auf Dominica fließen. Dazu kommen Hunderte teils spektakuläre Wasserfälle und Bergseen sowie natürliche Pools mit unterschiedlichen Wassertemperaturen aufgrund vulkanischer Aktivität. Die Regierung hat der Insel den Slogan "The Nature Island" verpasst und wirbt damit um Gäste, die Naturerlebnisse suchen. Nach der Landwirtschaft ist der Tourismus mit rund 13 000 Arbeitsplätzen der zweitwichtigste Arbeitgeber des Landes mit knapp 70 000 Einwohnern.

Karibik: Wasserfälle und Schluchten gehören zur Insel, hier die Cathedral Falls

Wasserfälle und Schluchten gehören zur Insel, hier die Cathedral Falls

(Foto: Jens Kuhr)

Asiedu berichtet, wie sehr der Lockdown Dominica zugesetzt hat: Die Menschen durften ihre Häuser lediglich von acht Uhr bis 16 Uhr verlassen. Wer sich nicht daran hielt, musste Gefängnis fürchten. "Schlimmer ist, dass inzwischen nahezu alle, die im Tourismus gearbeiteten haben, ihren Job verloren", sagt Asiedu. Das habe den Wanderführer ebenso hart getroffen wie den Kellner oder Hotelangestellten. Zwar habe die Regierung den Betroffenen günstige Kredite über die staatliche AID-Bank angeboten, doch die müssten nach sechs Monaten in Raten zurückgezahlt werden. "Und dann haben die Leute ein zusätzliches Problem", sagt Asiedu. "Viele werden dadurch ihre Häuser verlieren." Da helfe auch nicht, dass die Regierung an die Bevölkerung Samen und Setzlinge für den Anbau von Gurken, Kohl, Wassermelonen und Mais zur Selbstversorgung verteilt habe. Asiedu ist sich sicher, dass der Tourismus in diesem und auch im nächsten Jahr nicht das Niveau aus der Zeit vor der Pandemie erreichen wird. Einmal mehr zeige sich die Abhängigkeit des Landes in einer globalisierten Welt. "Obwohl wir im Moment nur ein paar Infizierte haben, bisher insgesamt nur 24 und niemand gestorben ist", sagt er verärgert.

Angesichts der regelmäßig über das Land hereinbrechenden Katastrophen geht vielen vom Tourismus lebenden Bewohnern die Kraft aus. Vor zweieinhalb Jahren verwüstete Maria die Insel. Im September 2017 zerstörte der Hurrikan Hotels, Wohnhäuser sowie Wälder und Ackerflächen. Knapp zwei Jahre zuvor wütete Hurrikan Erika auf Dominica. Zwei Jahrhundert-Hurrikans innerhalb von 23 Monaten. Experten sind sich sicher, dass der Klimawandel für die Stärke und Häufigkeit solcher Ereignisse verantwortlich ist. Besonders hart traf es die steil zur Küste abfallenden Hänge im Südosten, die die Regierung zur verbotenen Zone erklärt hat. Hier darf niemand mehr wohnen.

Oberhalb dieses Küstenabschnittes, am Ortsrand von Bellevue Chopin, ist die Welt scheinbar in Ordnung. Im Osten kräuseln sich die Wellen des Atlantiks, im Westen leuchtet die spiegelglatte Karibische See. Hinter einem massigen Portal mit goldener Inschrift öffnet sich der Blick auf aufgeräumte Straßen und Gehsteige, die ocker-weiß gestrichene Reihenhäuser verbinden. Die mit chinesischer Hilfe aus dem Boden gestampfte Siedlung Ocean View ähnelt einem Seniorenparadies in Florida. Doch es ist die Behausung von rund 400 Menschen, die weiter unten nicht mehr leben dürfen. Zufrieden sind die ehemaligen Fischer und Farmer nicht. Ihnen fehlt Arbeit. Das Meer ist weit weg und das Land zwischen den Häusern, die nicht ihre sind, reicht gerade, um ein paar Bananen oder die Knollenfrucht Dasheen zu pflanzen. Manche Umsiedler gehen deshalb trotzdem zurück. Sie haben keine Wahl.

Forscher haben den Klimawandel und die Globalisierung als die beiden großen Gefährdungen für die Karibik ausgemacht. Der Künstler Earl Etienne sieht das ähnlich. Sein Atelier im Erdgeschoss seines Hauses im Ort Jimmit öffnet sich auf einer Seite fast komplett Richtung Garten. Auf dem großen Tisch in der Mitte stapeln sich Pappen, Farbtuben, Fischhaut, Fasern von Kokosnüssen. Etienne mag Textur. Und seine Insel.

Karibik: Der Künstler Earl Etienne setzt sich mit Globalisierung und Klimawandel auseinander. Beides trifft seine Insel hart.

Der Künstler Earl Etienne setzt sich mit Globalisierung und Klimawandel auseinander. Beides trifft seine Insel hart.

(Foto: Jens Kuhr)

Gerade hat er einen Sonnenschirm aus Plastikmüll gemacht. In den Neunzigerjahren waren seine Werke oft Statements gegen die Bananenunternehmen Chiquita und Dole. "Unwürdige Arbeitsbedingungen, durch Pestizide verursachte Krebserkrankungen. Wir hatten nichts davon", sagt der 63-Jährige. Auf dem Gemälde "Pray for bananas" tragen schwarze Personen Bananen-Kartons auf dem Kopf Richtung Horizont. Mit zunehmender Entfernung wandelt sich die Farbe der Kartons von Grün und Gelb zu Gold. "Der Weg der Banane aus der Natur zum Markt in England", sagt Etienne. Auf dem Bild "The beginning and the end" segelt dem Betrachter auf einer blutrot triefenden See die kleine Flotte von Kolumbus entgegen. Kolumbus hat Dominica zwar nie betreten, er segelte aber am 3. November 1493 an der Insel vorbei. Es war ein Sonntag, auf Spanisch "domingo", und die Insel hatte ihren Namen. Sie war die letzte von Europäern kolonialisierte karibische Insel. Die Kalinago, die Ureinwohner Dominicas, kontrollierten das Land noch rund 200 Jahre, nachdem Kolumbus vorbeigesegelt war. Dabei half ihnen nicht nur das bewegte Relief der Insel, sondern auch ihr sprichwörtlicher Mut.

Rund 3500 Nachfahren von ihnen leben heute im teils selbstverwalteten Kalinago- Territorium. Die acht Dörfer im Nordosten Dominicas sind jeweils durch einen Bach und das dazugehörige Tal getrennt. An den schmalen Dorfstraßen stehen die einfachen, für das Territorium typischen bunten Einraum-Holzhäuser auf Stelzen, dazwischen wuchern vor allem Bananen, aber auch Passionsfrüchte und Papayas. Im kulturellen Zentrum des Territoriums, das zugleich Museumsdorf ist, in Barana Autê, wartet der 23-jährige Lorenzo Sanford. Er ist vor ein paar Monaten mit dem Vorsprung von drei Stimmen zum Chef des Kalinago-Territoriums gewählt worden und hat damit die Aufgabe, die Kalinago zu führen sowie sie national und international zu vertreten. Der muskulöse Mann sitzt im weißen kurzärmeligen Hemd auf einer Bank vor dem Versammlungshaus. Unter den Kalinago ist Sanford umstritten. Zu jung, zu naiv, um die Interessen seines Volkes gegenüber einer Regierung durchzusetzen, die die Kalinago noch nie so recht ernst genommen hat, finden viele.

Die Kalinago sind die Bevölkerungsgruppe mit dem niedrigsten Bildungsstand und dem geringsten Einkommen. Nach Maria gehörte das Territorium zu den letzten Regionen, die wieder Strom und Wasser bekamen. Für die Zukunft sieht Sanford dank des National-Employment-Programms der Regierung dennoch nicht schwarz. Besonders Jüngere, die selbst eine Idee von ihrer Zukunft hätten, wolle er mithilfe dieses Programms eine Perspektive geben: "Sie sollen in den Bereichen arbeiten, die sie sich wünschen, dafür müssen wir ihnen zuhören." Für sein Volk wünscht er sich mehr Einheit und Zusammenhalt. "Es ist wie beim Jagen, das ist in der Gruppe auch erfolgreicher als alleine", sagt Sanford.

Als erfolgreiche Initiative beschreibt der junge Anführer ein ebenfalls von der Regierung gefördertes Pflanz-Projekt. Schon die Vorfahren Sanfords haben die bis zu 40 Meter hohen Gourmier-Bäume als Windbrecher um ihre Felder gesetzt. "Damit haben wir jetzt wieder begonnen. Das schützt zumindest vor schwachen Hurrikans", sagt er und schaut auf seine schwere Armbanduhr. "Der nächste Termin", sagt er und steigt in die neue Honda-Limousine. Mit der hat die Regierung ihn für seinen Wahlsieg belohnt.

Widerstandsfähigkeit gegenüber den Folgen des Klimawandels ist unter den Ökobauern auf Dominica ein großes Thema. Da sie ihre Produkte überwiegend an die Bevölkerung verkaufen, sind die wegen Corona fehlenden Touristen für sie kein großes Problem. Staatliche Hilfe gibt es für die ökologische Landwirtschaft eher nicht. Gefördert werden Farmer, die Kunstdünger und Pestizide einsetzen, obwohl deren Abfluss nicht nur die Riffe vor Dominicas Küsten gefährdet, sondern auch die Gesundheit der Menschen.

Karibik: Der Öko-Bauer Simon George arrangiert sich erfolgreich mit den Unbilden von Wetter und Klimawandel.

Der Öko-Bauer Simon George arrangiert sich erfolgreich mit den Unbilden von Wetter und Klimawandel.

(Foto: Jens Kuhr)

Einer, der es ohne staatliche Unterstützung nach Maria geschafft hat, ist Simon George. Sein Land liegt ein paar Kilometer südwestlich des Küstenortes Rosalie in einem Seitental am Hang oberhalb des O'Hare River. Der drahtige Mann hat in den USA Bodenkunde studiert und ist sich sicher, dass sein Garten Maria wegen der Lage in dem tief eingeschnittenen Seitental und wegen seiner Vielfältigkeit vergleichsweise gut überstanden hat. Im Windschatten einiger Gourmier-Bäume sprießen hier fünf der 14 vor dem Sturm auf der Insel wachsenden Bananensorten. Dazwischen gedeiht Kakao. "Eigentlich gehört der in den Wald, er verträgt kein direktes Sonnenlicht. Deswegen habe ich ihn unter einen großen Brotfruchtbaum gepflanzt." Der hat den Sturm ebenso überlebt wie die meisten Kakaobäume. Daneben gedeihen Mango, Kokosnuss und Ananas. Viel Wert legt der Öko-Farmer auf den geschichteten Anbau seiner Feldfrüchte, die sich so gegenseitig schützen. Noch wichtiger ist ihm der Erhalt des Bodens: "Der größte Schatz, den wir haben." Damit er von den starken Regenfällen besonders während Hurrikans nicht ins Meer gespült wird, hat der Bodenkundler ein ausgeklügeltes System von Wassergräben angelegt, die das Wasser außerdem länger im Boden halten.

Beim Rundgang über die Farm stoppt George an ein paar Zuckerrohrpflanzen. Mit seiner Machete zerschlägt er sie in handliche Stücke. Es ist beeindruckend, wie viel süße Flüssigkeit sich aus so einem Stückchen Rohr lutschen lässt. Schon Simons Vorfahren ließen als Sklaven immer ein paar Stangen Zuckerrohr auf den Feldern wachsen, deren Saft sie während der harten Arbeit tranken. "So brauchten sie kein Wasser zu den oft weit entfernten Feldern zu schleppen", sagt George.

Eine Pflanze, die Maria auf der Farm offenbar auch gut überstanden hat, ist ein alter Limettenbaum. Dessen Wurzelsystem verträgt keine längeren Trockenperioden, die es seit ein paar Jahren aber immer häufiger auf Dominica gibt. Bei George herrscht wegen des ausgeklügelten Wassermanagements kein Wassermangel. Doch andernorts auf der Insel ist die Zitrusfrucht fast überall verschwunden. Dabei war Dominica Anfang des 20. Jahrhunderts der größte Produzent von Limetten weltweit. Bis in die Zwanzigerjahre machten Limetten 80 Prozent des gesamten Exportes der Insel aus. Mit der Prohibition in den USA brach die Nachfrage zusammen. "Es kann schwierig sein, heute welche auf dem Markt zu bekommen. Und das in einem Land wie Dominica", sagt George.

Info

Einreise: Das Auswärtige Amt stuft Dominica nicht als Risikogebiet ein, warnt aber aufgrund der Ausbreitung von Covid-19 sowie Beeinträchtigungen des öffentlichen Lebens vor nicht notwendigen, touristischen Reisen nach Dominica. Grundsätzlich ist die Einreise aber möglich. Touristen müssen bei Ankunft einen negativen, höchstens 72 Stunden alten Corona-Test vorlegen. Zusätzlich wird bei der Einreise ein Schnelltest durchgeführt. Vor Ankunft muss zudem ein Gesundheitsfragebogen (domcovid19.dominica.gov.dm) ausgefüllt werden. Bei erhöhter Temperatur oder aufgrund der Angaben im Fragebogen werden Reisende vor Ort auf Corona getestet und kommen auf eigene Kosten in eine von der Regierung bestimmte Quarantäne-Einrichtung oder ein zertifiziertes Hotel, um dort auf die Ergebnisse zu warten.

Anreise: Ab Deutschland mit Airfrance via Paris nach Point à Pitre (Guadeloupe) oder Fort de France (Martinique) ab 445 Euro, airfrance.de; am nächsten Tag per Fähre nach Dominica für rund 120 Euro. Ohne Zwischenübernachtung (voraussichtlich ab Ende Oktober) mit Air Antilles über Paris und St. Maarten ab 800 Euro, airantilles.com; discoverdominica.com/de

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