Kanada:Straße in die "kanadische Serengeti"

Der Dempster Highway ist die nördlichste ganzjährig befahrbare Straße der Welt - und führt in eine spektakuläre Wildnis. Eine Bilderreise zu Eisdünen, seltenen Tieren und "betrunkenen Wäldern".

Von Ingrid Brunner

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Quelle: Holger Bergold

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Kanadische Serengeti nennen einige die schier endlose kanadische Arktis im Yukon Territory und in den Northwest Territories. Knapp 90 000 Menschen leben hier auf einer Fläche von 1 828 549 Quadratkilometern - mehr als fünf Mal die Fläche Deutschlands. Der Dempster Highway, der circa 40 Kilometer nördlich von Dawson City beginnt, ist die Lebensader, die die Menschen dieser Region versorgt. Eröffnet wurde die nördlichste ganzjährig befahrbare Straße der Welt 1979 - nicht etwa aus Menschenliebe, sondern weil man Öl- und Gasvorkommen im Mackenzie River Delta vermutete.

Die wurden andernorts gefunden, etwa in Eagle Plains. Noch heute ist der 736 Kilometer lange Dempster, der in Inuvik endet, ein Weg zur Erschließung von Ressourcen und zudem ein politisches Statement: Die kanadische Regierung will Flagge zeigen in der Arktis.

Doch der Highway führt auch mitten durch spektakuläre Wildnis - ein lohnendes Ziel für Individualreisende selbst im Winter.

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Truck voraus: Es ist zunächst gewöhnungsbedürftig, wenn sich auf dem Dempster Highway ein Lastwagen nähert. Denn er wirbelt so viel Schnee auf, dass der Gegenverkehr in eine Wolke aus Eiskristallen fährt. Für ein paar Sekunden ist man im weißen Nichts eingeschlossen. "White out" nennen das die Einheimischen. Da hilft nur: ruhig bleiben und langsam vorbeifahren.

Ansonsten ist das Fahren auf der schneebedeckten Schotterpiste ein Vergnügen, an das man sich schnell gewöhnt. Außer in Kurven oder an steilen, ausgesetzten Stellen sind 90 Kilometer die übliche Höchstgeschwindigkeit. Sogar vorsichtige und ängstliche Naturen können auf dem Dempster fahren. Es ist wenig los auf der Straße, so wenig, dass man sich freundlich grüßt, wenn denn mal ein Auto oder ein Truck entgegenkommen.

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Kleine Schneeschuh-Tour im Tombstone Territorial Park - bei minus 31 Grad Kälte und Sonnenschein. Solange kein Wind geht und man in Bewegung bleibt, ist das gut erträglich. Doch schon bei schwachem Wind macht sich der Windchill deutlich bemerkbar - dann fühlt sich die Kälte durch den Wind noch kälter an. Es gibt sogar eine mathematische Formel, nach der sich die gefühlte Kälte berechnen lässt.

Windchill ist also keine Einbildung - und die Gefahr, sich Erfrierungen im Gesicht oder an den Extremitäten zuzuziehen, wächst mit der Windstärke. Nicht nur Menschen, auch Maschinen werden in ihrer Funktionsfähigkeit durch den Windchill beeinträchtigt.

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Der Dempster wird zur Landebahn. Keine große Sache für die entspannten Kanadier. Am Straßenrand signalisert ein blaues Verkehrsschild mit weißem Flugzeug den Verkehrsteilnehmern: Achtung, hier könnte ein Flugzeug landen.

Wenn das wirklich passiert, sichern quergestellte Fahrzeuge die Strecke, nach der Landung rollt die Maschine zur Seite und der normale Straßenverkehr weiter.

Die Maschine im Bild geht in der Nähe von Dawson City runter, nach einem Flightseeing genannten Rundflug über die Tombstone Mountains.

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An gigantische Eisdünen erinnern die Richardson Mountains. Sie bilden eine Nord-Süd-Barriere zwischen dem Yukon Territory und den Northwest Territories, die auf der anderen Seite der Berge liegen. Der Dempster Highway passt sich dabei meist an die Topographie an - in lang gezogenen Kurven folgt er Flussläufen, schmiegt sich an Bergflanken und macht alle Höhen und Tiefen des Geländes mit.

Freigehalten wird die Schotterpiste mit gigantischen Schneepflügen, Schneefräsen und Steamern - das sind Dampfmaschinen auf Rädern, die Eisplatten wegschmelzen und das Schmelzwasser in Flüsse oder Senken leiten. Ein riesiger logistischer Aufwand, der aber notwendig ist, damit der Dempster als Lebensader für den kanadischen Norden tatsächlich ganzjährig befahrbar ist.

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Fort McPherson, der erste richtige Ort auf dem Highway, hat rund 800 Einwohner, eine Kirche, eine Zeltstoff-Fabrik und einen Friedhof. Dort liegen die Gräber der 'Lost Patrol': Vier Männer der Mail Patrol der Hudson's Bay Company machten sich am 21. Dezember 1910 mit Hundeschlitten auf den Weg von Fort McPherson nach Dawson. Schneestürme und extreme Kälte, angeblich bis minus 62 Grad, wurden ihnen zum Verhängnis. Auf der Suche nach dem Weg über die Richardson Mountains verirrten sie sich, auch der Proviant wurde knapp. Zu spät entschieden sie, umzukehren. In ihrer Verzweiflung aßen sie ihre Hunde auf - der letzte Tagebucheintrag stammt vom 5. Februar 1911. Im März dann fand ein Suchtrupp unter der Führung von William Dempster - dem Namenspatron des Dempster Highway - die sterblichen Überreste der Männer, nur wenige Kilometer von Fort McPherson entfernt.

Alkoholismus ist in dieser Gegend wie in vielen Orten im Norden Kanadas traurige Realität. Davon erzählt auch das kleinere weiss-blaue Schild. Zwar darf in den Geschäften der Kommunen kein Alkohol verkauft werden. Trotzdem sind die Straßenränder außerhalb der Orte mit leeren Flaschen und Dosen gesäumt: Alkohol gibt es auch in Dawson City oder in Inuvik.

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Reisende hoffen meist darauf, Elche, Karibus, vielleicht sogar Wölfe zu sehen - mit etwas Glück klappt das auch. Luchse in freier Wildbahn beobachten zu können, ist hingegen ein echtes Geschenk. Doch dieses Jahr, erklären einheimische Wildlife Guides, sei ein gutes Luchsjahr. In einem Zyklus von zehn bis elf Jahren schwanken die Bestände je nach Nahrungsangebot. Hauptnahrungsquelle ist der Schneehase. Je mehr Schneehasen es gibt, desto besser sind die Überlebenschancen für die Pinselohren.

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Extremsportler oder doch Extremspinner? Der Engländer Marc Hines auf seinem Fatbike mit Camping-Winterausrüstung radelt auf dem Dempster Highway - nicht das erste Mal, wie er erzählt. Dafür opfere er seinen Urlaub, es sei fast wie eine Sucht. Ein eisiges und einsames Unterfangen - bei nächtlichen Temperaturen bis zu minus 40 Grad. Über Gesellschaft auf der Straße freut er sich, noch mehr über ein Heißgetränk.

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Eisschollen wie riesige Gletschereis-Bonbons: Immer wieder brechen Flüsse auf, das darunter fließende Wasser drückt nach oben, um danach wieder zuzufrieren. Der Eisbruch schimmert blau in der Sonne und bringt Farbe in die eintönige Winterlandschaft. Die Wälder der kanadischen Taiga bestehen vorwiegend aus Schwarzfichten, die in der kurzen Vegetationsperiode nur sehr langsam wachsen.

Auch in der kanadischen Arktis macht sich der Klimawandel bemerkbar. Der Permafrostboden beginnt an manchen Orten zu tauen, was dazu führt, dass die Baumwurzeln den Halt verlieren und umkippen. In einigen Wäldern ist das Phänomen bereits so stark ausgeprägt, dass Wissenschaftler etwas beschönigend vom 'Drunken Forest'-Phänomen sprechen.

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Endstation Inuvik: Hier endet der Dempster Highway nach 736 Kilometern. Der Ort liegt auf 68° 19′ Nord, 133° 37′ West und ist die größte Stadt Kanadas nördlich des Polarkreises. Er existiert seit 1958. Ursprünglich wollte der kanadische Staat hierher Bewohner aus noch entlegeneren Gemeinden wie Aklavik oder Paulatuk umsiedeln. Doch die Menschen weigerten sich, ihre Dörfer zu verlassen.

Statt dessen zogen Kanadier aus dem Süden zu, weshalb heute 60 Prozent der Bevölkerung europäische Wurzeln haben. In Inuvik gibt es ein Krankenhaus, einen Flughafen, Schulen, sogar eine Universität. Reisende finden hier Hotels, Geschäfte, Restaurants - ein guter Startpunkt für Ausflüge nach Tuktoyaktuk oder Aklavik. Oder in den äußerst entlegenen Tuktut Nogait National Park: Trotz seiner überwältigenden Naturschönheit ist er mit nur drei Besuchern im Jahr 2016 der am wenigsten besuchte Nationalpark Kanadas. Sehenswert ist die Iglukirche "Our Lady of Victory", die 1960 errichtet wurde. In Inuvik steht außerdem die nördlichste Moschee Kanadas.

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Die Flüsse, die den Dempster Highway kreuzen, werden in den Wintermonaten zu sogenannten Eisbrücken. Dann sind die Fähren außer Dienst und liegen wie gestrandete Wale am Ufer. Das Bild zeigt das Fährschiff Abraham Francis Edmonton am Ufer des Mackenzie River im Ort Tsiigehtchic. In der eisfreien Zeit ist es wichtig, den Fährplan zu kennen, damit man nicht die letzte Überfahrt des Tages verpasst. Sonst bleibt man über Nacht am anderen Ufer.

Die Abteilung "Transportation" der kanadischen Regierung lässt die Eisdicke regelmäßig messen. Im Internet veröffentlicht sie Zustandsberichte zum Dempster, den Eisbrücken und den Ice Roads. Auch über Sperrungen, Gefahren auf der Strecke und Höchstlasten wird tagesaktuell berichtet. Wichtige Informationen, besonders für Trucker.

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Wer dort, wo der Dempster endet, noch weiter nach Norden will, wagt sich aufs Eis des Mackenzie River. Die 194 Kilometer lange Ice Road zwischen Inuvik und Tuktoyaktuk ist mit tiefen Rillen präpariert, man fährt darauf wie auf einer normalen Straße, ohne zu rutschen oder zu schleudern. Das Eis ist zum Teil glasklar, aber auch Risse und teils recht breite Spalten sind sichtbar. Manchmal hört man es auch krachen, wenn neue Spannungsrisse hinzukommen.

Besser, man denkt nicht daran, dass das Arktische Meer unter dem Eis bis zu 1100 Meter tief ist. Im Winter ist die Ice Road die einzige Straße, die den isolierten Ort Tuktoyaktuk mit der Außenwelt verbindet.

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Ein Wohnhaus in Tuktoyaktuk, einem der entlegensten Orte in den Northwest Territories, an der Beaufort Sea gelegen. Im Hinterland erstreckt sich der Irrgarten aus Wasser und Inseln des Mackenzie River Deltas. Im Sommer ist Tuk, wie der gut 800 Einwohner zählende Ort genannt wird, nur aus der Luft erreichbar, weshalb es hier sogar einen kleinen Flughafen gibt. Im Winter erreicht man Tuk auch über die Eisstraße von der Stadt Inuvik. Man fährt zunächst auf dem Hauptlauf des Mackenzie Rivers und später auf dem gefrorenen Arktischen Ozean.

Die Menschen sind meist Angehörige der Inuvialuvit, die zur Volksgruppe der Inuit zählen. Viele leben noch von der Jagd auf Karibus, auf Robben und Wale. Für Eisbären vergibt die Regierung eine jährlich neu definierte Abschussquote. Häufig verkaufen die Ureinwohner aber - mangels anderer Einkommensquellen - die Quoten an reiche Jäger aus den USA.

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Der Friedhof von Tuktoyaktuk. Die Inschrift über dem Eingang ist zweisprachig - Englisch und Inuvialuktun, eine der etwa elf Sprachen und Dialekte, die die Inuvialiut, eine zu den Inuit gehörende Volksgruppe, im Norden Kanadas sprechen. Der Ortsname bedeutet übersetzt "sieht aus wie ein Karibu". Da es während des langen Winters nicht möglich ist, Gräber auszuheben, geschieht dies vorsorglich in der frostfreien Zeit zwischen Juni und August - nach einem Schätzwert.

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Tuk liegt auf Kilometer Null des Trans Canada Trail (TCT). Der 18 078 Kilometer lange Rad- und Wanderweg verbindet die kanadische Ostküste mit dem Arktischen Meer und dem Pazifik. Wer Zeit und Kondition hat, kann Kanada auf dem TCT durchqueren - von St. John's in Neufundland am Atlantik bis nach Victoria auf Vancouver Island am Pazifik. Man kann aber auch in Manitoba einen Schlenker nach Norden machen, vorbei an Nunavut, durch Yukon und die Northwest Territories bis nach Tuktoyaktuk.

Mehr erhoffen sich die Einwohner von Tuks neuer Straße, die von November 2017 an den Ort mit der Außenwelt ganzjährig verbinden wird. Die neue, 120 Kilometer lange Straße führt durch das Gewirr des Mackenzie River Deltas und über acht Brücken. Nach dieser Wintersaison also heißt es: Bye-bye Ice Road!

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Quelle: SZ

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Reise-Informationen: Anreise aus Europa über Vancouver, mit Weiterflug nach Whitehorse, der Hauptstadt des Yukon Territoriums. Nur in Whitehorse besteht die Möglichkeit, ein Auto zu leihen, zum Beispiel bei Driving Force direkt am Flughafen. Im Ort verleiht der Ausrüster Men's World polartaugliche Kleidung, auch für Frauen - eine Option, die man berücksichtigen sollte. Dawson City, an dessen Stadtgrenze der Dempster Highway beginnt, liegt 530 Kilometer von Whitehorse entfernt. Hotelreservierungen im Voraus sind empfehlenswert - besonders im Eagle Plains Hotel, der einzigen Übernachtungsmöglichkeit auf halber Strecke nach Inuvik. Hilfreiche Websites: travelyukon.de, spectacularnwt.de, dempsterhighway.com, whitehorse.ca, dawsoncity.ca, inuvik.ca, eagleplainshotel.ca.

Die Recherchereise wurde unterstützt durch die Tourismuszentrale von Yukon Territories und den Northwest Territories.

© SZ.de/ihe/dd
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