Segel-Kreuzfahrt in Kanada:Das große Fressen

Kanada Grizzly Kreuzfahrt

Grizzlys von ganz nah beobachten, das ist der Traum der meisten Kanada-Urlauber.

(Foto: Neil Shearer)

Im Herbst mästen sich die Grizzlys des Great Bear Rainforest an der Fülle an Lachsen. Auf einer Segelboot-Safari sehen Menschen dem Spektakel staunend zu - auf möglichst schonende Weise.

Von Ingrid Brunner

Im Herbst kehren die Lachse nach einem Leben im Meer zurück in ihre Ursprungsflüsse. Sie kämpfen sich flussaufwärts, um abzulaichen und zu sterben. Ihr Tod bedeutet Leben - für die Möwen, die Seeadler; die Fische düngen den Waldboden, sogar das Plankton im Wasser versorgt der Lachs mit Nährstoffen. Vor allem aber die Bären warten im Herbst auf den Salmon Run, wie dieses Naturschauspiel auf Englisch heißt. Die Fische sind so zahlreich, dass sie der Bärin, die mit drei Jungtieren am Flussufer entlang streift, direkt ins Maul zu springen scheinen. Wie im Naturfilm.

So hatte man sich das vorgestellt, davon haben die Teilnehmer der Segeltour in den Great Bear Rainforest in British Columbia geträumt: einmal einen Grizzly beim Lachsfang zu beobachten. Was man nicht erwartet hatte: Es riecht, nein, es stinkt am Fluss wie in einer Fischfabrik. All die verwesenden Fischkadaver rauben den Touristen schier den Atem. Es ist sehr still, die Motoren sind abgestellt, mit Rudern staken sich Kapitän Neil Shearer und Deckhand Rachel Muehlenberg lautlos immer näher an die Bärenfamilie heran. Und weil Niedrigwasser ist, gleitet Shearer wenig später in seinem wasserdichten Neoprenoverall ins Wasser und zieht die beiden Schlauchboote weiter. Zu Fuß, das Wasser reicht nur noch bis zu den Knien.

Keiner spricht. Kaum zu glauben, aber es fällt den Teilnehmern, die in ihrem Berufsleben gewohnt sind, den Ton anzugeben, gar nicht schwer, einfach mal zu schweigen. Man hört leises Plätschern, den Wind in den Zedern, das Gezeter der Möwen. Die Bärin holt einen Fisch aus dem Wasser. Mit einer Pranke reißt sie die Flanke des zuckenden Tiers auf, die orangefarbenen Fischeier spritzen heraus. "In wenigen Wochen nehmen sie 160 bis 200 Pfund zu", erklärt Neil Shearer. Auch wenn das nordamerikanische Pfund nur rund 454 Gramm hat, ist das doch noch eine unglaubliche Zahl. Bis zu 20 000 Kalorien pro Tag müssen sich ja irgendwo niederschlagen. Am Ende des großen Fressens, wenn die Bären schon übersatt sind, lassen sich die geschickten Jäger nur noch auf die Beute plumpsen. Sie werden dann auch wählerisch und essen nur noch den Lachskaviar.

Es sind Tierbeobachtungen wie diese, für die Gäste aus aller Welt anreisen und viel Geld zahlen. Sie kommen, um im Great Bear Rainforest an der kanadischen Pazifikküste eine Safari mit dem Segelboot zu machen. Sie wollen Wale, Grizzlys, Schwarzbären, Wölfe sehen, mit ein wenig Glück vielleicht sogar einen Blick auf den geheimnisvollen, seltenen Kermode- oder Geisterbären erhaschen. Wenn man so will, sind das die Big Five des kanadischen Regenwalds und seiner Küstengewässer.

Neil Shearer ist seit 20 Jahren in diesen Gewässern unterwegs, er kennt das Gewirr aus großen und kleinen Inseln mit seinen Strömungen und Untiefen wie seine Westentasche. Er kennt die besten Plätze, an denen Passagiere wilde Tiere ganz aus der Nähe beobachten können. Einen festen Fahrplan, wie auf Kreuzfahrtschiffen üblich, gibt es nicht. Es ist ein wenig wie in Afrika: Man muss Zeit und Geduld mitbringen. Und es gibt keine Garantie, Tiere zu sehen. Eines aber ist klar anders als in Afrika: Der Regenwald hat seinen Namen nicht ohne Grund. Es regnet oft. Und stark. Manche Bäche und Wasserfälle fließen nur bei Regen. Sie leiten die Niederschläge, die der Wald nicht aufnimmt, ins Meer und versiegen dann bis zum nächsten großen Guss. Neil bemerkt beiläufig, diesen Wasserfall habe er nicht gesehen, als er letztes Mal hier vorbeigekommen sei.

Der Veranstalter Bluewater Adventures versteht sich als Anbieter von Öko-Touren - auch wenn man dafür erst einmal aus Europa, wo viele Gäste herkommen, anreisen muss. "Wir sind CO₂-neutral, wir segeln so viel wie möglich, wir sparen Wasser und haben unseren Stromverbrauch mit LED optimiert", erklärt Shearer. Der verbrauchte Marinediesel werde kompensiert. Ein Teil des Reisepreises komme First-Nations-Projekten zugute und dem Artenschutz. "Wir versuchen, die Auswirkung auf die Natur so gering wie möglich zu halten", sagt auch Meeresbiologin Sharon Kay. Die Kabinen sind klein, die Gäste teilen sich die beiden Badezimmer und sind aufgefordert, beim Abspülen und Gemüseschnippeln mit anzupacken. Der Luxus dieser Tour ist die kleine Gruppe und das kleine Boot, mit dem man in Gewässern unterwegs ist, die für große Schiffe nicht befahrbar sind.

Segel-Kreuzfahrt in Kanada: Die Island Odyssey im Great Bear Rainforest vor einem Wasserfall.

Die Island Odyssey im Great Bear Rainforest vor einem Wasserfall.

(Foto: Bluewater Adventures)

Deshalb sagt Shearer: "Schaut nicht ständig auf die Landkarte, schaut auf diese unglaubliche Landschaft. Das ist einer der letzten Flecken Erde, wo ihr noch echte, wilde Natur erleben könnt - ganz allein. Wir sind das einzige Boot weit und breit." Tatsächlich begegnet die Island Odyssey in sieben Tagen nur zwei anderen kleinen Booten. In der Ferne sieht man in einer breiten Fahrrinne noch zwei Kreuzfahrtschiffe, die auf der Inside Passage Richtung Alaska unterwegs sind.

Um nichts zu verpassen, geht man besser so selten wie möglich unter Deck, auf dem Wasser passiert ständig etwas. Es ist frustrierend, wenn oben Wölfe gesichtet werden, während man unter Deck im Badezimmer ist und sich das Bullauge auf der falschen Seite befindet. Klar, man muss ein geschultes Auge haben, um sie am Strand von Totholz, Felsen und Gestrüpp unterscheiden zu können. Vielleicht sieht man am Folgetag mehr, wenn es frühmorgens hinausgeht, Küstenwölfe suchen.

"Man sieht sie nur, wenn sie sich bewegen", flüstert Neil. Plötzlich löst sich ein Schatten vom Dunkel des Waldes. Ein Wolf läuft am Bach entlang und blickt in Richtung der Menschen, als wollte er sie wissen lassen: Ich sehe euch. Dann kommt ein zweiter. Sie tun, was Wölfe so tun: rumstehen, rumliegen, den Rücken strecken, aufs Wasser starren. Die Menschen starren zurück. Und die Kameras klicken.

Wilde Tiere in ihrem Habitat beobachten zu können, ist nicht nur ein Privileg, sondern auch eine Verantwortung. Deshalb bittet der Kapitän seine Gäste, die genauen Orte der Tiersichtungen nicht in den sozialen Medien zu teilen. "Vor zwei Jahren wurden in diesem Gebiet 350 Bären geschossen, von Jägern, einfach zum Spaß", sagt er. Daraufhin habe er in Facebook eine Kampagne gegen die Bärenjagd gestartet, die Passagiere könnten mit ihrer Unterschrift für die Commercial Bear Viewing Association einen Beitrag leisten. Die Bärenschutzvereinigung will darauf aufmerksam machen, dass Touristen, die Bären beobachten, mehr Geld bringen als Jäger. "Kanada ist das größte Jagdrevier der Welt", sagt Shearer - und die Waffenlobby sei auch hierzulande sehr mächtig.

Segel-Kreuzfahrt in Kanada: Der Kermode- oder Geisterbär ist eigentlich ein Schwarzbär, der ein Gen für helles Fell trägt.

Der Kermode- oder Geisterbär ist eigentlich ein Schwarzbär, der ein Gen für helles Fell trägt.

(Foto: Neil Shearer)

Deshalb soll es auch ein gut gehütetes Geheimnis bleiben, an welchem Lachsfluss die Gäste den Kermode-Bär sehen, wie er sich im milden Nachmittagslicht seinen Winterspeck anfuttert. Von diesem Schwarzbär mit hellem Fell gibt es nur ganz wenige Exemplare, das ist fast wie der Jackpot unter den Naturbeobachtungen. Auch wenn das ein einmaliges Erlebnis war: Gesehen hat man viel mehr. In einer Woche hat Meeresbiologin Sharon Kay 150 Arten gezählt. Auch Marder, Zobel, Fische, Meeressäuger, Pflanzen, Flechten, Moose und bunte Seesterne gehören zu diesem sensiblen Ökosystem.

Nun aber wird eine Pipeline, die ein LNG-Werk in Kitimat mit Gas aus Alberta versorgen soll, durch diesen Naturraum gebaut. Die First Nations protestieren, weil die Trasse durch ihr Gebiet führen soll. Artenschützer befürchten, das Projekt werde den Schiffsverkehr auf den bislang wenig frequentierten Wasserwegen in die Höhe treiben. Lärm und Schiffsschrauben sind eine Gefahr für die Wale, Seelöwen und Seeotter. Es wäre wohl das Ende einer der letzten Wildnisse der Erde.

Reiseinformationen

Die Island Odyssey ist ein Motorsegler mit Platz für max. 16 Passagiere. Die Great-Bear-Rainforest-Tour ab/bis Kitimat auf der Island Odyssey mit Bluewater Adventures findet 2020 zwischen August und Oktober statt. Acht Tage/sieben Nächte mit VP und Transfer von/bis Terrace ab 4192 Euro p. P. in der Doppelkabine, www.bluewateradventures.ca

Unterkunft: in Terrace z. B. in der Yellow Cedar Lodge ab ca. 95 Euro p. P., yellowcedarlodge.ca

Anreise: z. B. mit Air Canada nach Vancouver ab 538 Euro hin und zurück, Weiterflug nach Terrace ab 215 Euro hin und zurück, www.aircanada.com

Weitere Auskünfte: Destination British Columbia, www.hellobc.de

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Zur SZ-Startseite

Nationalparks
:Der Kampf um Rumäniens Urwald

Noch wütet die Holzmafia in den Karpaten. Doch Naturschützer hoffen, hier einen der größten Nationalparks Europas zu schaffen. Ihr Traum: ein europäisches Yellowstone.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: