Die Olympischen Spiele, die unter normalen Umständen derzeit in Tokio stattfinden würden, hätten womöglich etwas an dem Bedeutungsverlust Japans geändert. Wirtschaftlich ist China längst wichtiger für Ostasien, popkulturell wird der Einfluss von Südkorea immer größer. Andreas Neuenkirchen beurteilt diese Entwicklung in seiner "Gebrauchsanweisung für Tokio und Japan" positiv: "Wenn die Hysterie verflogen ist, wenn die Influencer und Trendhopper weitergehüpft sind, um andere Orte abzufotografieren, beginnt das gute Leben." Ihn interessiert nicht der neueste Schrei, sondern die Substanz. Als Reiseland war Japan zuletzt extrem beliebt bei Europäern. Neuenkirchen erkennt darin keinen Hype, sondern nachhaltige Neugier.
Die überdurchschnittlich vielen Reisebücher, die derzeit über Japan und speziell Tokio erscheinen, haben auf die erhöhte Aufmerksamkeit durch Olympia abgezielt. Nun finden die Wettkämpfe nicht statt, und unabhängig davon ist an einen Japantourismus aktuell nicht zu denken. Ob die Titel deshalb Ladenhüter werden? Denkbar ist aber auch, dass sie jene Lücke füllen, die die Zeitläufte gerissen haben. Dass sie zumindest im Ansatz eine Neugier und Sehnsucht stillen; der Schwierigkeit, im Land zu sein, trotzend. Und Lust machen auf eine Reise, wenn eine solche wieder möglich ist.
SZ Magazin Japanisches Trinkgeld:Klarer Falt von Schönheit
In Japan lassen Gäste im Restaurant oft kleine Wunderwerke zurück - auf die Schnelle gefaltet aus der Verpackung von Essstäbchen. Ein Künstler hat sie gesammelt.
Die Fotografin Michaela Weber macht sich ihre "Japanbilder" als eine Staunende. Ihr fallen kuriose Dinge auf: Polizeiboxen, in denen man - nicht ohne bürokratischen Aufwand - gefundene Gegenstände deponieren kann und die deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit wieder bei ihrem Besitzer landen. Oder die relative Stille der Millionenstadt Tokio. Und Weber gesteht sich ihre Überforderung ein: hervorgerufen durch die vielen Tempel und Schreine, die nicht deutbaren Rituale des Nō-Theaters.
Andreas Neuenkirchen unterdessen kennt das Land wesentlich besser, er beschreibt in seiner "Gebrauchsanweisung" Entwicklungen und Veränderungen. Es geht ihm vor allem darum, zu sensibilisieren für die japanische Lebensart. Dazu gehört für den Reisenden aus Europa anzuerkennen, dass er nicht überall Zutritt bekommt. Der Drang, das Authentische zu erleben, wird in Japan mitunter ausgebremst durch die Weigerung Einheimischer, Fremde an ihren Ritualen, die diese nicht verstehen, teilhaben zu lassen. Bestimmte Restaurants sind dann auf absehbare Zeit ausgebucht.
Das Essen ist ein eigenes geheimnisvolles Kapitel, erst allmählich werden Europäer enger vertraut mit japanischer Küche. "Wie kann man nur wissen, was man essen soll?", schreibt der Küchenchef und Autor Tim Anderson in seinen "Tokyo Stories". Sein Zugang zu japanischen Speisen ist recht hemdsärmelig, auf diese Weise beseitigt er Schwellenängste. Auch Axel Schwab ermuntert seine Leser, in das "Labyrinth Tokio" einzutauchen: Er arbeitet sich nicht an Sehenswürdigkeiten ab, sondern empfiehlt verschiedene Tagesprogramme, bei denen man die Atmosphäre der Stadt wahrnimmt, vor allem durch Café- und Restaurantbesuche sowie Shoppingstopps.
Tim Anderson : Tokyo Stories. Ein japanisches Kochbuch. Aus dem Englischen von Heinrich Degen. Südwest Verlag, München 2020. 256 Seiten, 35 Euro. Andreas Neuenkirchen : Gebrauchsanweisung für Tokio und Japan. Piper Verlag, München 2020. 240 Seiten, 15 Euro. Axel Schwab : Labyrinth Tokio. 30 neue Touren in Japans Hauptstadt. Conbook, Neuss 2020. 192 Seiten, 12,95 Euro. Michaela Weber : Japanbilder. Cass Verlag, Bad Berka 2020. 224 Seiten, 38 Euro.