Wie das Überleben gelang? "Gute Frage", sagt Yusuke Kuroda und lächelt versonnen. Denn selbstverständlich ist es tatsächlich nicht, dass das Design-Hotel Lequ in Chatan, dessen Management er als Assistent der Geschäftsführung mitverantwortet, immer noch so makellos und gastlich wirkt, als wäre nichts gewesen. Im März 2020 begann der Betrieb in der eleganten Vier-Sterne-Unterkunft mit Restaurant und Spa-Bereichen an der Westküste der japanischen Insel-Präfektur Okinawa. Die Pandemie nahm damals gerade Fahrt auf, "Stay at home"-Empfehlungen und der erste Coronavirus-Notstand folgten. Die Regierung in Tokio verhängte einen Einreisestopp.
Einen schlechteren Zeitpunkt für den Start ins Tourismusgeschäft hätte es kaum geben können. Aber mit der Zeit lernte das Lequ den Umgang mit der Krise. Lockte Einheimische mit Sonderkonditionen. Überzeugte diese vor allem mit seinem spektakulären Dach-Swimmingpool. Erarbeitete sich eine Basis aus treuen Stammkunden, die über soziale Medien Werbung für das neue Haus machten. "Ohne deren Hilfe hätten wir es vielleicht nicht geschafft", sagt Kuroda. Und jetzt ist ja das Schlimmste überstanden, denn der Schrecken der Pandemie ist klein geimpft. Und neuerdings sieht es so aus, als könnten ausländische Touristen bald wieder fast ohne Einschränkungen nach Japan reisen.
Ende gut, alles gut. Oder?
Am Montag verlautete aus Regierungskreisen in Tokio, dass die Obergrenze für Einreisende bis Ende Oktober fallen soll. Zum ersten Mal seit April 2020 besteht damit die konkrete Aussicht, dass wieder jeder Mensch, der nach Japan kommen will, auch nach Japan kommen kann. Bisher geht das nicht. Seit 7. September wurde die tägliche Obergrenze für Einreisende zwar von 20 000 auf 50 000 heraufgesetzt, und Geimpfte müssen keinen PCR-Test mehr ablegen. Aber immer noch brauchen Touristen ein Visum und müssen Mitglied einer Gruppenreise sein. Freie Fahrt für freie Nippon-Besucher sieht anders aus. 2019, im Jahr vor der Pandemie, kamen durchschnittlich jeden Tag mehr als 140 000 Menschen in Japan an. Nur sieben Prozent der Touristen kamen mit Gruppenreisen.
Vor der Pandemie erlebte Japan einen Tourismus-Boom mit Besucherrekorden. Die rechtskonservative Regierung hatte die Industrie als Motor für die Wirtschaft entdeckt. Großveranstaltungen wie die Rugby-Weltmeisterschaft 2019 oder Olympia 2020 sollten noch mehr zahlende Gäste ins Land locken. Ziel: 60 Millionen Besucher aus dem Ausland jährlich bis 2030. Und natürlich war Okinawa eine wichtige Stütze des Vorhabens. Die Präfektur im tiefen Süden der japanischen Inselkette besteht aus diversen Archipelen mit Tropenklima. Für Japanerinnen und Japaner ist sie ein klassisches Urlaubsziel, ihr Potential für den internationalen Fremdenverkehr baute sie in der Vor-Corona-Zeit gerade aus. Auch das Hotel Lequ setzte darauf.
Es befindet sich im sogenannten American Village der Stadt Chatan, einer bunten Spaßoase mit Läden, Restaurants, Promenade am Meer und Sandstrand nebenan. Eigentlich der ideale Ort, um vom anschwellenden Besucherstrom zu profitieren. "Wir hatten erwartet, dass 40 bis 50 Prozent unserer Gäste aus dem Ausland kommen", sagt Yusuke Kuroda, "aber unser Plan wurde zerstört."
Bis Herbst 2020 ging der Einreisestopp so weit, dass nicht einmal Ausländer mit Wohnsitz in Japan einreisen durften. 2021 zählte Japan insgesamt nur 245 900 ausländische Besucher - Minusrekord. Und so zögerlich wie kein anderer G-7-Staat kehrt Japan zu der Offenheit zurück, die Standard ist in freiheitlichen Gesellschaften. "Für mich, der mit einem Japaner verheiratet ist, der vor Kurzem die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat, führt dies zu völlig absurden Situationen", schreibt ein SZ-Leser aus Köln. Seine Schwiegermutter liegt im Sterben, natürlich will das Paar sie noch einmal sehen. Aber das Generalkonsulat verlange ein ärztliches Attest über den Gesundheitszustand der Schwiegermutter, dazu Erklärungsschreiben, Reiseplan, Verwandtschaftsnachweise und unter Umständen weitere Unterlagen.
Das Geld der Fremden wird gebraucht. Aber die Menschen im Land sind skeptisch
Es geht also nicht nur um Tourismus beim Reisen. Aber wenn der Tourismus nicht wäre, würde Japans Öffnung vermutlich noch länger dauern. Denn die Vorsicht der Menschen dort ist groß, und der Einreisestopp populär im Land. Im Dezember, als die Omikron-Variante die Infektionszahlen in die Höhe trieb, zeigte eine Umfrage der Zeitung Yomiuri, dass 89 Prozent der Befragten für den Ausländer-Bann waren. Aber der Yen ist schwach, Japans Wirtschaft braucht Anschub. Das Geld der Fremden wird gebraucht.
"Die Gäste aus Japan bezahlen anders als die aus dem Ausland", sagt Chikao Watabe, Manager eines Speisecafés im Zentrum von Okinawas Hauptstadt Naha. "Wenn die Japaner Rindfleisch bestellen, dann reicht das normale. Die Ausländer nehmen das beste." Er sitzt in seinem Café, das zu den Restaurantbetrieben der Holdinggesellschaft Usen-Next gehört. Im März wurde es eröffnet, und zwar mit einem Konzept, das den Einheimischen die Angst vor der Gastronomie nehmen soll. An Computerterminals kann man kontaktlos bestellen, rollende Service-Roboter transportieren die Speisen zu den Tischen.
"Wir haben das Konzept wegen Corona entwickelt", sagt Watabe. Vielleicht steigt so auch die Akzeptanz für ausländische Gäste. Bisher kann Watabe das nur hoffen. "Ich spüre seit zwei Monaten, dass die Ausländer zurückkommen", sagt er, "aber ich denke, das sind noch keine Touristen, sondern Leute, die in Japan wohnen." Die Regeln sind noch zu streng - und die meisten anderen Länder sind längst zu einer normalen Willkommenskultur zurückgekehrt.
Wann sind die Gäste aus der Ferne wieder da? Japans Gastronomen sind froh über die jüngsten Zeichen aus Tokio. Aber dass sie schon bald zu einem Run auf den Inselstaat führen, ist nicht zu erwarten. Schwer zu sagen, ob Amerikaner, Australier oder Europäer in ein Land kommen wollen, das immer noch viel Corona-Angst ausstrahlt. Das Maskentragen ist hier sogar auf einsamen Straßen verbreitet. Kabinettschefsekretär Hirokazu Matsuno klang nicht sehr gastfreundlich, als er am Montag mitteilte: Man prüfe Lockerungen, die "eine Balance zwischen der Verhinderung von Infektionsausbreitung" und der Förderung "sozialer und wirtschaftlicher Aktivitäten" schaffen.
Und die Betriebe selbst haben Mühe, sich richtig einzustellen auf die nationale Einreise-Politik. "Die Regierung kündigt ihren Plan immer sehr kurzfristig an", sagt Yusuke Kuroda in der Lobby des Hotels Lequ, "wir müssen immer auf dem Laufenden bleiben, was sie denkt." Es stört ihn schon gar nicht mehr. "Routine" nennt Kuroda dieses ständige Anpassen an die Ideen oder Nicht-Ideen aus der Hauptstadt. Besonders optimistisch stimmt die ungewisse Lage das Lequ-Management allerdings auch nicht. "Nach Stand der Dinge erwarten wir in den nächsten ein, zwei Jahren noch keine Auslandstouristen", sagt Kuroda, "es ist besser, so zu denken, als mit etwas zu rechnen, das nicht sicher ist." Die Pandemie ist schließlich nicht vorbei.
Allerdings kann sich Yusuke Kuroda schon mal Gedanken darüber machen, wie er dem Personal im Hotel Englisch beibringt. "Das könnte unser größtes Problem sein, wenn die ausländischen Gäste kommen", sagt er. In der jungen Geschichte seines eleganten Hauses wurde bisher schließlich meistens Japanisch gesprochen.