James-Bond-Dreh in Österreich:Nicht zu fassen

Daniel Craig am Set vom James-Bond-Film "Spectre" in Österreich

Daniel Craig am 15. Januar am Set in Obertilliach.

(Foto: Johann Groder/dpa)

Drehort für James Bond zu sein, gilt als "Ritterschlag" für ein Reiseziel. Das neue Abenteuer "Spectre" führt den Agenten in den Schnee - und so fällt Daniel Craig mit 350 Helfern in die Alpen-Idylle Österreichs ein. Ein Ortsbesuch in Obertilliach.

Von Titus Arnu

Die gelben Männer sind überall. Sie sehen unwirklich aus, wie Playmobilfiguren, die ein Riese für ein rätselhaftes Geländespiel in der weißen Landschaft verteilt hat. Ein Männlein steht im Walde, eines vor der Kirche, eines neben dem Gasthaus, eines am Skilift. Auch oben auf dem Golzentipp, dem 2000 Meter hohen Hausberg von Obertilliach in Osttirol, harren den ganzen Tag lang zwei gelbe Männer in der Kälte aus, sie passen auf, dass niemand die gesperrte Talabfahrt benutzt. Die Security-Leute tragen grellgelbe Sicherheitswesten und haben Funkgeräte am Gürtel hängen. Wenn man an ihnen vorbei will, in den Wald oder zum Himbeergollift, dann sagen sie: "Stopp."

Ein Gelber bewacht einen Schneehaufen. Keiner darf den Schnee anrühren, er wird später noch als Kulisse gebraucht, und zwar möglichst weiß. Doch Mila, die Berner Sennenhündin des Wirtes vom Gasthaus Unterwöger, hält sich nicht an Verbote von Fremden. Sie spaziert unbeeindruckt unter dem Absperrband durch und pieselt in aller Seelenruhe in den schönen, unversehrten Schnee. Der gelbe Mann starrt ratlos auf den gelben Schneehügel. Mehr Action-Szenen sind im Moment nicht zu beobachten.

Doch plötzlich scheppern aus den Funkgeräten aufgeregte Stimmen, britisch gefärbtes Englisch und österreichisch gefärbtes Deutsch, viel "Stopp" und viel "No" dabei. Hektik macht sich breit im Dorf. Vom Platz vor der Kirche aus ist zu beobachten, wie zwei gelbe Männer die steile Schneise unter der Gondelbahn hochrennen. Die Gelben jagen einen Blauen. Der Mann mit der blauen Daunenjacke schleppt ein Stativ und eine Kamera mit Monster-Teleobjektiv. Die Verfolgungsjagd dauert zehn Minuten, dann ist der Paparazzo geschnappt.

Die eigentliche Action spielt sich bei dem Schuppen ab, den die Einheimischen "James-Bond-Haus" nennen. Es sieht so aus, als wäre ein Kleinflugzeug in die Fassade gekracht. Das verbeulte, rauchende Wrack liegt ohne Flügel vor dem Haus. Eine Türe öffnet sich, und ein schwarz gekleideter Mann springt heraus, mit gezückter Pistole. Die gelben Männer halten zwar Sichtblenden und Regenschirme hoch, aber die Schaulustigen erkennen trotzdem, wer da schießend durch das Bergdorf rennt: Es ist Daniel Craig als James Bond. Und er ist im Gegensatz zu den Paparazzi nicht zu fassen.

Bei den Dreharbeiten zu "Spectre", dem neuen James-Bond-Film, lässt es Craig wieder mal ordentlich krachen - in einer Ecke Österreichs, die ziemlich weit ab vom Schuss ist. Obertilliach liegt auf 1450 Metern Höhe im hinteren Lesachtal an der Grenze zu Italien, es gibt ein kleines Skigebiet mit vier Schleppliften und einer Gondelbahn, eine 60 Kilometer lange Loipe und viele schöne Holzhäuser. Im Ortskern sieht es aus, als wäre die Zeit stehen geblieben, und zwar im 18. Jahrhundert. Dunkelbraun verwitterte Fassaden, enge Gässchen, Brennholzstapel vor den Häuserwänden, dazwischen Misthaufen, im Hintergrund verschneite Berge - für einen Heidi-Film ist das perfekt. Aber Bond und Obertilliach? Da prallen Welten aufeinander.

350 Filmleute fallen für drei Wochen in das 700-Einwohner-Dorf ein. Für die Versorgung der Crew wurde eine Zelt- und Containerstadt außerhalb des Ortes errichtet. Am Morgen vor dem Drehstart mit Daniel Craig herrscht im Dorf so viel Verkehr wie sonst in einem ganzen Monat. Range Rover mit Kameras auf dem Dach brummen über den platt gewalzten Schnee, Geländewagen mit Requisiten auf der Ladefläche rumpeln in Richtung Liftschneise hoch. "Der ganze Theaterdonner hilft uns sehr", sagt Sepp Lugger, Wirt vom Gasthaus Unterwöger, Chef der Bergbahnen und Herrchen von Mila, der Berner Sennenhündin.

Während der Dreharbeiten sind Reporter und Kamerateams aus ganz Europa im Dorf unterwegs. Die Obertilliacher antworten geduldig und meistens freundlich auf die immer gleichen Fragen, und fast alle sehen die Sache positiv, auch wenn für die Aufnahmen mal eine Straße gesperrt oder ein Skilift für einen Tag abgeschaltet wird. Für die Touristen ist das Spektakel zusätzliches Entertainment am Rande. Um zu vermeiden, dass Stammgäste verprellt werden, weil keine Zimmer mehr frei sind im Januar und Februar, wurden die Filmleute fast alle außerhalb untergebracht. Das war eine der wenigen Bedingungen für die Drehgenehmigung.

"Ein Bond-Film ist der Ritterschlag für eine Filmdestination."

Ansonsten ist es eher umgekehrt: Die Bedingungen stellt Bond, und seine gelben Männer setzen sie durch. Es gibt bei einem 007-Film mehr Bewerbungen von potenziellen Drehorten als Szenen im Drehbuch. Denn die Werbewirksamkeit der Weltmarke James Bond ist für eine Tourismusregion kaum zu unterschätzen, das sei wie "ein Sechser im Lotto", jubelt Franz Theurl, Obmann des Tourismusverbandes Osttirol. "Ein Bond-Film ist der Ritterschlag für eine Filmdestination", sagt Johannes Köck, Leiter von Cine Tirol. Die Filmkommission, eine Einrichtung des Landes Tirol und des Tiroler Tourismusverbandes, hat mitgeholfen, die Dreharbeiten nach Obertilliach und Sölden zu holen. Köck pflegt seit Jahren Kontakte zu Eon Productions Ltd., der britischen Produktionsfirma der Bond-Filme, und als er hörte, dass Bedarf an alpinen Drehorten besteht, brachte er Tirol ins Spiel. Großproduktionen wie "Spectre" kosten schnell mal 300 Millionen US-Dollar, da nimmt man die lokale Filmförderung gerne an.

"Wir bringen James Bond zurück in den Schnee", hatte Regisseur Sam Mendes vor Beginn der Dreharbeiten angekündigt. Die alpinen Ausflüge des Geheimagenten sind legendär, und viele Drehorte wurden erst durch die Filme zu bekannten Touristen-Attraktionen. George Lazenby jagte 1969 im Bond-Film "Im Geheimdienst Ihrer Majestät" den Bösewicht Ernst Stavros Blofeld (Telly Savalas), dessen Hauptquartier auf dem fiktiven Piz Gloria in der Schweiz ist - in Wirklichkeit das Gipfelrestaurant auf dem 2970 Meter hohen Schilthorn im Berner Oberland. Roger Moore liefert sich im Film "In tödlicher Mission" 1981 eine Verfolgungsjagd mit Ski und Motorrädern durch die Dolomiten bei Cortina d'Ampezzo, und 1986 diente der zugefrorene Weißensee in Kärnten als Drehort für "Der Hauch des Todes" mit Timothy Dalton. Das Gewässer stellte zwar einen fiktiven Grenzsee zwischen Österreich und der Tschechoslowakei dar, aber die spektakuläre Verfolgungsjagd mit einem Aston Martin über das Eis kurbelte den Tourismus in Kärnten spürbar an.

"Bei uns wohnt die Familie vom Piloten vom Hubschrauber vom James Bond"

Ob das in Obertilliach auch funktioniert? Und passt so ein Action-Kracher überhaupt zu einem beschaulichen Dorf, das ein ideales Ferienziel ist für Familien und Ruhesuchende? "Es gab im Vorfeld schon Bedenken, ob James Bond den Rahmen sprengt", sagt Sepp Lugger. Wenn hier Schüsse fallen, dann normalerweise nur im Biathlonzentrum, aus sportlichen Gründen. Am Gemeindeamt hängt ein Plakat, auf dem die Theatergruppe Außervillgraten das Lustspiel "Die Ballermann-Touristen" ankündigt. Après-Ski-Partys wie in Sölden gibt es in Obertilliach nicht, und dass sich James Bond gerade als Ballermann-Tourist aufführt, ist ja auch nur eine Art Theater. Man weiß zwar nicht, wie lange der Ort später im fertigen Film zu sehen sein wird, aber was man trotz der Abschirmungsversuche der gelben Männer mitbekommt, sieht actionmäßig recht vielversprechend aus. In einer Waldschneise wird eine Verfolgungsjagd mehrerer Flugzeuge simuliert. 007 landet mitten im Ort. Offenbar hat er die Lizenz zum Abfackeln eines eigens für den Film aufgebauten Holzhauses dabei.

Der 24. Film aus der James-Bond-Reihe soll Anfang November 2015 weltweit in die Kinos kommen. Widersacher des Geheimagenten ist dieses Mal der Österreicher Christoph Waltz, renommierter Spezialist für fiese Filmgestalten. In Österreich gibt es neben Obertilliach noch weitere Drehorte: Sölden im Ötztal und Altaussee in der Steiermark. Außerdem wird in London, Mexico City, Rom und Marokko gefilmt. Die Filmkommission Location Austria hatte für den Bond-Film nach geeigneten Drehorten gesucht. Regisseur Sam Mendes habe sich bei einer Besichtigung im vergangenen Jahr sofort in das Dorf verliebt, erzählen die Dorfbewohner.

Im April 2014 erreichte die Gemeinde dann die Anfrage der Produktionsfirma für ein großes Filmprojekt. Um was es sich genau handelte, wussten nur wenige Eingeweihte, und sie hielten lange dicht, alles war top secret. Noch kurz vor Drehstart Anfang Januar waberten wilde Gerüchte durch das Lesachtal. Daniel Craig werde wohl beim Unterwöger wohnen, hieß es, auch die beiden Bond-Girls Monica Bellucci und Léa Seydoux würden anwesend sein.

Auch während der Drehtage der Hauptdarsteller in Obertilliach hört man viele Spekulationen über die Stars. Wer wirklich etwas weiß, sagt nichts. Und wer nichts weiß, sagt viel, das muss aber nicht unbedingt stimmen. "Bei uns wohnt die Familie vom Piloten vom Hubschrauber vom James Bond, also vom Daniel Craig", sagt die Wirtin einer Frühstückspension. "Heute Morgen sind sie extra nah am Fenster vorbeigeflogen." Echt? Mal nachhaken bei der Familie vom Piloten vom Hubschrauber vom James Bond. Es stellt sich schnell heraus, dass es sich lediglich um die Familie vom Chauffeur vom Produzenten vom James Bond handelt, aber immerhin.

An den drei Tagen, die Daniel Craig tatsächlich am Ort ist, bekommt man ihn nur aus der Ferne zu sehen, Autogramme und Interviews gibt er nicht. Er wohnt nicht beim Unterwöger, sondern in einem Fünf-Sterne-Hotel im 40 Kilometer entfernten Lienz. Vor Drehbeginn wird er per Helikopter eingeflogen, in einem Auto mit verdunkelten Scheiben zum Set transportiert und abends wieder ausgeflogen. Die gelben Männer passen auf, dass keiner ihm zu nahe kommt. Dabei sind sie nicht zimperlich.

Das Sicherheitsaufgebot steht in keinem Verhältnis zum Störpotenzial durch Paparazzi und Schaulustige. Kaum zwanzig Leute stehen an der Ecke, von der aus man am besten zu den Dreharbeiten rübersieht. "Also bei uns mache se ned so en Aufstand, wenn gefilmt wird", meint eine Touristin aus Frankfurt. Sie wollte nur einen Eiszapfen an einem Holzhaus fotografieren, erzählt sie - blöderweise hing er am "James-Bond-Haus". Stopp! Eiszapfenfotografieren verboten. Später ist es ihr aber den massiven Sicherheitsvorkehrungen zum Trotz gelungen, ein Foto von Daniel Craig persönlich zu machen. Wenn das die gelben Männer wüssten, sie würden sie zwingen, das Bild zu löschen.

"Wir wollen ein beschaulicher und erholsamer Ort bleiben."

Nicht nur der fertige Film wird dem Ort zu Renommee verhelfen. Johannes Köck von Cine Tirol spricht von "enormen wirtschaftlichen Effekten" für Tirol allein durch die Dreharbeiten. Der Obertilliacher Bürgermeister Matthias Scherer schätzt, dass ungefähr vier Millionen Euro in der Region bleiben. Handwerker und Bauern freuen sich über Zusatzaufträge und über kurzfristig verpachtete Grundstücke, Hoteliers und Gastronomen über die 350 Mann starke Crew, die verköstigt und beherbergt werden muss. In ganz Österreich seien vom Filmteam - insgesamt 500 Leute - 30 000 Übernachtungen gebucht worden. Für später hoffe man auf einen "filmtouristischen Effekt", sagt Köck. Es gibt Studien, die bestätigen, dass sich Touristen bei der Wahl ihres Urlaubsziels tatsächlich von Filmschauplätzen beeinflussen lassen. Der Name Obertilliach werde im Film zwar sicher nicht fallen, sagt er, aber Tirol werde als Schauplatz wenigstens erkennbar sein.

Die Welt ist nicht genug? Wird das Osttiroler Bauerndorf durch den Film zum Action-Rummelplatz? Wohl kaum. "Wir wollen ein beschaulicher und erholsamer Ort bleiben", meint Hansjörg Schneider vom Tourismusamt Obertilliach. Auf zusätzliche Besucher durch den Film hofft er trotzdem. Es müssen noch rechtliche Details geklärt werden, aber Ideen zur Vermarktung gibt es bereits einige: ein Bond-Wanderweg, eine Bond-Abfahrt, die eine oder andere Bond-Suite. Die Marke 007 darf zu Werbezwecken eigentlich nicht in Obertilliach auftauchen. Trotzdem lädt die Schirmbar "Flying Hirsch" während der Drehtage zu einer "Bond-Party" ein, Motto: "007 - you're invited". Es werden "Skyfall-Cocktails", "Spectre-Shots" und "Bond-Whiskey" kredenzt. Eiskalt. Im Angesicht des Todes. Dagegen konnten selbst die gelben Männer nichts machen. Immerhin ein Quantum Trost.

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