Italien:Der wahre Prosecco

An den Hängen über Schloss Miramare wachsen die Reben für den Prosekar.

An den Hängen über Schloss Miramare wachsen die Reben für den Prosekar.

(Foto: Marco Milani)

Ein Vorort von Triest heißt wie der italienische Schaumwein - und ist dessen eigentliche Heimat, sind dort die Winzer überzeugt. Sie wollen endlich ihren Anteil an einem Millionengeschäft.

Von Helmut Luther

Mittags ist die Trattoria Sociale an der Hauptgasse des Dorfs Prosecco gerammelt voll. Im Speisesaal bullert ein Kaminofen, sämtliche Tische sind besetzt. Auch in der Bar, wo verstaubte Pokale an Boccia-Turniere erinnern, räumen drei Alte, die Wein aus Viertellitergläsern trinken, bereitwillig ihre Stühle und stellen sich an die Theke, um für weitere Gäste Platz zu machen. Es sind lauter Männer in Wollhemden und fleckigen Hosen, die mit aufgestützten Ellbogen das Arbeitermenü für zwölf Euro verzehren. Der Wein kommt aus dem Zapfhahn, 2,50 Euro das Viertel. Die Weine für besondere Anlässe hüten die Wirte der Trattoria in einem Glasschrank vor dem ständig laufenden Fernseher: etwa den dunklen Terrano oder einen strohgelben Prosekar.

Was es mit dem Prosekar auf sich hat, erzählt Alessio Stoka zwei Straßen weiter im "Haus des Prosecco". Der Mann Anfang vierzig ist Präsident des Vereins Prosekar und sitzt in einem weitgehend kahlen Zimmer. Der Verein sei erst vor knapp zwei Jahren gegründet worden, erklärt er. "Wir müssen draußen noch eine Tafel anbringen." Prosekar sei das slowenische Wort für Prosecco. Wie die meisten Bewohner der Dörfer des Karsts nördlich von Triest gehört Stoka zur slowenischen Minderheit. Und wie die meisten der etwa 100 Mitglieder des Vereins Prosekar ist er Nebenerwerbswinzer.

Lange, sagt Stoka, hätten die von hier 130 Kilometer entfernten Orte Conegliano und Valdobbiadene als Wiege des Prosecco gegolten. "Doch das ist falsch. Der Name unseres Dorfes, auf Slowenisch Prosek, beweist, dass hier die Keimzelle ist", sagt Stoka. "Die schlauen Händler aus dem Veneto haben früher unseren Wein gekauft und einige Rebstöcke mitgenommen."

Prosecco nannten sie den Schaumwein, mit dem sie heute ein Millionengeschäft machen: "Weil sie wussten, wo er herkommt: aus Prosek", sagt Stoka und greift nach einem Buch. Er zeigt Seiten mit alten Reiseberichten und Handelsverträgen, die seine Behauptung stützen sollen. "Ein Freund hat in Wien Flaschenetiketten im Jugendstil mit der Aufschrift Prosekar entdeckt", erzählt er. Nach dem Ersten Weltkrieg, als der von Slowenen bewohnte Triester Karst an Italien fiel, sei dieses Wissen verloren gegangen.

Alessio Stoka und die anderen Winzer auf der Karst-Hochebene, die steil zum Meer hin abfällt, wollen nun ebenfalls von der Bekanntheit des Schaumweins profitieren. Allerdings bestehen sie darauf, dass die Qualität des Prosekar jene des Massenprodukts Prosecco bei Weitem übertreffe. Erst seit einer Verordnung von 2010 gilt Prosecco als geschützte Herkunftsbezeichnung. "Das ist wie mit dem Tokajer, der früher überall angebaut werden durfte, jetzt aber nur mehr in der gleichnamigen Gegend in Ungarn", sagt Stoka.

Im Rahmen des neuen Gesetzes, das die Güte der Prosecco-Schaumweine verbessern sollte, musste das gleichnamige Dorf natürlich in die Herkunftsregion einbezogen werden. Die Schaumweingiganten aus der Provinz Treviso haben daher in Anwesenheit des italienischen Landwirtschaftsministers mit dem Bürgermeister von Triest, zu dessen Stadtgebiet der Ort Prosecco gehört, einen Vertrag unterschrieben. "Uns wurden damals viele Hoffnungen gemacht", sagt Stoka. Es hieß, man werde neue Pflanzgenehmigungen für Weinreben erteilen, Wasserleitungen und Fahrwege in die schwer zugänglichen Weinberge bauen."

Der Landwirtschaftsminister habe damals als Zeichen für den Beginn einer neuen Ära in Prosecco eine Glera-Rebe gepflanzt - so heißt die Sorte, aus der unter anderen der bekannte Schaumwein gewonnen wird. "Das war dort unten am Parkplatz." Stoka blickt zum Fenster hinaus. Die Rebe sei nach kurzer Zeit verdorrt, was Stoka irgendwie symptomatisch findet: "Geschehen ist bisher so gut wie nichts."

Zum Verein Prosekar gehören auch Antonio und Andrej Bole. Um zu ihrem Bauernhof zu kommen, braucht man einen Allradjeep, sonst muss man das letzte Wegstück zu Fuß zurücklegen. Eine halbe Gehstunde vom Stadtzentrum entfernt, steht der Bauernhof am Steilhang Piščanci direkt über dem alten Hafen von Triest, der als Anlegeplatz für Motor- und Segelboote dient. Die von Macchia gesäumte Bucht von Barcola liegt da wie ein glatt gestrichenes Seidentuch. "Den alten Hafen hat Maria Theresia erbauen lassen", erklärt Antonio Bole. Der 82-jährige Vater von Andrej sitzt unter einem Nussbaum in der Sonne. Antonio klebt Etiketten an abgefüllte Flaschen.

Weil es so windig ist, müssen die Winzer weniger spritzen

Unterdessen kommt in einem Fiat Panda sein Sohn Andrej Bole angefahren, steigt aus und schimpft: "Die Bürokratie ist furchtbar!" Den Weinbauern werde es hier viel schwerer gemacht als etwa in Slowenien. Auf einem guten Teil ihrer dreieinhalb Hektar bauen die Boles Malvasia, Vitovska und Glera an, autochthone Weißweintrauben, die als Cuvée den Prosekar ergeben. Er verkauft ihn als hochwertigen trockenen Wein sowie als Schaumwein: "Prosekar Piščanci Brut". Zwölf Euro kostet die Flasche, aber das sei auch gerechtfertigt, findet Bole: "Unser Prosekar ist hochwertiger als der Prosecco aus Venetien. Schon allein deshalb, weil wir wegen des kargen Karstbodens nur ein Drittel der Menge pro Weinstock ernten - im Vergleich zum Valdobbiadene."

Wie überdimensionale Schuhschachteln stapeln sich die Weinterrassen rund um den Bauernhof übereinander: Die meisten sind viel zu schmal, um mit einem Traktor bewirtschaftet zu werden. Dank flacher, in die Trockenmauern eingefügter Steine gelangt man von einer Terrasse zur anderen. An Drahtgestellen ranken die verholzten Rebtriebe. Andrej hat sie mit eisernen Klammern am Draht befestigt. Das sei notwendig wegen der Bora, des kalten, aus dem Norden wehenden Fallwinds, erklärt er. "Die Bewohner Triests dürfen keine Blumenvasen auf das Fensterbrett stellen - die Bora würde sie Passanten auf den Kopf hauen." Für ihn als Winzer bringe die Bora auch Vorteile, sagt Bole: Der Wind halte die Feuchtigkeit von den Reben fern und mache sie weniger anfällig für Pilzkrankheiten. "Wir müssen hier deshalb nur halb so viel spritzen wie die in Venetien."

Die Malvasia ist eine von drei Traubensorten, aus denen der Prosecco produziert wird.

Die Malvasia ist eine von drei Traubensorten, aus denen der Prosecco produziert wird.

(Foto: imago/robertharding)

Zurück in Prosecco, startet am südlichen Ortsrand Katrin Stoka, die Cousine von Prosekar-Präsident Alessio Stoka, mit einer Gruppe zur "Prosecco-Tour". Das Gesicht der Winzerin ist von einem Schal und einer tief herabgezogenen Wollmütze bedeckt. Inzwischen zeigt nämlich die Bora, was sie drauf hat. Sie rüttelt an Bäumen und Laternenmasten. Über den Himmel jagen dunkle Wolkenfetzen. "Solche Wetterumschwünge sind hier normal", erklärt Stoka. Zuerst geht es durch einen Kiefernwald. Dann einen schmalen Pfad entlang, der über verwinkelte Treppen bergabführt. Hinter der Geländekante lässt der Wind plötzlich nach. Zwei Bussarde kreisen über den senkrechten Kalkfelsen. Tief unten ragt auf einer Klippe das mit weißen Zinnen geschmückte Schloss Miramare vor dem Meer empor.

"Wir stehen hier an der Wiege des Prosekars. Für uns ist es, als lagere im Boden ein Goldschatz, den wir nicht heben können", sagt Stoka. Der Grund: Trotz aller Politikerversprechen fehlten noch immer die Voraussetzungen für eine moderne Bewirtschaftung. Wie natürliche Geländestufen breiten sich die Weinterrassen links und rechts der Treppen aus, einige sind halb verwildert. "Im Sommer gehen wir hier zum Baden in die Meeresbucht hinunter", erzählt Stoka.

Im Sommer geht man durch die steilen Weinberge runter ans Meer zum Baden

Die Tour endet in Katrins Stokas Weinkeller, der mitten in einem Weinberg mit Meerblick in den Karst gebaut wurde. Im steingemauerten Raum sind ein Dutzend Holz- und Stahlfässer aufgereiht, es riecht nach verschüttetem Wein und feuchter Erde. Katrins Vater Sergio hat Salami und Käse aufgeschnitten. An einem zum Tisch umfunktionierten Fass wird nun beides gegessen, außerdem gibt es Frittelle, mit Sardellen gefüllte Krapfen.

Passt alles gut zum Wein, den die Winzerin ausschenkt. Ihr Prosekar ist ein Stillwein. Je nach Anteil der Glera-, Vitovska- oder Malvasiatraube schmeckt er anders: mal fruchtig und aromatisch, mal eher herb und beinahe salzig. Garniert wird die Verkostung vom blutigen Kopf eines Wildschweins, Sergio Stoka hat es vor zwei Tagen erlegt, weil die Tiere seine Trauben fressen. Der Tochter ist die Trophäe ein bisschen peinlich. Aber auch sie ist Jägerin. "Wird ein guter Braten", sagt sie. Als die Gäste im Dunkeln durch die Weinberge heimgehen, werfen die Hafenlichter von Triest und die Tankschiffe bunte Flecken auf die Adria. Die Bora hat Regen gebracht. Die Rebstöcke, findet Stoka, könnten die Feuchtigkeit gut gebrauchen.

Reiseinformationen

Anreise: Mit der Bahn oder dem Auto nach Triest, Prosecco/Prosek ist ein Vorort von Triest.

Unterkunft: Agriturismo Colja Jozko in Sgonico, Übernachtung im Einzelzimmer mit Frühstück 48 Euro, Tel.: 0039/ 040 22 93 26 (es gibt eine Osmiza im Haus, also einen Buschenschank, der aber nur zu bestimmten Zeiten geöffnet hat). Hotel Center im Karstdorf Basovizza, ÜN mit Frühstück im Doppelzimmer für zwei Personen 75 Euro, www.centerhotel.it

Prosekar: Auskünfte zum Thema Wein beim Verein Prosekar: www.prosekar.it, info@prosekar.it, Tel.: 0039/347/625 97 71

Geführte Touren: www.proseccoescapes.com

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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