Italien:Vom Gardasee nach Venedig - das geht auch mit dem Rad

Zwei Fahrradfahrer fahren am Fluss Mincio entlang.

Westlich von Verona liegt der Ort Peschiera del Garda. Hier führt der Radweg am Fluss Mincio entlang.

(Foto: Mauritius Images)

Eine 300 Kilometer lange Tour führt bis an die Lagune. Touristisches Getümmel gibt es hier nicht, dafür Renaissancestädte, Naturschutzgebiete und ab und zu einen Angriff aus der Luft.

Von Helmut Luther

Rodolfo Boschetti und sein Lebensmittelgeschäft haben schon bessere Zeiten gesehen. Der Laden befindet sich in der mit Arkadengängen geschmückten Hauptgasse von Governolo. Weil keiner kommt, stapelt Boschetti Mineralwasserflaschen in die Regale - zwei Euro verlangt er für sechs Zweiliterflaschen. Früher habe es in Governolo sieben Trattorien und drei Lebensmittelgeschäfte gegeben, sagt Boschetti. "Heute ist hier nur mehr mein Laden."

Dabei hat Governolo große Zeiten erlebt. Um den Ort am Mincio stritten sich die Herrscher von Mantua, Mailand und Venedig, wenige Kilometer weiter südlich ergießt sich der Fluss in den Po. Über diese Wasserstraße wurde jahrhundertelang das Salz der Adria Richtung Norden transportiert. Eine Tafel erinnert an das Jahr 452 nach Christus, als Papst Leo I. hier den Hunnenführer Attila aufgehalten haben soll. "Dort drüben logierten Kaiser und Kardinäle", sagt Boschetti und zeigt auf einen mit Schwalbenschwanzzinnen bekränzten Turm jenseits eines grünen Grabens: Bis zu einer Überschwemmung im Jahr 1982 plätscherte der Mincio wenige Meter von Rodolfo Boschettis Laden vorbei. Danach hat man sein Bett etwas nach Osten verlegt, und in Governolo wurde es still.

Für ein bisschen Bewegung sorgen Besucher, die auf Ausflugsbooten den Mincio befahren. Radtouristen legen in Governolo einen Zwischenstopp ein. Wo die Laubengänge aufhören, kann man eine Kammerschleuse aus dem 17. Jahrhundert besichtigen, die ein Schüler Leonardo da Vincis nach Plänen des Meisters erbaut haben soll.

Etwa 300 Kilometer lang ist der Radweg, der von Peschiera am Gardasee bis nach Chioggia an der Lagune von Venedig führt. Von den mit Weinreben bepflanzten Moränenhügeln der venetischen Voralpen folgt man auf Damm- und Wirtschaftswegen dem Lauf des Mincio sowie des Po. Es geht durch Städte voller Kunstschätze und hinein in großartige Naturschutzgebiete.

Der Streckenabschnitt nach Governolo lässt sich zur Abwechslung gut an Bord des Flusskreuzers Andes 2000 zurücklegen. Start war in Mantua, wo Kapitän Giuliano Negrini großzügig die braunen Spuren übersah, die die schlammverschmierten Stollenprofile der Tourenräder auf den weiß lackierten Stahlboden des Schiffes zeichneten. Während die Andes 2000 über den moordunklen Lago Inferiore glitt, einen von drei künstlichen Seen, die die Stadt der Gonzaga in eine uneinnehmbare Festung verwandelten, entschwebten im Hintergrund die roten Backsteinmauern und glitzernden Kirchenkuppeln der zum Unesco-Welterbe gehörenden Stadt.

Capitano Negrini, in Venedig zum Marineoffizier ausgebildet, erzählt von früher: Sein Großvater transportierte mit einer kleinen Flotte zwischen Venedig, Mailand und Mantua Kohle für die aufstrebenden Industrien. "Nach der Niederlage bei der Zwölften Isonzoschlacht im Ersten Weltkrieg brachte er die Überreste unseres geschlagenen Heeres zur Festung Mantua." Giuliano Negrini sattelte in den Siebzigerjahren von der Kohle auf das lohnendere Geschäft mit den Touristen um.

In Governolo, von wo es mit dem Rad weitergeht, erzählt der Kapitän noch eine Anekdote über die Einweihung der Schleuse am Ortsrand, die Schiffen die Überwindung des Höhenunterschiedes zwischen Po und Mincio ermöglicht: Bevor an jenem Tag im Mai 1925 die Sektkorken knallten, habe König Vittorio Emanuele III. Verdienstmedaillen an die Ingenieure und lokalen Würdenträger verteilt. "Als er weg war, brach die Schleuse zusammen - schon damals funktionierte in unserem Land einiges nicht so richtig."

"Radfahren bedeutet Freiheit", steht auf einem gelben Plastikschild, das Denis Maragno auf seinem Tourenrad befestigt hat. Der 24-jährige Jurist, Präsident des Klubs "Freunde des Fahrrads" aus Rovigo, zeigt Interessierten auf dem Fahrrad die Gegend. Nördlich von Ferrara, dessen Altstadt mit der Rennaissance-Festung einen Abstecher wert ist, geht es im diesigen Morgenlicht nach Adria. Die Stadt, heute etwa 20 Kilometer landeinwärts, soll noch in der Spätantike am Meer gelegen haben, dem sie ihren Namen gab.

Es geht nun auf der Dammkrone des Canale Bianco und anschließend am Po entlang. Ein tellerflaches Bauernland breitet sich rundherum aus. Zusammen mit der etwas nördlicher verlaufenden Etsch schuf der Po eine fruchtbare Tiefebene, die der Mensch in eine Kornkammer verwandelt hat. In das Grün hineingetupft sind lang gestreckte Bauernhöfe mit gemauerten Torbögen sowie verschlafene Dörfer mit spitzen Kirchtürmen. Durchzogen ist die Ebene von Bewässerungskanälen, die von windschiefen Pappelreihen beschattet werden.

Denis Maragno radelte voriges Jahr von Apulien bis in seine Heimatstadt Rovigo hinauf. "Beim Radfahren lernt man sich selbst und die Landschaft besser kennen", findet er. Außerdem knüpfe man leicht Kontakte zu den Mitmenschen. Was er damit meint, wird hinter einer Flussbiegung klar, wo eine Schafherde die Durchfahrt versperrt. Vornübergebeugt auf Stöcke gestützt, bewachen zwei braun gebrannte Hirten die Tiere. Sie seien aus Rumänien, erklärt der Ältere in gebrochenem Italienisch. Er reckt sein Kinn in Richtung eines am Wegrand geparkten Wohnwagens: ihre mobile Unterkunft, mit der sie der Herde und dem Futter nachziehen.

Bei Porto Viro verändert sich die Landschaft. Nun beginnt das Po-Delta, mit 380 Quadratkilometern eines der größten Feuchtgebiete in Europa. Vor 400 Jahren schufen die Venezianer, um das Verlanden der Lagune zu verhindern, hier den Po di Venezia, heute der Hauptarm des Stromes. Eine Brücke führt zu ineinander verschachtelten Häusern, die von einem runden Schlot überragt werden: Das Museum Ca' Vendramin, wo Pumpen und Schaufelräder die Geschichte der Trockenlegung des Deltas erzählen.

Dann geht es herunter vom Dammweg und hinein in die Barene und Valli: Eine amphibische Welt aus Marschflächen, Salzwiesen und mäandrierenden Wasserläufen, an deren Rändern Schlickgräser und lila blühender Strandflieder wurzeln. Im Gestrüpp verstecken sich Unterstände zur Vogelbeobachtung - weit über 300 Arten wurden im Delta gezählt. Momentan nerven die Seeschwalben. Sie haben ihre Nester in Mulden an den Wegrändern errichtet und fliegen Scheinangriffe knapp über den Köpfen der Radfahrer.

Bei der Ankunft in Chioggia regnet es. Will man hier möglichst Strecke machen, bleibt nur der Seitenstreifen an der viel befahrenen Durchgangsstraße, wo Wasserfontänen nicht nur von oben spritzen, sondern auch von der Seite, weil viele Autofahrer es nicht als nötig erachten, vor den Pfützen abzubremsen. Chioggia wurde wie Venedig auf Inseln erbaut, die durch steinerne Bogenbrücken verbunden sind. Motorboote tuckern am Quartier Sottomarina Richtung Lagune vorbei. Am Lungomare reihen sich Fischerboote aneinander. Auf einem davon hockt ein Alter mit Schiebermütze. Redentore Fonsato, so heißt er, schneidet mit einem Messer das Senkblei von seinen kaputten Netzen ab. "Sie hielten nur ein Jahr, die Bora hat sie zerrissen." Die Fischerei lohne sich eigentlich gar nicht mehr, erklärt der 76-Jährige. "Aber was sollte ich sonst tun, das ist halt mein Leben." Fonsatos Kollege nebenan hat eine andere Einkommensquelle entdeckt - er bietet Bootstouren nach Venedig und zu den Laguneninseln an.

Reiseinformationen

Übernachten: Mantua: Albergo Bianchi Stazione, Übernachtung im DZ ab 75 Euro, www.albergobianchi.com. Porto Tolle: Hotel Bussana, DZ zwischen 50 und 90 Euro, www.hotelbussana.com/it/

Radtour und Flussfahrt: Das Unternehmen Ave Maria bietet eine achttägige Flussfahrt mit Fahrradabschnitten von Mantua nach Venedig an, ab 990 Euro pro Person, www.avemariaboat.com; das Unternehmen Marino Cacciatori mit Sitz in Porto Tolle bietet geführte Radtouren sowie Bootsfahrten ins Delta an: www.marinocacciatori.it; die Radstrecke Peschiera - Venedig folgt im ersten Abschnitt der Euro Velo Radstrecke Nr 7. Im zweiten der Eurovelo Nr 8, www.eurovelo.com/de, www.bikemap.net, www.eurovelo.com

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