Italien: Lizenzen für Strandbäder:"Ein Geschenk an Mafiosi"

Einige wenige Strandbad-Betreiber teilen die Strände Italiens untereinander auf - das ist die Schreckensvision vieler Italiener, falls ein Dekret der Regierung Berlusconi zur Lizenzvergabe Wirklichkeit wird.

Julius Müller-Meiningen

Drei Millionen Gäste waren bereits über Ostern in den Lokalen und Strandanlagen an den Küsten, an der Adria und am Tyrrhenischen Meer scheint die Sonne schon seit Wochen, die Sommersaison in Italien verspricht ein voller Erfolg zu werden. Überhaupt ist die Stimmung bei Italiens Strandanlagen-Betreibern ausgezeichnet. Vor wenigen Tagen präsentierte die Regierung Berlusconi ein Dekret, das den Betreibern der sogenannten stabilimenti über Generationen hinweg Sicherheit bietet. Konzessionen werden künftig erst nach 90 Jahren neu verhandelt.

Die italienischen Strände, laut Gesetz Eigentum des Staates und damit aller Italiener, geraten dauerhaft in die Hände weniger. Eine "kleine Revolution" ist das nach Ansicht der Tageszeitung La Repubblica. Vor allem italienische Umweltverbände sind empört.

Investitionen durch Planungssicherheit

Bisher liefen die Konzessionen der etwa 29.000 Betreiber von Kiosken, Restaurants oder kleinerer Hotelanlagen an der italienischen Küste nur über sechs Jahre. Schatz- und Finanzminister Giulio Tremonti erhofft sich aus den Langzeit-Genehmigungen einen großen Ertrag für die Staatskasse und will den Tourismus ankurbeln. Mit einer Planungssicherheit von 90 Jahren seien die Pächter außerdem zu Investitionen in die Anlagen motiviert, so lautet der Grundgedanke.

Ein Teil der italienischen Öffentlichkeit ist sich allerdings sicher, dass der Schuss nach hinten losgeht. "Das ist ein Geschenk an Mafiosi, Baubetrüger und Spekulanten", schimpfte Vittorio Cogliati Dezza, der Präsident des Umweltverbandes Legambiente. "So werden die Küsten, die ein öffentliches Gut sind, faktisch an einige wenige Wohlhabende verkauft."

Tatsächlich machen einige der etwa 29.000 italienischen Betreiber von Strandanlagen schon bisher einen guten Profit. Auf zwei Milliarden Euro wird ihr Jahresumsatz geschätzt, der Staat bekommt gerade einmal knapp 100 Millionen Euro für die Konzessionen. Sollten die Unternehmer jetzt nahezu ein Jahrhundert auf ihren Pfründen sitzen bleiben dürfen, sehen viele Italiener ihren größten Stolz in Gefahr: das Meer.

Massenabfertigung und immer größere Immobilien

Die Sorge ist, dass die Investitionen, die die Regierung mit dem Dekret fördern will, zu einer weiteren Verschandelung der Küsten führen. Längst ist das Idyll vom kleinen Familienbetrieb, bei dem die Urlauber Sonnenschirme leihen und Eis am Stil kaufen, kaum noch anzutreffen. Stattdessen machen sich große und wirtschaftlich starke Unternehmer mit großen Anlagen wie in Forte dei Marmi oder Rimini breit.

Die neue Regelung, die bereits wirksam ist und nachträglich vom Parlament abgesegnet werden muss, könnte diesem Trend weiter Vorschub leisten. Statt intimer Strandatmosphäre, die sowieso an den wenigsten Orten Realität ist, setzten die Konzessionsbesitzer auf Massenabfertigung und immer größere Immobilien, die die Küstenlandschaft verunstalten.

Ermittlungen wegen Kooperation mit der Mafia

Der Vorsitzende der italienischen Grünen, Angelo Bonelli, sagt als Folge des Dekrets eine "zehn Millionen Kubikmeter große Zement-Lawine" für Italiens Strände voraus. Er fürchtet den Bau weiterer "Spaßburgen mit Schwimmbad, Fitnessstudio, Sauna, Bar, Restaurant, Diskothek und Läden". Immer wieder ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen Anlagen-Betreiber, die mit der Mafia kooperieren, zuletzt an der Küste im Latium oder in Ligurien.

Inzwischen hat sich auch die Europäische Union eingeschaltet, die schon seit längerem ein kritisches Auge auf Italiens Umgang mit seinen Küsten wirft. 2006 verfügte die EU-Kommission, dass nach EU-Recht auch in Italien regelmäßig und in kürzeren Abständen Versteigerungen für die Konzessionen abgehalten werden müssen. Offiziell zum Schutz der seit Generationen an den Küsten arbeitenden Familienbetriebe und ihrer etwa 300.000 Angestellten verschob die Regierung eine Entscheidung auf das Jahr 2015. Nun weitete sie den Nießbrauch der Küsten über Generationen hinweg aus.

Gegen alle Bedenken hat Schatzminister Tremonti darauf verwiesen, dass die Baugesetzgebung ein ausreichender Schutz für die Landschaft sei und Italiens Strände weiterhin ein Allgemeingut blieben. "Der Strand bleibt öffentlich", behauptete er. Zwar ist es in Italien Gesetz, dass Strandspaziergängern der Weg am Meer nicht versperrt werden darf. Ob, sollten die apokalyptischen Vorhersagen der Kritiker Wirklichkeit werden, überhaupt noch jemand an den Stränden spazieren gehen will, ist eine andere Frage.

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