Italien: Lip. Inseln (SZ):Krieg der Sternchen

Vor fünfzig Jahren kam Ingrid Bergman nach Stromboli, Anna Magnani nach Volcano: Die Liparischen Inseln und ihre Filmgeschichte

Katrin Hoerner

Der Stromboli räuspert sich. Dann hustet er eine Lava-Fontäne aus einem seiner Feuermäuler. Im Minutenrhythmus speit er seinen Auswurf auf die Sciara del fuoco - die "Feuerrutsche" im Nordwesten der Insel. Dort klatscht die glühende Masse auf und löst Gerölllawinen aus, die 900 Meter tiefer ins Meer prasseln. Schnitt.

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Die Bucht von Sant'Irene

(Foto: freeweb)

Im Nordosten der Insel liegt das Dorf Stromboli. Würfelhäuser staffeln sich den Berg hinauf. Bougainvillea, Glyzinien und Hibiskus überwuchern die Terrassen. Die schwarze Erde und die weiß getünchten Mauern bringen die Blüten zum Leuchten. Eine Idylle und einer der aktivsten Vulkane der Welt. "Der Stromboli ist wie ein Freund für uns. Manchmal wütet er eben. Aber ihm haben wir unseren Reichtum zu verdanken. Ihm und Ingrid Bergman", sagt Domenico Russo und blickt hinauf zu dem Vulkankegel. Der Hotelier war vor mehr als 50 Jahren der Grundschullehrer der Insel. Nur ein paar Dutzend Menschen wohnten damals hier, vorwiegend Frauen und Kinder. Die meisten der Männer waren emigriert. Die Insel war fast abgeschnitten von der Außenwelt. Nur einmal pro Woche legte ein Postschiff an.

Eine Affäre erregt Amerika: Klappe eins, die erste

Am 1. April 1949 setzte Ingrid Bergman ihren Fuß auf den schwarzen Sandstrand von Ficogrande. Stromboli geriet ins Scheinwerferlicht, die Bergman stand auf dem Höhepunkt ihrer Laufbahn. Jeder kannte sie als Elsa Lundt aus "Casablanca", die Amerikaner verehrten die blonde Schwedin, nicht zuletzt, weil sie ein Star ohne Makel war und ein vorbildliches Privatleben vorführte.

Nach ihrem kommerziellen Misserfolg als "Jungfrau von Orleans" hatte sie sich überraschend entschlossen mit einem neorealistischen Regisseur in Europa zu drehen. Sie übernahm die Hauptrolle in Roberto Rossellinis Film "Stromboli - Terra di Diò". Der Regisseur und die Schauspielerin waren verheiratet - allerdings nicht miteinander - und seit ein paar Wochen ein Liebespaar. Diese Affäre erhitzte die Italiener und das puritanische Gewissen der Amerikaner. Im Kielwasser des Paares schwammen deshalb Paparazzi - das roch nach Skandal.

Konkurrenzkampf auf der Insel

Zur Explosion kam der Medienaufruhr im Mai: Anna Magnani, Rossellinis ehemalige Freundin, traf auf der Nachbarinsel Vulcano ein. Dort begannen die Dreharbeiten zu der gleichnamigen Konkurrenzproduktion, inszeniert von Hollywood-Altmeister William Dieterle. Der Film "Vulcano" war Magnanis Rache an dem Regisseur, der sie nicht nur wegen der Bergman verlassen, sondern dieser auch noch Annas Part gegeben hatte. Ursprünglich hatte Rossellini nämlich versprochen, mit ihr zusammen auf den Äolen zu drehen.

Kriegsgefangene contra Prostituierte

"Vulcano" und "Stromboli" haben inhaltlich einige Parallelen: Sie zeigen die Weltabgeschiedenheit der Insulaner, die harten Lebensbedingungen, ihre Brutalität beim Thunfischfang und die Macht der Vulkane.

Auch die Geschichten gleichen sich: Ingrid Bergman spielt die baltische Kriegsgefangene Karin, die den sizilianischen Soldaten Antonio heiratet, um dem Internierungslager zu entkommen. Er kehrt mit ihr auf seine Heimatinsel zurück. Dort ist sie konfrontiert mit der Armut und Bosheit der Bewohner. Karin leidet still, wenn die Frauen des Dorfs - die schwarzen Kopftücher bis zu den Augenbrauen heruntergezogen - ihr hasserfüllte Blicke zuwerfen.

Anna Magnani übernahm in "Vulcano" die Rolle der neapolitanischen Prostituierten Maddalena. Die Polizei bringt sie zur Strafe in ihren Geburtsort zurück. Dort schlägt ihr Ablehnung entgegen. Im Gegensatz zu Karin wehrt sie sich: schreit, rauft sich die Haare, und wird zur "ungekämmtesten Frau der Filmwelt". "Guerra dei vulcani" - Krieg der Vulkane - taufte die italienische Presse das Spektakel, in das die Hauptdarstellerinnen die Inseln verstrickten.

Die westliche Welt fieberte mit: Würde es zu einer Konfrontation zwischen der amerikanischen und der italienischen Diva kommen? Welcher Film würde früher fertig sein? Das Kopf-an-Kopf-Rennen um den Starttermin entschied "Vulcano" für sich. Er kam am 2.Februar 1950 ins Kino. Am Premierentag machte die Bergman der Magnani dann aber einen Strich durch die Rechnung: Sie brachte am selben Tag ihr erstes Kind von Rossellini zur Welt. Die Reporter verließen die Filmpremiere und rasten ins Krankenhaus.

Totale: Die Touristen folgen

Beide Filme waren Flops. Das katholische Filmzentrum des Vatikans verbot "Vulcano". Die puritanischen Staaten der USA boykottierten "Stromboli", weil die Hauptdarstellerin und der Regisseur in wilder Ehe lebten. Aber die Inseln Stromboli und Vulcano blieben den Zuschauern im Gedächtnis. Jahr für Jahr reisten mehr Menschen an, um das verlorenen Paradies zu suchen.

Mit den Touristen kam Wohlstand auf die Äolen. "1951 habe ich mit "La Sirenetta" das erste Hotel auf Stromboli gegründet. Andere folgten meinem Beispiel. Wir haben der Bergman viel zu verdanken. Man sollte ihr ein Denkmal setzen", schwärmt Domenico Russo. Bisher blieb es bei einer schlichten Tafel an der stierblutrot getünchten Casa Rossa in der Hauptstraße von Stromboli. Darauf steht: "In diesem Haus lebte Ingrid Bergman, als sie mit Roberto Rossellini im Frühling 1949 den Film "Stromboli" drehte."

Taschenlampen statt Straßenlaternen

Dennoch hat die Insel Stromboli es geschafft, ihren Charakter zu bewahren. Autos sind verboten. Die Einheimischen rattern in dreirädrigen Mini-Lastwagen durch die Dorfgassen. Neubauten dürfen nur dort entstehen, wo schon einmal ein Haus stand. Nicht einmal Straßenlaternen hat Stromboli. Deshalb leuchten in der obsidianschwarzen Nacht die Taschenlampen der Spaziergänger mit den Sternen um die Wette.

Die Bewohner aber haben sich gewandelt. Die Strombolaner von heute haben mit ihren Vorfahren im Film keine Ähnlichkeiten. Sie freuen sich über die Besucher - zum einen, weil sie mit ihnen Geld verdienen, zum anderen aber, weil dieFremden Informationen von überallher in ihre kleine Welt bringen. Die Schweizerin Eva Breitenstein hat wie Ingrid Bergman im Film einen strombolanischen Fischer geheiratet und ist zu ihm gezogen. Zwar weiß von den 400 Einwohnern jeder alles über den anderen. Aber sie fühlt sich auf der Insel trotzdem frei: "Hier kann ich bis zum Horizont sehen und spüre die Weite. In einer Stadt sieht man nur bis zur nächsten Mauer."

Der lange Aufstieg zum Vulkan

Strombolis Hauptattraktion ist natürlich der Vulkan. Jeden Abend steigen Wanderer in Gruppen zum knapp 1000 Meter hoch gelegenen Gipfel Pizzo la Porta hinauf. Vier Stunden dauert die Tortur über steile Trampelpfade in der sizilianischen Hitze. Auf halber Strecke sieht man, wie das Wasser die Sonne verschluckt. Im Zwielicht ist nicht mehr auszumachen, wo ganz weit hinten das Meer endet und wo der Himmel beginnt.

Das letzte Stück über eine steile Sandpiste ist das härteste: Nach jedem Meter rutscht man wieder einen halben zurück. Dann sitzt man auf dem warmen Stein des Kraterrands und blickt wie aus einer exklusiven Loge 50 Meter hinunter in die Feuermäuler des Vulkans. Gasschwaden wabern empor, von Flammen gespenstisch beleuchtet. Drei bis fünf der Schlünde schießen im Minutentakt ihre brennende Ladung in den Nachthimmel: ein gigantisches Feuerwerk. Das Risiko ist kalkulierbar. Da der Stromboli sich dauernd entlädt, ist eine größere Explosion unwahrscheinlich. Nur ab und zu holt er sich ein Menschenopfer - einen Touristen, der sich zu weit vorwagt und abstürzt.

Schwenk: Strombolis Schwestern

Vor Jahrtausenden spuckten unterirdische Vulkane das äolische Archipel vor Siziliens Nordküste aus dem Meer. In Form eines riesigen Ypsilons sind die sieben Inseln im Mittelmeer angeordnet. Vulcano, Lipari und Salina auf der Senkrechten, Filicudi und Alicudi auf dem linken Schenkel, Panarea und Stromboli auf dem rechten.

Im Zentrum liegt die Hauptinsel, nach der die Äolen auch Liparen genannt werden: Die Vulkankrater von Lipari sind schon lange erloschen. Im kleinen Hafen der Hauptstadt kleben die verblichenen Fassaden der Trattorien und Cafés eng aneinander. Darüber thront eine Felsfestung, die im 15. Jahrhundert auf den Grundmauern einer antiken Akropolis errichtet wurde. Heute ist ein archäologisches Museum in der Fortezza untergebracht. Werkzeuge, Schmuckstücke, Vasen, Krüge und Scherben haben Archäologen auf den Inseln ausgegraben oder vom Meeresgrund geholt. Sie stammen aus der Bronzezeit, aus der griechischen und römischen Antike.

Alltagsleben statt Romanze

Lipari. Auf dem Corso drängeln sich die Menschen zwischen Cafétischen, Auslagen der Boutiquen und Gemüsekisten. Ein Fischhändler zieht seinen Handwagen hinter sich her und Hausfrauen lassen Körbe aus den Fenstern in den oberen Stockwerken, in die er seine Ware legt. Auf der 38 Quadratkilometer großen Insel kommt man mit einer Vespa überall hin. Zum Beispiel zu den weißen Stränden der Bimssteinhalden von Campo Bianco. Früher war der Abbau des vulkanischen Materials die Haupteinkommensquelle für die Bewohner - die Staublunge, die sie sich im Bergwerk einhandelten, heißt "Liparose".

Wie hart die Arbeit in den Steinbrüchenwar, zeigt schildertder Film "Vulcano"; die Magnani schuftete hier. Einen ganz anderen Blick zeigen die Brüder Taviani 1984 in einer Episode ihres Films "Kaos": Ein Schiff mit roten Segeln landet an dem feinpudrigen Strand. Eine Familie geht an Land, die Kinder spielen glücklich in der weißen Zauberwelt.

Ressort für die gehobene Gesellschaft

Massentourismus findet auf den Äolen nicht statt. Im Juli und August verzehntfacht sich zwar die Zahl der Bewohner, doch im September ist der Spuk wieder vorbei. Nur eine der Liparen hat sich den Gästen komplett ausgeliefert, allerdings nur denen von der edelsten Sorte: Panarea. Regisseur Michelangelo Antonioni hat die kleinste und einst ärmste der Äolen entdeckt. Er zeigte in seinem Film "L'Avventura" (Das Abenteuer, 1960) eine Gruppe von reichen Römern, die einen Wochenendausflug zum unbewohnten Felsen Lisca Bianca vor der Küste von Panarea unternehmen. Seither besetzt die High Society die Insel.

In der Hauptsaison konkurrieren Mailänder, Römer und Neapolitaner, um die besten Liegeplätze im Jachthafen. Im Sommer ist die Insel ein schicker Ferienclub. Ab Mitte September sind die Hotels, Restaurants, Bars und Boutiquen geschlossen, die Ferienhäuser stehen leer. "Wir sind nur noch die Hausmeister hier," klagen die Einheimischen.

Die moderne Welt zieht langsam ein

Nanni Moretti klappert 1993 in seinem Film "Caro diario" (Liebes Tagebuch) alle Inseln des äolischen Archipels ab. Der Regisseur und Hauptdarsteller sucht nach Ruhe und Inspiration für ein neues Drehbuch. Auf Panarea bleibt er nur minutenlang - das Promiparadies ist ihm zu kommerziell. Allerdings lässt Moretti an keiner der äolischen Inseln ein gutes Haar: Lipari ist ihm zu geschäftig, Stromboli zu ungastlich. Sogar das kleine Alicudi ganz im Westen findet keine Gnade unter dem Auge seiner Kamera - hier ist es ihm zu einsam. Gerade die Weltabgeschiedenheit macht aber den Charme von Alicudi aus.

Die Besucher, die die Linienschiffe dreimal täglich an Land spülen, haben die Wahl zwischen einer Bar und einem Hotelrestaurant, können entweder den fünf Minuten langen Uferweg entlang schlendern oder die Treppenwege bergauf steigen. Die nur rund 100 Insulaner leben noch so wie ihre Großeltern, außer dass sie seit zehn Jahren Strom- und Telefonanschluss haben. Motorisierte Fahrzeuge gibt es überhaupt keine. Transporte übernehmen Esel. Sie sind als einzige geeignet, die endlosen Stufen zu überwinden, die sich die Steilhänge hinauf schlängeln und eine Handvoll Häuser miteinander verbinden. Entsprechend ist auch die Adresse: Man wohnt auf Stufe 200, 500 oder sogar 1200.

Ganz oben auf der Mittelachse des Ypsilons, genau gegenüber von Lipari, liegt Salina, die "grüne Perle der Äolen". Mit ihren farnbewachsenen Zwillingsgipfeln, den weiten Kapernfeldern und Weinbergen ist sie die landschaftlich reizvollste der sieben Schwestern. Von hier aus wird der Malvasia, ein sherryähnlicher Dessertwein, in die Delikatessengeschäfte der ganzen Welt exportiert. Das Geschmacksgeheimnis: Die Winzer lassen die Trauben in der Sonne trocknen, bevor sie sie pressen.

Post für den Dichter

Das Dorf Pollara im Nordwesten liegt spektakulär auf einer Hochebene, die steil zum Meer hin abfällt. Der Wind hat die im 90-Grad-Winkel aufragende Klippe in Jahrtausenden so durchfurcht, dass es aussieht, als wären hier Millionen von Pfannkuchen aufeinander gestapelt. Durch den "Oscar"-prämierten Film "Il Postino" (Der Postmann, 1995) ist der schmale Sandstrand 80 Meter unterhalb weltberühmt geworden. Während das Meer den Sand zu ihren Füßen badet, führt der rührend-naive Postbote Mario (Massimo Troisi) mit dem Dichter Pablo Neruda (Philippe Noiret) philosophische Gespräche. Dabei versucht der Dichter die Bedeutung des Worts Metapher zu erklären.

Eigentlich ist Mario kein Postbote, sondern Fischer. So wie er im Film, haben auf Salina die meisten Menschen mehrere Jobs. Der Busfahrer öffnet abends eine Bar, die Hotelbesitzerin Clara ist von Haus aus Psychologin, zudem Tourismusbeauftragte von Salina. Sie kämpft um behutsamen Fremdenverkehr, will die Natur und Traditionen bewahren. Deshalb war ihr der Rummel um den Film und die Extraportion Besucher, die er nach sich zog, gar nicht so lieb.

"Mein Gott, ist das schön"

Auf den Äolen gibt es kein Kino. Dennoch feiern die Inseln jedes Jahr mit dem Festival "Un mare di Cinema" ihre Entdeckung für den Film. Im Freiluftkino des Amphitheaters von Lipari laufen dann "Stromboli" und "Vulcano".

Am Ende von "Stromboli" flieht Ingrid Bergman vor der Bosheit der Nachbarn und der Eifersucht ihres Ehemanns. In der Nacht rennt sie den Vulkan hinauf und bricht vor Erschöpfung zusammen. Als sie bei Sonnenaufgang erwacht, nimmt sie das erste Mal ihre Umgebung wirklich wahr. "Mein Gott, ist das schön," sagt sie.

INFORMATIONEN

Überfahrt: In Neapel nimmt man die Siremar-Fähre ab Molo Angioino. Zu Buchen bei Armando Farina, Lyonerstr. 15, 60528 Frankfurt/M., Tel. 069/6668491. Schneller geht es mit dem SNAV-Tragflügelboot ab Molo Mergellina. Saison und Abfahrtszeiten erfährt man bei SNAV, Via. F. Carraciolo 10, 80122 Napoli, Tel.0039/081/7612348.

Weitere Auskünfte: Fremdenverkehrsamt der Aeolen, Corso Vittorio Emanuele 202, 98055 Lipari, Tel. 0039/090-9880095, Fax -9811190. 089/54272857

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