Eine Reise an die Adria, das ist oft auch eine Reise in die Kindheit. Das erste Mal weißer Sand unter den Fußsohlen, das erste Mal Salzwasser auf der Zunge. Der Duft von Pinien, die 100-Lire-Münzen fürs Gelato am Strand. All dies ist für immer gespeichert. An der Mündung des Tagliamento - der Fluss trennt Venetien von Friaul - stehen sogar noch Pinien, die anderswo längst Hotelburgen weichen mussten. Vor allem aber ist es die Mischung aus Meer und Lagune, wilden Flüssen und alten Kulturen, die diesen Abschnitt der Adria, zwischen Venedig und Triest, noch immer ganz besonders macht.
Giorgio Ardito steigt ins Motorboot und dreht eine Runde vor dem Strand von Lignano Riviera, dann biegt er in den Tagliamento ein. Dem Italiener im blütenweißen Hemd, die Ärmel hochgekrempelt, gehören das Hotel Presidente und die Marina Uno in seinem Heimatort. Sein Unternehmen ist, wie die meisten in der Gegend, ein Familienbetrieb. Viele Stammgäste haben ihre Boote in der Marina liegen, Italiener, Deutsche, Österreicher - man ist ja in sechs Autostunden von München oder Wien angereist. Sie kommen übers Wochenende oder bleiben auch mal den ganzen Sommer und erkunden von hier aus die Küsten Kroatiens. Doch gerade von dort droht den Italienern mächtige Konkurrenz.
Italienische Adria:Impressionen aus der Wasserwelt
Zwischen Venedig und Triest sollen die Marinas schöner werden. Eindrücke in Bildern.
Ardito weiß, dass man dagegen nicht mit noch mehr Wachstum ankommt. "Wir müssen auf nachhaltigen Tourismus setzen", sagt er. Darum bemühen sich die Marinas der Region gemeinsam. Neben dem Rundum-Service für Mensch und Schiff bieten sie kostenlosen Fahrradverleih, regionale Produkte, ersetzen die Vespa-Transporter durch Elektrofahrzeuge. Natur und Tourismus wollen sie künftig noch besser in Einklang bringen.
Der Fischbestand im Meer ist dezimiert, an den Flüssen blüht das Leben
Gemächlich tuckert das Boot jetzt flussaufwärts. Auf den weißen Sandbänken, die der Tagliamento aufgeschoben hat, ruhen sich Möwen und Reiher aus. Hier finden sie reiche Beute, während der Fischbestand im Meer immer weiter dezimiert wurde. Bis zu 30 Arten leben im Fluss.
Der Tagliamento ist einer der letzten Wildflüsse der Alpen. Das bedeutet aber auch, dass er bei Starkregen reichlich Sand und Geröll mit ins Tal bringt. "Manchmal ganze Baumstämme", sagt Ardito und wirkt dabei nicht glücklich. Der eigenmächtige Fluss schiebt Sandberge in die Einfahrten der Häfen, dann bleiben Yachten stecken und müssen auf die Meeresflut warten, um freizukommen. Schiffe mit mehr als zwei Meter Tiefgang kommen hier oft nicht weit. Immer wieder wird die Fahrrinne auf drei Meter ausgebaggert, auch jetzt liegt das Baggerschiff am Unterlauf des Flusses. "Den Sand bringen wir dann an den Strand", sagt Ardito. Ginge es nach ihm, brächte die Regierung das Schiff noch öfter zum Einsatz, "schließlich kommt das der ganzen Region zugute".
Weiter nordwärts kreuzt die Litoranea Veneta den Fluss, die Binnenwasserstraße, die einst für die Handelsschiffe zwischen Venedig und Triest gebaut wurde und heute bei Hausbootfahrern beliebt ist. Links geht es zur Serenissima, rechts zur Lagune von Marano. Dort tun sich wieder Kontraste auf: Meerwärts liegt die Marina Punta Faro, mit 1200 Liegeplätzen für Schiffe bis zu 80 Metern Länge eine der größten Italiens, dahinter die Hochhäuser von Lignano Sabbiadoro.
Italien:Vernachlässigte Schönheit
Nur eine gute Autostunde von Venedig entfernt liegt das meist unbeachtete Veneto. Höchste Zeit für eine Entdeckungsreise.
Landwärts wartet der beschauliche Fischerhafen Marano mit seinem 1000 Jahre alten Wehrturm, der von Weitem auf dem Wasser zu schweben scheint. Der zentrale Platz mit seinen Prachtbauten ist Treffpunkt für italienische Familien, die Fischrestaurants sind in der ganzen Region bekannt. Das Boot steuert die Casoni, traditionelle Schutzhütten der Lagunenfischer, an, dann geht es den Fluss Stella hinauf. Anders als der wilde Tagliamento entspringt er im flachen Hinterland und windet sich gemächlich zum Meer. In einer der Schleifen liegt die Marina Stella, ein verwunschener Ort unter Zedern und Zypressen.
Giovanna de Candido, 56, ist hier die Chefin. Sie schließt die Tür zum 100 Jahre alten Haus auf, in dem sie einige Gästezimmer ohne Frühstück vermietet. Ihr Vater hatte dieses Fleckchen Erde als Sommerresidenz für die Familie gekauft. "Er hatte ständig neue Ideen", sagt sie. Erst erweiterte er das Haus, dann baute er einen Flugplatz für Ultraleichtflieger, dann kam die Marina dazu, die Werft und schließlich der Prosecco - ringsum ziehen sich Weinstöcke. "Jetzt ist der Papa fast 90", sagt Giovanna de Candido und lacht, "und ich habe die Arbeit."
Wer aber Ruhe sucht, an Land oder mit dem Hausboot, ist hier richtig. Der Vercharterer im nahen Dorf Precenicco hat Boote in verschiedenen Größen, mit ihnen lässt sich die Gegend am besten erkunden. Die Stella-Werft hat Liebhaber. "Man bekommt alle Handwerkerleistungen, günstiger als in Kroatien", sagt Peter Schöler und steigt von seinem Katamaran Risho Maru. Mit seiner Frau Alexandra und Sohn Finn segelte der Wiener vier Jahre lang um die Welt, sie schrieben ein Buch über die Reise. Die drei waren damals von der Marina Stella aus gestartet, jetzt lassen sie ihr Schiff überholen und segeln entlang der kroatischen Küste. Abends geht es ins Restaurant Fiume Stella am Fluss, wo es frischen Fisch, saisonales Gemüse und einen kühlen Malvasia aus der Region gibt - Mücken und Motorbootfahrer, die sich partout nicht ans Tempolimit halten, muss man in Kauf nehmen.
Das Wasser machte diese Landschaft reich. In den Ruinen von Aquileia lässt sich noch der antike Hafen erahnen. Im vorgelagerten Grado lag einst die Flotte Julius Caesars, heute drängen sich dort die Sportboote der Besserverdienenden. Die Habsburger ließen sich dann sogar eine Bahnverbindung in ihr Kur- und Seebad bauen - entlang der Strecke führt seit einigen Jahren der Alpe-Adria-Radweg -, und noch heute führt die Kaisertür zum Strand.