Bologna:100 000 Quadratmeter Schlaraffenland

Pizzabäcker Eataly World Bologna Italien

Dünn, knusprig und spärlich belegt - Pizzabäcker weisen in die richtige Zubereitung ein.

(Foto: Vincenzo Pinto/AFP)

Pizza, Pasta, Parmaschinken: Der Themenpark Eataly World verkauft Italiens kulinarische Vielfalt als Event.

Von Ulrike Sauer

Ob es am Großvater liegt? Ross, 27, bindet sich die Schürze vor den Bauch und bestäubt seine Hände mit Mehl. Der Brite hat sich vier Tage frei genommen und ist nach Bologna geflogen. In London arbeitet er in der Forschungsabteilung einer IT-Firma. Jetzt befolgt er die Anweisungen von Andrea Anastasi, einem versierten Pizzabäcker aus Sizilien, und vermischt mit den Fingern Wasser, Mehl, Salz und Hefe in einer Holzwanne zu einem feuchten Teig. Wenn das sein Opa Piero sähe, der einst aus Palermo nach Großbritannien ausgewandert ist.

Ross ist mit seiner Freundin Ruby morgens um halb elf im kulinarischen Erlebnispark Fico zum Schnellkurs im Pizzabacken angetreten. Es ist einer der vielen Workshops, die hier täglich angeboten werden. Vor acht Monaten hat Fico Eataly World eröffnet, eine Art Disneyland für Feinschmecker. Passenderweise in einer ehemaligen Großmarkthalle der Stadt Bologna, die sie in Italien "La Grassa" nennen; Bologna, die Fette. 1,5 Millionen Besucher kamen im ersten halben Jahr. Ein Schlaraffenland mit didaktischem Anspruch, 100 000 Quadratmeter groß.

Für Ross steht der Tag bei Fico, einer Abkürzung für Fabbrica Italiana Contadina (italienische Bauernfabrik), im Mittelpunkt seines Kurztrips in die Emilia-Romagna. "Ich möchte mehr erfahren über Nahrung und vor allem über eine möglichst natürliche Art ihrer Beschaffung", sagt der IT-Experte. Und er wolle lernen, wie man traditionelle Speisen mit unverfälschten Zutaten kocht. Ross verkörpert damit einen starken Trend der Touristikbranche: die wachsende Beliebtheit von Erlebnisurlauben. Für den Endzwanziger dreht sich auf seiner modernen Bildungsreise nach Italien alles ums Essen. Auch das ist typisch. Die Küche übertrifft bei der Wahl des Reiseziels laut der World Food Travel Association für fast die Hälfte der Touristen kulturelle und landschaftliche Attraktionen des Zielortes.

Hinter Fico steht der Unternehmer Oscar Farinetti, der vor 63 Jahren in der Trüffel-Hochburg Alba geboren wurde. Vor 14 Jahren gründete er die Lebensmittel-Kaufhauskette Eataly, die sich sehr erfolgreich entwickelt hat. 39 Filialen gibt es mittlerweile, von Rom über Moskau bis nach New York und Tokio. Auch in München ist die Kette vertreten. Farinettis Formel ist eine Mischung aus Delikatessenmarkt, Gastroständen, Restaurants, Manufakturen, Kochstudios und Kursräumen unter einem Dach. Er machte aus Eataly eines der am schnellsten wachsenden Gastronomie- und Handelsunternehmen. Der Umsatz stieg 2017 um 22 Prozent auf 470 Millionen Euro. Anfang 2019 will er Eataly an die Börse bringen. Seinen größten Erfolg hat Farinetti bisher in den USA erzielt. Das New Yorker Eataly an der Fifth Avenue rangiert hinter der Freiheitsstatue und dem Empire State Building an dritter Stelle in der Touristengunst - behauptet man bei Eataly.

Für den Engländer Ross ist die Pizzaschule ein prima Auftakt. Zwar sind die Hefefladen rund um die Erde verbreitet und das am meisten gepostete Essen auf Instagram. Doch wenn es um das Original geht, die Pizza Margherita aus Neapel, dann ist man bei Rossopomodoro an der richtigen Adresse. Die Kette ist aus einer Pizzeria in der Stadt am Vesuv entstanden und betreibt heute weltweit viele Filialen. Bei Fico bringt Anastasi den Besuchern die Kniffe bei, mit denen man auch zu Hause eine echte Pizza hinbekommt. Die hat dünn, knusprig, mit aufgeworfenem Rand und spärlich belegt zu sein. Banal? Von wegen: Pizza ist Weltkultur. Die Unesco hat die "Kunst des neapolitanischen Pizzaiolo" Ende 2017 zum immateriellen Kulturerbe erklärt.

Fico will solche Dinge möglichst massentauglich begreifbar machen: Gleich hinter der Drehtür am Eingang der Riesenhalle lädt eine Multimediawand die Besucher zur Entdeckung der anderen 52 italienischen Welterbestätten ein. Dazu zählen neben Ausgrabungsstätten wie Pompeji auch die mediterrane Kost und der Zibibbo-Weinstock auf der Insel Pantelleria. "Fico will der Welt eine Kostprobe der Schönheit und der Artenvielfalt Italiens bieten", sagt Tiziana Primori, die Chefin von Eataly World. Der Bummel durch den Gastro-Park ist ein Crash-Kurs in Esskultur. Auf ihr gründe schließlich der weltweit begehrte Lebensstil der Italiener, findet Primori.

Am Pizzaofen entfaltet sich das Wir-Gefühl

Der Standort von Fico ist günstig. Die alte Universitätsstadt Bologna, in der die Mortadella und die Tortellini erfunden wurden, wird von Billigfliegern angeflogen. Über die Autobahn gelangen Adria-Urlauber vom Badestrand bei Rimini in gut einer Stunde hierher. Die umliegende Region Emilia hat Delikatessen von Weltruf hervorgebracht wie Parmaschinken und Culatello, Parmigiano oder den Balsamico-Essig aus Modena. Die Italiener sind mit Fico den Franzosen zuvorgekommen, die in Dijon 2019 ihren Themenpark Cité Internationale de la Gastronomie eröffnen wollen.

Der Erfolgsformel der Eataly-Kaufhäuser "Kaufen-Essen-Lernen" fügt Fico eine vierte Dimension hinzu: das Erlebnis des Ursprungs und der Umwandlung der Nahrung - vom Feld bis auf den Teller. Auf einer Fläche von 14 Fußballfeldern zeigen 40 Manufakturen hinter Panoramafenstern, wie Olivenöl, die schweren Grana-Käselaibe oder Craft-Bier aus dem Piemont entstehen. Draußen vor der Halle gibt es Schaugärten mit Obst, Gemüse und Kräutern, mit Hanf, Hopfen und Weinreben sowie Ställe mit 200 Tieren. Drinnen kann man Italiens Spezialitäten in 40 Restaurants und Imbissen kosten. Dazu gibt es sechs multimediale Themenräume, angeboten werden zudem 21 verschiedene Mitmach-Kurse.

Press Preview Of The FICO Eataly World Agri-Food Park

Am Stand der Manufaktur Sfogliamo können Interessierte einen Kurs im Tortellinimachen belegen. Selbst die Meisterin braucht eine Stunde für ein Kilo.

(Foto: Geraldine Hope Ghelli/Bloomberg)

Alessia Papalia, 32, zum Beispiel weiht ihre Schüler ins Hantieren mit dem Nudelholz ein. Pasta gilt neben der Pizza ja im Ausland als Inbegriff italienischer Küchenkunst. Das Formen der winzigen Tortellini erfordert ein besonderes Fingerspitzengefühl. Alessia, die aus Ligurien stammt, hat es bei den Großmüttern in Bologna erlernt. Nun unterrichtet die junge Frau Nudelfans am Stand von Sfogliamo darin, eine ausgerollte Teigplatte mit rosa Klecksen aus rohem Schinken, Mortadella, Parmesan und Muskat zu betupfen, die kleinen Quadrate dann gekonnt um den Fingernagel zu wickeln und sanft zu runden Mini-Küchlein zusammenzudrücken. Für ein Kilo Tortellini braucht selbst sie eine Stunde.

Am anderen Ende der T-förmigen Halle üben Fico-Besucher in der Carpigiani Gelato University, fruchtiges Sorbet herzustellen. Ein paar Schritte weiter erfährt man, wie es im Bienenstock zugeht. "Gino füttern" heißt ein Kurs der Bäckerei Calzolari. Gino, immerhin bereits 16 Jahre alt, ist eine italienische Mutterhefe, die anders als deutscher Sauerteig ein mildes Aroma hat und nicht vergoren, sondern leicht nach Wein schmeckt. Bei Calzolari lernt man, Gino aufzufrischen. Anschließend dürfen die Teilnehmer sich ein Stück Gino als Backhelfer mit nach Hause nehmen.

Der Eintritt bei Fico ist frei. Geld kosten Verzehr, Einkauf und die vielfältigen Aktivitäten. Für die Tour durch die weitläufigen Hallen stehen 500 Fahrräder mit Shoppingkörben zur Verfügung. Einen guten Überblick gewinnt, wer sich den Führungen der "Botschafter der Biodiversität" anschließt. Sabrina Santangelo aus Apulien erzählt, es gebe in Italien 1200 Rebsorten, in Frankreich nur gut 200. Entlang des Apennins sollen 533 Ölbaumsorten wachsen, in Spanien 70. Diese außerordentliche Vielfalt an Pflanzen und Agrarprodukten verdanke Italien seiner Lage mitten im Mittelmeer und seinen sehr unterschiedlichen Landschaften und Mikroklimata. Diese Vielfalt übertrug sich auf die Gastronomie. Nichts vermag heute das tief gespaltene, vom Groll beherrschte Land zu einen, als der Stolz auf die eigene Esskultur.

Die Region Emilia zum Beispiel bringt den Culatello hervor, den teuersten Schinken der Welt. Er reift dort bis zu 54 Monate in den Kellern der feuchten, nebligen Po-Ebene. Der Prosciutto di Parma hingegen ziehe das frische Lüftchen auf den emilianischen Hügeln vor. Sabrina stoppt an der Olivenöl-Werkstatt von Paolo Boeri. Der Hipster aus Ligurien presst in der Valle Argentina bei Sanremo in vierter Generation die bei Feinschmeckern besonders begehrte Taggiasca-Olive. Boeri, 26, geht es um Aufklärung. "Wer hier erlebt, wie Olivenöl entsteht, versteht, dass eine Flasche echtes Extravergine-Öl im Supermarkt nicht drei Euro kosten kann", sagt er.

Am Pizzaofen entfaltet sich das Wir-Gefühl grenzüberschreitend. Briten, Franzosen und Kanadier üben im Schnellkurs bei Andrea, ihre Teigscheibe "zu ohrfeigen" - die schwierigste Technik des profimäßigen Auseinanderziehens der Fladen. Nach nur 90 Sekunden kommen die Pizzen dann aus dem Steinofen auf den Teller und werden gemeinsam verspeist. Das Tischgespräch mit Ross und Ruby und einem Paar aus Montreal dreht sich, genau wie bei den Italienern, nur um eines: ums Essen.

Shuttlebusse vom Bahnhof Bologna, der Eintritt ist frei, die Kurse kosten je nach Produkt zwischen 15 und 55 Euro, www.eatalyworld.it

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