Süddeutsche Zeitung

Italien:Das Glück am Strand

Herr über 150 Sonnenschirme, Bademeister und stets charmanter Zuhörer: Unterwegs mit Claudio Abbondanza, seit 48 Jahren Bagnino am Strand von Cervia. Seine Stammkunden kommen bereits seit ihrer Kindheit hierher.

Von Ingrid Brunner

Jedes Strandbad hat seine eigenen Farben. Das ist gut so, denn bei den schier unzähligen Bagni, die die italienische Adria säumen, bieten sie Orientierung: Wer sich im Wasser von der Strömung abtreiben lässt, wer von einem langen Strandspaziergang zurückkommt, dem signalisieren die Farben, dass er sein Bagno wieder gefunden hat. Das Reich von Claudio Abbondanza trägt die Farben Rot und Orange: Seine 150 Schirme und 300 Liegen mit roten und orangefarbenen Streifen stecken das Gebiet ab, in dem er Bagnino ist - eine Position, die mit Bademeister nur unzureichend übersetzt ist, denn Rettungsschwimmer ist er nicht, die Salvataggi wachen von ihren Holztürmen am Strand aus über die Sicherheit der Badenden.

In Shorts und mit Sonnenbrille schätzt man den 60-Jährigen auch mal auf 45

Ein Bagnino hingegen ist Platzwart, Gastgeber, Entertainer, Ordnungshüter und Zuhörer in einem. Er tröstet Kinder, wenn sie sich verlaufen, er ruft übermütige Teenager zur Ordnung, er dirigiert seine Mitarbeiter. Unter der Woche sind es fünf oder sechs, an den Wochenenden bis zu neun Helfer, die den Laden am Laufen halten. Abbondanzas Bagno "Benvenuti" im pinienbestandenen Ortsteil Tagliata ist eines von gut 300 Bädern in Cervia, in ganz Italien sind es Tausende.

Seit 48 Jahren ist Abbondanza schon Bagnino. "Mit Anfang zwanzig war ich in Deutschland", sagt er. Damals habe er in einem italienischen Restaurant in Mannheim gearbeitet, aber es zog ihn zurück in die Heimat. Sein Deutsch ist immer noch passabel. Nach seiner Rückkehr erwarb er seine Konzession für das Benvenuti. Normalerweise wird ein Bagno in der Familie weitergegeben. "Aber leider habe ich es nicht geerbt, sondern vom Vorbesitzer gekauft", erklärt er. Nach ein paar Jahren habe er auch die Konzession nebenan erworben, um mehr Platz zu haben. Die Kosten für eine Konzession variieren je nach Größe des Bagnos, der Strandbreite und der Zahl der Sonnenschirme. Immerhin bleibt das Benvenuti in der nächsten Generation in der Familie: Tochter Claudia wird das Bagno weiterführen, zusammen mit ihrem Mann Andrea Buonconsiglio.

"Früher habe ich das ganze Jahr am Strand gewohnt, jetzt haben meine Frau und ich in der Nähe ein Apartment", sagt Abbondanza. Das sei bequemer, und man habe keinen Sand in der Wohnung. Er ist 60 Jahre alt, aber in Shorts und mit Sonnenbrille könnte man ihn glatt auf 45 schätzen. Die Abbondanzas haben zwar schon Silberhochzeit gefeiert, doch er räumt zwinkernd ein, auch als verheirateter Mann noch gern das Image des Sonnyboys zu pflegen. Gut gelaunt und charmant zu sein, gehöre schließlich auch zu seinen Aufgaben. Aber nach wie vor beginnt sein Tag morgens um halb fünf: Er reinigt seinen Strandabschnitt, stellt Liegen und Schirme akkurat in Reihen auf, harkt den Sand, zieht mit dem Rechen feine geometrische Linien hinein.

Seine Gäste sind hauptsächlich Italiener, Abbondanza findet sehr schade, dass die Deutschen nicht mehr kommen: "Viele von ihnen fahren jetzt lieber in die Türkei." Doch die Italiener bleiben meist dem Bagno treu, in dem sie schon als Kinder waren. Sie erinnern sich an glückliche Ferientage, daran, wie Eltern und Großeltern, Onkel und Tanten bis zu den Knien im Wasser standen, über Gott und die Welt redeten, während ringsherum Kinder tobten. Die meisten kommen deshalb als Erwachsene wieder, mit der eigenen Familie, und mit Nonno und Nonna im Schlepptau.

Ein Bagno ist eine komplexe Angelegenheit: Der Strand ist da nur die erste Reihe, dahinter liegen Beachvolleyballfelder, Tischtennisplatten, Tennis- und Spielplätze, an die sich Terrasse und Bar anschließen. Dort wird zu Mittag gegessen, Eis geschleckt, der Aperitif getrunken, mit anderen Gästen Fußball geschaut. Links und rechts rahmen Holzkabinen, Duschen und Toiletten, deren Türen einheitlich gestrichen sind, das Gelände ein. "Die Stammgäste mieten sich die Umkleidekabinen für den ganzen Sommer", 120 Euro kostet das im Monat, für Einheimische und Langzeitgäste ist das praktisch, sie verstauen dort alles, was es braucht für das Glück am Strand - Badetücher, Kühltaschen, Radio, aufblasbare Seeungeheuer, Sportgeräte. So müssen sie nicht ständig alles hin und dann wieder nach Hause schleppen. Die Tagesgäste mieten sich Liegen und Schirm, 17 Euro kosten ein Schirm und zwei Liegen am Tag.

Auch wenn die frisch gestrichenen Holzkabinen ein wenig aussehen wie auf einer alten Postkarte, so geht das typische Bagno stets mit der Zeit: Früher etwa gab es keine Beachvolleyballfelder, doch mittlerweile ist das Angebot in etlichen Bädern so groß, dass kaum noch Zeit bleibt, ins Wasser zu gehen. Zum Beispiel im Fantini Club im Stadtteil Milano Marittima, wo man nicht nur Sport machen und mit den Füßen im Sand gepflegt essen kann, sondern auch im Spa eine Massage buchen oder in der Strandsauna schwitzen. Wobei: Schwitzen kann man nun wirklich überall.

Reiseinformationen

Anreise: Während der Sommersaison fährt ein Direktzug ab 39,90 Euro pro Strecke von München nach Rimini, (Fahrtdauer acht Stunden) über Innsbruck, Bozen, Trient, Verona, Bologna, Cesena. Von dort weiter per Hoteltransfer oder Taxi nach Cervia, www.bahn.de

Unterkunft: z. B. im Strandhotel Le Palme im Ortsteil Milano Marittima, Doppelzimmer ab 129 Euro mit Frühstück, www.hotellepalme.it

Informationen: Das Bagno Benvenuti liegt in Cervias Ortsteil Tagliata. Ein Schirm und zwei Liegen kosten 17 Euro pro Tag, ab einer Mietdauer von einem Monat sind es 12 Euro pro Tag.

Allgemeine Auskünfte: www.cerviaturismo.it, www.bagnobenvenuti.com

Im Benvenuti sorgt Abbondanzas Schwiegersohn für vorzügliche Küche. Jedes Jahr im Winter besucht Andrea Buonconsiglio Kochseminare und lernt Kochtrends kennen. In der Bar hängen all seine Zeugnisse. "Cucina locale", regionale Küche der Emilia Romagna, nennt er seine Kreationen bescheiden. Doch er macht alles selbst, jede Pasta, jeden Sugo. Ob Fritto Misto, ob Strozzapreti mit Fischsoße oder Tagliolini mit Miesmuscheln.

Einmal Bagnino, immer Bagnino: Ans Aufhören denkt Abbondanza noch lange nicht

Höhepunkt der Saison ist alljährlich der 15. August, Maria Himmelfahrt - italienisch Ferragosto. Dann ist fast ganz Italien am Meer, der Strand wimmelt von Menschen. Alle Bagni haben Livemusik, nachts erleuchtet ein Feuerwerk den Himmel über Cervia. Dann muss die ganze Familie mit anpacken, alle verfügbaren Aushilfen stehen bereit. Fragt man den Bagnino, was er im Überfluss habe, so antwortet er denn auch: "Sonne und Arbeit" - nicht nur zu Ferragosto, ein Bagno müsse nun mal das ganze Jahr über gepflegt werden.

Doch ans Aufhören denkt Abbondanza nicht: "Ein Bagnino zieht sich nicht zurück, er bleibt Bagnino, solange es seine Kräfte erlauben", sagt er und fügt halb im Scherz an, "und solange ich es mit meinem Charme schaffe, auch die deutschen Frauen anzuziehen."

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Quelle:
SZ vom 11.07.2019
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