Italien:Das Dorf der gespiegelten Sonne

Der kleine Ort Viganella im Piemont ist zwischen zwei Bergen eingeklemmt. Damit es auch im Winter etwas Licht gibt, hat der Bürgermeister einen Spiegel installiert, der die Sonne reflektiert.

Birgit Lutz-Temsch

Normalerweise geht jeden Morgen die Sonne auf, und jeden Abend wieder unter. Nicht so in Viganella. In dem zwischen zwei Bergen eingeklemmten Piemonteser Dorf ist es alljährlich von 12. November bis 2. Februar duster. Damit auch im Winter noch ein paar Strahlen auf die Piazza scheinen, hat Bürgermeister Pierfranco Midali jetzt einen Spiegel installieren lassen, der die Sonne reflektiert.

Italien: Bürgermeister Pierfranco Midali (rechts) fotografiert sich selbst im Spiegel

Bürgermeister Pierfranco Midali (rechts) fotografiert sich selbst im Spiegel

(Foto: Foto: oh)

SZ: Glückwunsch, Signor Midali, Sie haben die Natur überlistet!

Pierfranco Midali: Oh, vielen Dank! Wir sind sehr stolz - wir sind jetzt das erste Dorf der Welt, das im Schatten liegt und in dem trotzdem die Sonne scheint.

SZ: Wie geht es Ihnen mit Ihrer gespiegelten Sonne?

Midali: Es regnet! Das ist sehr schade, wir konnten den Effekt noch gar nicht richtig genießen. Aber am 17. Dezember wollen wir eine große Einweihungsfeier machen, wir hoffen sehr, dass das ein schöner sonniger Tag wird.

SZ: Wie lange wird der Spiegel dann im Einsatz sein?

Midali: Für fast drei Monate. Wir haben in Viganella eine sehr interessante kalendarische und solare Konstellation: Am 11. November scheint die Sonne jedes Jahr zum letzten Mal über den Bergrücken. Genau an St. Martin! Und der gab ja seinen wärmenden Mantel an einen armen frierenden Bettler gab - und bescherte ihm so im übertragenen Sinn einen wunderbaren Sonnentag. Und dann kommt die Sonne ausgerechnet am 2. Februar wieder zurück: An Maria Lichtmess! La Candelora, wie es bei uns heißt, wird in Viganella schon seit Jahrhunderten gefeiert, wir begrüßen die Sonne schon immer mit einem großen Fest.

SZ: Da greifen Sie mit Ihrem Spiegel aber ganz schön in die Geschichte ein.

Midali: Oh nein, überhaupt nicht. Der Spiegel wird ja nicht das ganze Dorf bescheinen, er ist nur 40 Quadratmeter groß, das soll gerade mal für unsere Piazza ausreichen. Aber all die anderen Häuser werden weiter im Schatten liegen.

SZ: Werden die Bewohner jetzt nie mehr Probleme mit Winterdepressionen haben?

Midali: Oh, wir Leute von Viganella sind ohnehin sehr lebenslustig! Wir brauchen den Spiegel nicht, um bei guter Laune zu bleiben, die gute Laune ist praktisch zuhause in Viganella.

SZ: Warum wollten Sie dann unbedingt einen Spiegel?

Midali: Nun, er macht unser Dorf bekannter! Und er wird unseren Bürgern gut tun, in gesundheitlicher und sozialer Hinsicht: Hier gehen die Leute den ganzen Sommer über auf die Straße und plaudern miteinander. Wenn es schattig wird, ziehen sie sich sehr zurück. Mit diesem Spiegel geben wir unseren Bewohnern einen sonnigen Winkel, in dem sie dieser Gewohnheit auch im Winter nachgehen können. Das ist ein wunderschöner Effekt!

SZ: Wirkt die widergespiegelte Sonne nicht künstlich?

Midali: Nein, das Licht scheint, als käme es direkt von der Sonne.

SZ: Wärmen diese Strahlen?

Midali: Auch, natürlich. Von der ursprünglichen Wärme übertragen sich 80 Prozent. Es ist wie ein kleiner Ofen.

SZ: Und im Sommer?

Midali: Nein! Denn in unseren Lichtmonaten hätten wir mit Spiegel zwei Sonnen, die echte und die gespiegelte - das wäre unnatürlich. Deshalb haben wir uns für den Sommer etwas anderes tolles überlegt: Wir wollen den Spiegel in der Nacht benützen!

SZ: Was wollen Sie denn in Sommernächten spiegeln?

Midali: Ha, auch die Nacht hat ihre Geheimnisse! So, wie Viganella im Winter für drei Monate keine Sonne hat, haben wir im Sommer für drei Monate keinen Mond. Wir verpassen den Vollmond von Juni und Juli. Deshalb haben wir uns überlegt, den Mond in diesen Nächten mit dem Spiegel einzufangen. Wir könnten, sobald die Lichter im Dorf erlischen, Astronomiekurse abhalten und Sternenkonstellationen erklären. Ist das nicht toll? Wir nehmen den Spiegel im Sommer tagsüber und im Winter nachts!

SZ: Auch wenn man den Mond vielleicht nicht so vermisst wie die Sonne...

Midali: Aber auch das wird eine sozialisierende Wirkung haben: In diesen schönen klaren Sommernächten, in denen es bei uns ja nicht kalt ist, können die Menschen zusammenkommen und sich den Mond im Spiegel anschauen. Ist das nicht romantisch?

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