Italien:Besser perlen

Im Trentino wird hochwertiger Sekt gekeltert, der nichts mit billigem Prosecco gemein hat. Doch das schlechte Image ist hartnäckig.

Von Helmuth Luther

In den unterirdischen Hallen der Kellerei Ferrari, direkt an der Autobahn südlich von Trient, rattern die Förderbänder. Tausende Flaschen werden in Kartons verpackt. Eine Etage höher prosten Firmenvertreter ihren Kunden aus Asien mit gefüllten Sektgläsern zu. "Chinesen bezahlen für guten Sekt gerne viel, bei den Deutschen verhält es sich eher umgekehrt", sagt Matteo Lunelli. Der Anfangvierziger ist einer von vier Cousins aus der mächtigen Trientner Unternehmerfamilie, die in der Sektkellerei Ferrari das Sagen haben. Während der Herr im eleganten Business-Anzug über das Ziel philosophiert, die hauseigenen Schaumweine als "Inbegriff italienischer Kultur und Lebensart" zu vermitteln, überprüft seine Cousine Camilla, ob im großen Saal nebenan alle Tische gedeckt sind. Dann widmet auch sie sich den auswärtigen Besuchern und der schwierigen Aufgabe zu erklären, "dass italienischer Schaumwein nicht mit Prosecco gleichzusetzen ist".

Sondern etwa mit Spumante Trento Doc. Mit jährlich vier bis fünf Millionen verkauften Sektflaschen ist Ferrari in Italien Marktführer. Doch gegen die Bekanntheit von Prosecco ist es nicht leicht anzukommen. Der ist eigentlich eine geschützte Herkunftsbezeichnung für Perlweine aus den Regionen Veneto und Friaul-Julisch Venetien, gilt aber oft als Synonym für italienischen Sekt. Bei Billig-Abfüllungen wird künstlich Kohlensäure zugesetzt, während das angenehme Prickeln edler Spumanti von der Gärung im Tank beziehungsweise in der Flasche kommt. Als aufwendigstes Verfahren gilt die klassische Champagnermethode, bei der der Wein nach der ersten eine zweite Gärung durchmacht - in derselben Flasche. Anschließend gelangt er in monate- oder sogar jahrelanger Kellerlagerung zur Trinkreife. Nach dieser Methode wird nicht nur in Frankreich oder Deutschland hochwertiger Schaumwein hergestellt. Auch Italien ist ein traditionsreiches Schaumweinland. Etwa 20 Millionen Flaschen werden hier jährlich nach dem Metodo Classico erzeugt, davon etwa ein Drittel im Trentino.

Pioniere holten schon im 19. Jahrhundert Reben aus Frankreich

Eine wichtige Rolle bei dieser Erfolgsgeschichte spielt das Agrarinstitut San Michele. Die Forschungs- und Lehranstalt im gleichnamigen Dorf wurde 1874 eröffnet, als Erste im damaligen Österreich. San Michele erreicht man von Trient aus schnell über die Autobahn. Schöner aber ist eine kurvenreiche Fahrt über die Weinstraße "Strada del Vino e dei Sapori del Trentino".

Am Agrarinstitut San Michele lernte Giulio Ferrari, der Gründer der nach ihm benannten Kellerei, sein Handwerk. Ende des 19. Jahrhunderts begann er mit dem Anbau der wichtigsten Champagner-Rebsorten Chardonnay und Pinot Noir. Nach einigen Studienjahren in Frankreich hatte er von dort das Wissen um die Champagner-Herstellung sowie die geeigneten Rebsorten mitgebracht.

Der Direktor des Agrarinstituts, Sergio Menapace, empfängt in einem stuckverzierten Turmzimmer des ehemaligen Augustinerklosters. Durch die Fenster schaut man im Süden und Westen auf die Rotaliana-Ebene, eine am Zusammenfluss von Etsch und Noce in Jahrhunderten von Menschen gestaltete Schwemmlandschaft. Auf den sich kilometerweit erstreckenden Pergola-Anlagen seien "bis in die 1970er-Jahre vor allem Vernatsch-Trauben für den damals beliebten Kalterersee-Fusel geerntet worden", erzählt Menapace. Heute wächst in der Ebene vorwiegend der Rotwein Teroldego, während die für die Sekt-Herstellung verwendeten Chardonnay- und Pinot-Noir-Trauben an den Hängen entlang des Etschtals kultiviert werden. "Mineralische, höher gelegene Böden sowie kühle Bergwinde, die den Pilzbefall dämpfen, bilden dort ideale Bedingungen", sagt Menapace. Starke Schwankungen der Tag-Nachttemperaturen sorgten im Vergleich zu den Tallagen für eine verzögerte Reife. "So entstehen frische, säurebetonte Weine." Im ehemaligen Kloster ist ein sehenswertes Museum zum bäuerlichen Leben sowie ein Geschäft untergebracht, in dem man die hauseigenen Weine und Sekte kaufen kann.

Reise

Zum Verkosten vor Ort folgt man am besten der von Trattorien, Agriturismo-Betrieben und Weinkellereien gesäumten Weinstraße. Am linken Etschufer geht es durch stille Weiler, in denen sich Rosen um die Gartenzäune ranken. Überall entlang der Straße sind die Häuser von Schrammen gezeichnet, immer wieder bleibt hier in der Enge ein Lastwagen hängen. Auf einer Sonnenterrasse über Lavis steht der Maso Poli. Neben zwei weiteren Bauernhöfen gehört das jahrhundertealte Anwesen samt moderner Kellerei drei Schwestern: Romina, Valentina und Martina Togn.

"Unser Vater Luigi meinte, wenn jede ihren eigenen Hof bekäme, gibt es keinen Streit", sagt die Jüngste, Martina, bei einer Führung durch die Kellerräume. Es geht vorbei an bis zur Decke gestapelten Spumante-Flaschen sowie zahlreichen, die Aromen von Holz und Wein ausdünstenden Barriquefässern. Im Probierraum, der wie ein U-Boot-Turm aus dem Weinberg ragt, füllt Martina Togn Gläser mit einem Riserva Maso Poli. Der nur aus Pinot Noir gekelterte, mindestens 50 Monate auf der Hefe gelagerte Riserva kitzelt mit seiner herben Säure herausfordernd Zunge und Gaumen.

Reiseinformationen

Anreise: Mit der Bahn oder dem Auto bis Trient, oder mit dem Flugzeug nach Verona.

Übernachten: B&B Ca' dei Fazzilisti, Valle San Felice, Mori, Doppelzimmer kostet 70 Euro, www.fazzilisti.it; Maso Besleri, Agriturismo in Valbona 1, 38034-Cembra, die Übernachtung kostet 40 Euro pro Person, www.pojeresandri.it

Essen: Trattoria Dolce Spina in Mezzocorona, Tel.: 0039/0461/60 17 10; Osteria a Le Due Spade, Via Don A. Rizzi 11 in Trient, www.leduespade.com

Sekt/Wein: Viele Kellereien bieten Führungen und Verkostungen an, www.discovertrento.it/de/enogastronomia/cantine Weitere Auskünfte: www.visittrentino.it, www.stradavinotrentino.com

Zu Silvester hatten sich sämtliche Togns beim landesüblichen "Cenone", dem großen Abendessen, versammelt. Natürlich gab es auch in der Winzerfamilie den traditionellen Cotechino mit Linsen, eine mit Salz und Pfefferkörnern gewürzte Rohwurst vom Dorfmetzger, dazu den Riserva 2009. Martina Togn bevorzugt zum Spumante eigentlich Pizza, was zu ihrer bodenständigen Art passt. Sobald wärmere Tage kommen, wird Martina Togn mit ihrer feuerroten Brutale 800, "einem der letzten handgefertigten Motorräder", über die Weinstraße kurven. Und in den Pizzerien Ausschau halten, ob jemand ihren 2009er Riserva bestellt hat.

Vor dem Pressen kommen die Trauben in einen Jacuzzi, damit sie sauber werden

Zwei echte Pioniere leben auf 700 Metern an der Weinstraße, in Faedo. Im Weingarten Palai hoch über dem Ort haben Fiorentino Sandri und Mario Pojer, ein Mechaniker und ein Absolvent des Agrarinstituts San Michele, vor 41 Jahren die Trauben für ihren ersten Bio-Wein geerntet. Mittlerweile haben die Rebstöcke Unterschenkeldicke erreicht. "Im Sommer blüht hier alles, zahllose Bienen und Käfer schwirren herum", sagt Pojer, ein Mann mit borstigem Schnauzbart, während er bis zur Kuppe des steilen Weinbergs hinaufsteigt. Von dort sieht man die schneebestäubten Gipfel der Brenta-Gruppe. Die beiden Jugendfreunde bewirtschaften ihre Rebflächen nach den strikten Demeter-Bio-Richtlinien, zu den ursprünglichen zwei Hektar Weinberg, die Sandri geerbt hat, konnten sie 18 hinzukaufen. Zurück in der Kellerei am Ortsrand von Faedo, zeigt Mario Pojer die gefüllten Barriquefässer. Hier reifen seine Spumanti mindestens 30 Monate auf der Hefe, die Fässer stehen auf Rädern. "Damit sie bequem gerüttelt werden können", erklärt Pojer. Er ist der Tüftler im Keller, während der gelernte Mechaniker Sandri Maschinen entwickelt. Seine erfolgreichste Erfindung ist eine Art Jacuzzi, um die Trauben vor dem Pressen von Staub und Spritzmittelresten zu reinigen. Mehr als 1800 Kellereien verwendeten das Jacuzzi-Modell derzeit, erzählt Pojer stolz: "Wir haben es aufgegeben, Prozesse gegen illegale Nachahmer zu führen, das frisst nur die Leber auf." Klüger ist es, das Verdauungsorgan durch Weinproben zu belasten, etwa mit einem Cuvée Extra Brut aus der Lage Palai.

Hinweis der Redaktion

Die Recherchereisen für diese Ausgabe wurden zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

Der strohgelbe, zu einem Drittel aus Pinot-Noir- und zu zwei Dritteln aus Chardonnaytrauben gekelterte Sekt prickelt leicht, was zügigen Trinkgenuss ermöglicht. Ein großer Fan dieses Weins sei Giuseppe Sandri, der Bruder seines Geschäftspartners, erzählt Pojer. Sandri ist Bischof im südafrikanischen Emalahleni. "Kehrt er nach den Heimatbesuchen dorthin zurück, dann nie ohne ein paar von diesen Flaschen."

Als Mario Pojer seine Gäste hinausbegleitet, ist es längst dunkel geworden. Über den um die Dorfkirche gescharten Bauernhäusern schweben Rauchfahnen. "Dort, dort und dort!" feuere man im Herbst nach der Traubenernte ebenfalls die Öfen an, sagt Pojer und zeigt in weitem Bogen auf ein Dutzend Bauernhäuser. "Es soll aber nur so aussehen, als heize man die Stuben ein. In Wahrheit wird heimlich Schnaps gebrannt!" Die Frage, was denn Bischof Giuseppe vom illegalen Treiben hält und ob er gar selbst Schwarzgebrannten mit nach Südafrika schmuggelt, beantwortet Mario Pojer mit einem Grinsen.

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