Itacaré in Brasilien:Eins mit der Natur

Itacaré Bahia Brasilien Südamerika

Schützenswert: Zehntausende Hektar Land zwischen Itacaré und Serra Grande wurden zur APA-Schutzzone und zum Unesco-Welterbe erklärt.

(Foto: Diego Cardini; diegocardini / iStockphoto)

Im Süden des brasilianischen Bundesstaates Bahia gibt es viel ungebändigte Natur. Vielleicht ziehen deshalb so viele Menschen hierher, um nachhaltige Lebensformen zu erproben.

Von Christine Wollowski

Angefangen hat es mit den Surfern. Sie haben die Strände entdeckt, die sich im Süden Bahias zwischen dichtem Regenwald verstecken und nur über verschlammte Lehmpisten erreichbar waren. Ihre Erzählungen von Wellen, überwältigender Natur und gastfreundlichen Fischern lockten weitere Surfer nach Itacaré. Bis irgendwann der Erste eine Pizzeria aufmachte, ein Zweiter den Energiesnack Açaí verkaufte und ein Dritter eine Pension baute.

Allmählich wuchs Itacaré zur mittleren Stadt, zum lässigen Urlaubsziel für Surfer und Alternative. Heute gehört das Städtchen zu Brasiliens international besuchten Urlaubszielen. Neben Pizza und Açaí wird längst Sushi und Surfmode angeboten, und sogar Nicolas Sarkozy und Paul McCartney waren schon hier.

Die VIPs wohnen allerdings nicht im Ort, sie bevorzugen den Regenwald, genauer das Txai-Resort. Das Txai ist eines der edelsten Resorts Brasiliens und eine Erfindung von ein paar Leuten aus São Paulo: Sie kauften sich eine 100 Hektar große Farm an einem der schönsten Strände und beschlossen, die Natur zu nutzen, ohne sie zu zerstören. "Wir haben beim Bau keinen einzigen Baum gefällt", erzählt Geschäftsführer Paulo Silva stolz und zeigt, wie ein Bungalow sich elegant an einen Cashewbaum lehnt - und diesen trotzdem ungehindert weiter wachsen lässt. Die Gäste des Txai sehen das Meer nur durch Kokospalmen und Gebüsch durchschimmern. Sie müssen weiter laufen als in schicken Hotels sonst üblich, um durch die dichte Ufervegetation an den weißsandigen Strand Itacarezinho zu gelangen.

Nachhaltigkeit als Verkaufsargument

Das Wort Txai entstammt einer Indio-Sprache und bedeutet so etwas wie "Gefährte" - womit jede Art Lebewesen gemeint sein kann. Folgerichtig finanziert das Resort ein Projekt zum Schutz der Meeresschildkröten und unterstützt Kleinbauern wie José Gomes beim Anbauen von Biogemüse. "Früher haben wir Kunstdünger gestreut, um den Boden zu verbessern, und wenn er trotzdem nichts mehr hergab, haben wir eben mehr gerodet", erzählt Gomes und fügt hinzu: "Wir haben es ja nicht besser gewusst." Inzwischen ist er stolz darauf, keine Bäume mehr zu schlagen und nur mit Laub und Tierdung zu arbeiten. Salat, Rucola und anderes Gemüse, auch Bananen verkauft er ans Resort und auf dem wöchentlichen Biomarkt in Itacaré. Nachhaltigkeit ist vor allem bei zahlungskräftigen Urlaubern ein Verkaufsargument.

Warum sich aber gerade in der Gegend um Itacaré so viele Menschen Gedanken über die Umwelt und alternative Lebensformen machen, kann niemand erklären. Es gibt hier nicht nur das Txai. Es gibt die Waldorfschule Dendê da Serra, die Bewegung der "Mäzene des Lebens", die Esoterik-Kommune von Piracanga, das Retreat-Zentrum Pedra do Sabiá - und das sind längst nicht alle Projekte. Dazu kommen private Naturschutzgebiete und Einzelpersonen, die im Wald ihre Vorstellungen von Nachhaltigkeit und Spiritualität leben. Vielleicht, weil der Regenwald hier noch zu retten ist; weil es hier so unbändig viel Natur gibt, dass es leicht fällt, sich als Teil davon zu fühlen; oder weil vor ihnen schon andere da waren und sie nicht ganz allein und von vorn anfangen mussten.

Waldretter statt Waldzerstörer

Hugues de Rincquesen war einer der Ersten. Der Unternehmensberater aus Paris hat sich vor mehr als 30 Jahren die 400-Hektar-Plantage Pedra do Sabiá am Ufer des Rio de Contas gekauft. "Ich habe von einem Leben mit der Natur und in Gemeinschaft mit anderen geträumt", erzählt er. "Als ich durch den Wald ans Flussufer gekommen bin, habe ich mich so zu Hause gefühlt, dass ich nach einer halben Stunde beschloss, das Land zu kaufen." Später erst sei ihm klar geworden, dass es nicht einmal eine richtige Straße nach Itacaré gab. In den folgenden 20 Jahren hat Hugo, wie ihn die Brasilianer nennen, bei seinen jährlichen Besuchen erlebt, wie sich die Gegend entwickelt hat - vor allem, nachdem 1998 die Asphaltstraße zwischen Itacaré und dem 64 Kilometer entfernten Ilhéus gebaut wurde: "Fast jeden Tag sind Fremde aufgetaucht, die Land kaufen und Geld verdienen wollten", erinnert er sich. "Erst später kamen wieder Leute mit alternativen Ideen."

Im Jahr 2000 hat Hugo die Pedra do Sabiá zum privaten Schutzgebiet erklären lassen und seinen Lebensmittelpunkt auf die Plantage verlagert. Seitdem beginnt sein Tag bei Vogelgesang und Blätterrauschen mit Yoga und Meditation und Blick auf den Fluss. Langsam fanden sich Gleichgesinnte ein: eine ehemalige Architektin aus Rio, die jetzt lieber Qi Gong und Taoismus lehrt, als Häuser zu planen. Zwei Rumänen, die Aura lesen, und eine Künstlerin aus Portugal, die sich um ganzheitliche Ernährung kümmert. "Wir haben noch Platz und Ideen für weitere Bewohner", sagt Hugo.

Zwischen Jackfruchtbäumen und Baumfarnen

Auch Salvador Ribeiro aus São Paulo lebt ein besonderes Leben im Wald. Auf dem Weg zu seinem Haus plätschert ein Flüsschen zwischen Jackfruchtbäumen, Açaí-Palmen, Baumfarnen und Dutzenden anderen Pflanzen. Wegen der hohen Biodiversität und den vielen endemischen Arten sind zwischen Itacaré und Serra Grande 56.000 Hektar zur APA-Schutzzone und zum Unesco-Welterbe erklärt worden, weitere 9000 im Nationalpark Condurú geschützt. Salvador lebt mittendrin, auf einem Gelände von mehr als 30 Hektar, das er und seine Mitstreiter seit Jahren aufforsten. Die sechs Freunde nennen sich "Mäzene des Lebens", denn der Wald ist für sie das Leben.

"Wir wollen das erste brasilianische Urlaubsziel werden, das seinen kompletten CO₂-Ausstoß neutralisiert", sagt der drahtige Salvador. Die Mäzene errechnen für jedes Tourismusunternehmen in der Gegend dessen individuellen CO₂-Ausstoß - und den notwendigen Betrag, um entsprechende Wiederaufforstung zu finanzieren. Die neuen Bäume pflanzen Kleinbauern, die durch die zusätzlichen Einnahmen nicht mehr aufs Roden angewiesen sind. Durch die Arbeit der Mäzene sind inzwischen zwei Dutzend Bauern und ihre Familien von Waldzerstörern zu Waldrettern geworden, mehr als die Hälfte aller Betriebe tragen stolz die grüne Plakette, die ihnen CO₂-Neutralität bescheinigt.

Nebenan auf einer Anhöhe mit Weitblick über die Baumkronen lernen neue Generationen von klein auf, sich als Teil eines großen Ganzen zu fühlen: In den Klassenräumen der Waldorfschule Dendê da Serra bestücken die Schüler gerade ihr "Zyklus-Tischchen", auf dem sie Muscheln, Blätter, Blüten und anderes sammeln, was ihnen typisch erscheint.

"Ernährst du dich schon von Licht?"

Gegründet hat die Schule vor zwölf Jahren eine Deutsche. Silvia Reichmann, Pädagogin und in São Paulo aufgewachsen, war mit ihrem Mann nach Süd-Bahia gezogen und wollte ihre Kinder nicht in eine der typischen Privatschulen schicken, die ihnen nur "Barbiewelten" zeigten. Die ersten Kinder unterrichtete die resolute Frau in einem ehemaligen Stall. Das Schulgrundstück spendete sie kurz darauf selbst, das Gebäude finanzierte eine deutsche Software-Firma.

Bis heute sind in der Dendê die Finanzmittel knapp, aber immerhin besuchen die Schule neben den Landkindern aus der Gegend inzwischen auch Kinder von zahlungskräftigeren Zugezogenen. Die Schule hat sich zum Magnet entwickelt, der alternativ Denkende anzieht. So gibt es in dem 7000-Seelen-Dorf Serra Grande nur zwei bescheidene Pensionen, aber ein violettes Haus, in dem sich Schwangere zur Vorbereitung einer natürlichen Geburt treffen. Im blauen Haus daneben geben Musiker ihre Leidenschaft an Kinder weiter. Und in der Box, einem alternativen Kulturzentrum, hat letztens der Kolumbianer Carlos modernen Tanz aufgeführt - den er sonst auf Bühnen in Rio, São Paulo und Metropolen im Rest der Welt zeigt. Sogar die Dörfler sind zu dem Spektakel erschienen.

Die Welt von innen nach außen verändern

"Und zu welcher Art Mensch gehörst du", fragen sie manchmal Neuankömmlinge, "isst du noch, oder ernährst du dich schon von Licht?" Damit spielen sie auf die Bewohner von Piracanga an, der Kommune nördlich von Itacaré. In einer ehemaligen Kokosplantage direkt am Strand leben hier mehr als 70 Erwachsene und Kinder verschiedener Nationalitäten. Schmale Fußwege verbinden eine Handvoll mit Piaçava-Palmwedeln gedeckte Häuser, dazwischen wachsen Cashewbäume und Hibiskus, parallel zum Meer verläuft ein flacher, breiter Fluss.

Die Leute in Piracanga wollen die Welt von innen nach außen verändern. Zuallererst also sich selbst. Dafür nutzen sie einen "Prozess", bei dem sie 14 Tage isoliert in einer der Hütten am Strand verbringen, einmal am Tag in einer Gruppensitzung von ihren Erlebnissen sprechen und vor allem keinerlei Nahrung zu sich nehmen - teilweise auch keine flüssige. Der Prozess soll helfen, Krankheiten aus dem Körper zu brennen, Antworten auf Fragen des eigenen Lebens zu finden.

Die Leute von Piracanga sind meist jung und fröhlich. Sie teilen Häuser, Finanzen und die Idee von einer Welt, in der jeder seinen Traum leben kann. In der kein Wecker klingelt und keine Schimpfworte fallen. In der Natur und Mensch in Harmonie miteinander leben. Diese Idee lockt heute fast ebenso viele Besucher nach Piracanga wie früher die Wellen Surfer nach Itacaré.

Informationen

Brasilien Bahia Itacaré
(Foto: SZ Grafik)

Anreise: Beispielsweise mit der brasilianischen Fluglinie TAM von Frankfurt aus über São Paulo nach Ilhéus, ca. 1500 Euro, www.tam.com.br; günstiger ist es, nur bis Salvador zu buchen, ebenfalls bei TAM (ca. 850 Euro), Weiterflug dann entweder mit der Fluggesellschaft Azul für rund 100 Euro hin u. zurück, www.voeazul.com.br, oder per Überlandbus, rund 40 Euro hin/rück; die Fahrt dauert sieben Stunden.

Beste Reisezeit: Von Juni bis August regnet es viel, sonst ganzjährig gut zu bereisen.

Unterkunft: In Ilhéus: Hotel La Dolce Vita, DZ ca. 125 Euro, www.ladolcevita.com.br; in Itacaré: Pousada Pedra Torta, DZ ca. 80 Euro, www.pousadapedratorta.com.br; Itacaré/Serra Grande: Resort Txai, DZ ca. 350 Euro, www.txai.com.br

Weitere Auskünfte: www.itacare.com.br, www.serragrande.net; zu den Projekten: www.mecenasdavida.org.br, www.dendedaserra.org.br, www.pedradosabia.com.br, www.piracanga.com

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