Istanbul:Türkisch für Anfänger

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Tradition? Ja! Moderne? Ja! Von Istanbul kann sich der Rest der Welt noch was abschauen. Beobachtungen aus der heimlichen Hauptstadt am Bosporus.

Jina Khayyer

Selbstbewusstsein

Die einen bezeichnen es als Tate Türk, andere nennen es das Guggenheim von Istanbul - und das, obwohl es erst im September eröffnet hat. Dabei braucht das Museum Santral Istanbul, das von der Bigli-Universität in Istanbul initiiert wurde, gar kein Synonym. Es liegt in einem stillgelegten Elektrizitätswerk am Zipfel des Goldenen Horns, von wo aus bis Anfang der achtziger Jahre ganz Istanbul mit Strom versorgt wurde. Und gilt so schon als eines der größten europäischen Kulturprojekte.

Die erste Ausstellung trägt den Titel "Modern and Beyond", was übersetzt so viel bedeutet wie: zeitgemäß und darüber hinaus (läuft noch bis 29. Februar 2008). Anhand dieser Ausstellung bekommt man ein gutes Gespür dafür, wie die Türken ticken: "Modern and Beyond" zeigt ausschließlich türkische Künstler - schließlich gilt es, das eigene Land und die eigenen Leute zu bewerben. Vollkommen selbstbewusst. Als wäre es ganz normal, dass das wichtigste zeitgenössische Museum der Stadt vor allen Dingen sich selbst und seine Kunstgeschichte präsentiert.

Doch anstatt den unangenehmen Eindruck von Selbstdarstellung zu erwecken, überzeugt die Ausstellung durch Ehrlichkeit. Sie zeigt, wie türkische Künstler, durch den Kubismus, moderne Kunst für sich entdeckten - und schämt sich nicht, zu belegen, dass türkische Künstler im internationalen Vergleich lange keine relevante Rolle spielten.

Jeder Künstler wird gleichermaßen stolz gefeiert, und nicht einmal in der dritten Etage des Museums schimmert Arroganz durch, wo die Arbeiten von Haluk Akakce stehen: eines renommierten zeitgenössischen Video-Künstlers, dessen Werke in der Tate Britain ausgestellt wurden und auch zur permanenten Sammlung des MoMA in New York gehören.

Santral Istanbul, Eski Silahtaraga, Kazim Karabekir Cad. No.1, www.santralistanbul.org

Tradition

Man stelle sich folgendes Szenario vor: Samstagmittag auf der Münchner Maximilianstraße. Straßenbahn, Porsche Cayenne, Fußgänger, Fahrradfahrer, Kinderwagen - alles schwirrt, brummt und hektikt an den Luxusboutiquen vorbei. Neben der auf Hochglanz polierten Jil-Sander-Fassade steht eine kleine, verfallene Haustür offen. Der schmale Flur dahinter führt auf einen zwei Quadratmeter breiten Raum zu. In dem Räumchen steht ein Mann und kocht Tee, bestückt anschließend sein Tablett mit randvoll gefüllten Teegläsern und läuft etwa hundert Mal am Tag über die Maximilianstraße - um die Angestellten der Luxusboutiquen mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen. Ein Glas kostet 30 Cent, bestellt wird per Telefon. Das wäre schön, nicht?

In Istanbul spielt sich ebendies jeden Tag ab. Im Stadtteil Nisantasi, auf der Abdi Ipekci Caddesi - der Maximilianstraße von Istanbul. Den Tee kocht das Männlein mit einem Samowar: jenem orientalischen Teekocher, bei dem oben der Sud blubbert und unten das Wasser kocht, mit dem der Sud später aufgegossen wird. Die Türken pflegen ihre Tradition und sorgen dafür, dass trotz modernen Luxus die Teestuben erhalten bleiben. Viel Platz brauchen sie ja nicht.

Styling

Aysem trägt ein flaschengrünes Paillettenkleid. Der Rücken ist tief ausgeschnitten, das Kleid ziemlich kurz. Darunter blitzen eine Art Lederleggings hervor. Die Schuhe sind Balenciaga, jenes Legomodell, das momentan in jedem Modemagazin abgelichtet ist.

Wo sie das Kleid gekauft hat? "Bei Browns in London" - diese Antwort sitzt: Denn abgesehen von Londonern und Beschäftigten in der Modebranche kennen nicht viele Browns.

Aysem ist Geschäftsführerin der Brasserie Nisantasi, die so etwas ist wie das Wohnzimmer der Istanbuler High Society, zu der auch Ece gehört. Ece heißt übersetzt Königin, und genau so benimmt sie sich auch in ihrem pinkfarbenen Oscar de la Renta-Couturekleid, dessen Schulterpartie und Ärmel mit schwarzen Steinen bestickt sind. Ece ist berühmt in der Türkei: Das Ex-Model hat eine eigene Mode-TV-Show auf dem Sender NTV und besitzt eine Vintage-Boutique in Istanbul, die so heißt wie sie. Ece Sukan.

Ece und Aysem sind keine Ausnahmen: Die modebewussten Istanbulerinnen tragen die Trendteile vom Laufsteg im Alltag und sehen dabei an einem gewöhnlichen Dienstag so aus, als wären sie gerade einer Mario-Testino-Modestrecke entsprungen: Neongelbe Strickpullover von Martin Margiela, mit eckigen Schulterpolstern. Knallrote Satin-Minikleider von Marni. Oder kobaltblaue Tuniken eines anderen angesagten Labels.

Die Istanbulerin trägt Luxusmarken. Aber nicht die lauten, Roberto Cavalli oder Dolce & Gabbana, sondern die eleganten: XXL-Taschen von Chanel, von 1000 Euro an aufwärts, sieht man hier so häufig wie in Berlin-Mitte Turnschuhe. Die wiederum sucht man bei der Frau hier vergeblich. Am Fuß trägt sie Christian Louboutin, und auf dem Kopf: langes, perfekt geföhntes Haar.

In der besten Boutique am Platz, Beymen, zu der auch die Brasserie gehört, gibt es neben dem hauseigenen La Prairie Spa auch einen Coiffeur. Die Frauen, die hierherkommen, sehen - nach unseren Maßstäben - bereits topfrisiert aus, bevor der Friseur Hand anlegt. Manche von ihnen kommen drei Mal in der Woche. Einmal föhnen bitte - zehn Minuten, 20 Euro - danke.

Beymen & Brasserie Nisantasi, Abdi Ipekci Caddesi No.23; Ece Sukan Vintage, Ahmet Fetgari Sokak (Kalipci Sokak) No. 152

Shopping

Die beste Einkaufsadresse ist, wie gesagt, Beymen: ein Luxuskaufhaus mit mehreren Filialen in Istanbul und anderen Städten in der Türkei. Die Auswahl hier stellt jedes andere Luxuskaufhaus auf der Welt in den Schatten, abgesehen vielleicht von Barneys und Villa Moda.

Verantwortlich dafür sind zehn Einkäufer, durchschnittlich 25 Jahre alt. "Unsere Kundin ist in der Regel zwischen 30 und 35 Jahre", sagt Esel Cekin. "Sie trägt Kleidergröße 38 oder 40, ist reich und hat einen guten Geschmack."

Esel Cekin ist Managing Director aller Beymen-Boutiquen, und erfüllt selbst alle Kriterien ihrer Zielgruppe. Woher sie ihre Käuferschaft so genau kennt? "Wir haben ein Kartenprogramm. Black, Platin, Gold. Und als Familienunternehmen pflegen wir zu unseren Stammkunden ein persönliches Verhältnis", sagt Cekin.

Stammkunden heißt: 250 Kundinnen kommen mindestens zwei Mal in der Woche und geben pro Saison mindestens 150.000 Euro aus. Dafür bekommen sie die schwarze Karte.

Die Verkäufer kennen nicht nur jede Besitzerin mit Namen, sondern auch ihren Geschmack. Zum Geburtstag wird Kuchen, Champagner und ein Geschenk nach Hause geschickt. "Eine kleine Überraschung, die sie glücklich macht", sagt Cekin. Um die Platinkarte zu bekommen, muss man pro Saison mindestens 80.000 Euro ausgeben. Von diesen einkaufslustigen Kunden hat Beymen mehr als 2000. Cekin weiß dank ihres Kartenprogramms auch, dass die Besitzer der Black Cards 20 Prozent des Gesamtumsatzes bringen. 95 Prozent der Beymen-Kunden sind Türken, von denen wiederum 70 Prozent Istanbuler sind.

Gerade hat Beymen in Istanbul eine neue Filiale eröffnet, im luxuriösen Einkaufskomplex Istinye Park. Kreisförmig angelegt gibt es hier neben Beymen auch Monobrand-Boutiquen von Paul Smith, Chloé, Gucci, Bottega Veneta, Yves Saint Laurent. Beworben wird der Luxusshopping-Park übrigens mit Kate Moss.

Beymen, Istinye Park No. 477

Kundendienst

Guter Service kostet, das ist so überall auf der Welt. In Istanbul bekommt man ihn auch gratis: Wer in einem Hotel auf der asiatischen Seite wohnt, beispielsweise im Ajia Hotel, wird per Boot gratis über den Bosporus nach Europa gefahren und wieder zurück. Das erspart einem bis zu drei Stunden Stau: Denn nach wie vor kann man nur mit dem Auto - über eine der beiden Brücken - die Meerenge überqueren und den Kontinent wechseln. Eine lange, lange Reise. Mit dem Boot dauert es nur 20 Minuten.

Wird bei Beymen ein Hemd gekauft, kann man es dort bügeln lassen, ein Leben lang. Wer zu- oder abnimmt, dem werden auch die Jacken, Hosen oder Kleider angepasst. Bügeln dauert fünf Minuten, Umnähen eine halbe Stunde. Auch im Hamam, in Boutiquen oder beim Friseur kann sich der Service sehen lassen: Wer hier wartet, bekommt stets Tee, Kaffee, Süßes oder Zigaretten angeboten.

In guten Hotels ist Internet gratis. Wer meint, das sei normal, der irrt: Im Gramercy Park Hotel in New York etwa, wo die Nacht ab 600 Dollar kostet, werden fürs Online-Surfen pro Tag 15 Dollar berechnet. Steuern ausgeschlossen.

Ausgehen

Was das P1 in den achtziger Jahren für München war, ist der Club29 für das heutige Istanbul: Ein Szenetreffpunkt in der obersten Etage eines verglasten Hochhauses mit Blick über die Stadt und den Bosporus, bis hinüber nach Asien.

Auf den Tischen stehen große Platten mit frisch geschnittenem Obst, das nicht zur Zierde, sondern zum Verzehr bestimmt ist. Alles tanzt, auch auf den Tischen, und im Raum liegt dichter Nebel: Die Orientalen rauchen Kette, aber keiner zeigt sich gestört. Das Rauchverbot wird sich hier sicher nicht durchsetzen; denn Rauchen ist bei den Türken nunmal ein Garant für gute Partylaune.

Aus den Lautsprechern dröhnt türkischer Pop, und alle singen mit. Auch wenn das zu Beginn der Partynacht sicher nicht der Fall war, am Ende eines Abends kennen sich die Gäste untereinander. Denn jeder benimmt sich, als wäre er auf derselben Hochzeitsfeier eingeladen. Dresscode: Mario-Testino-Look, natürlich.

Im Stadtviertel Beyoglu, dem Kiez von Istanbul, geht ein anderes Nachtleben ab: Hier findet man Bars und Clubs in der obersten Etage eines gewöhnlichen Wohnhauses - solche Off Locations sind hier Programm. Weniger chic, dafür cooler; mit DJs, die besser sind als in Paris. Lärmbeschwerden und eine offizielle Sperrstunde gibt es nicht: Feste feiern ist ein wichtiger Teil der türkischen Kultur. Anreiz genug für die ersten deutschen Überläufer in die Istanbuler Nachtclubszene. Die Münchner Clubbetreiber Marc Deininger und Tobias Linz, denen beispielsweise die "Erste Liga" in München gehört, werden 2008 in Beyoglu einen Club eröffnen. Mit Dachterrasse und Ausblick - bis hinüber nach Asien.

Club29, Adnan Saygun Caddesi Ulus Park Ici

© SZ vom 24.11.2007/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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