Neuer Airport Istanbul:Tempel des Transports

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Ein religiöses Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert ist das architektonische Vorbild für den neuen Flughafen Istanbuls. Er könnte bald zum größten der Welt werden. Aber steht er auch für Weltoffenheit?

Von Christiane Schlötzer

Sultan Süleyman, genannt der Prächtige, gab den Auftrag, eine Moschee auf dem dritten Hügel Istanbuls zu bauen. Er beauftragte Sinan, seinen besten Baumeister. Das Gelände war schwierig, aber Sinan schuf ein Meisterwerk, eines der Wahrzeichen Istanbuls.

Gut 450 Jahre später ließ sich der Architekt Nicholas Grimshaw von der Süleymaniye inspirieren, als er den neuen Flughafen der Bosporusmetropole entwarf: Der Lichteinfall von oben, der den ganzen Raum füllt, die Farben und Formen begeisterten den Briten und seine norwegischen Partner vom Nordic Office of Architecture. Ein religiöses Bauwerk aus dem 16. Jahrhundert als Vorlage für einen modernen Tempel des Transports?

In der geräumigen Flughafenhalle strebt der Blick in die Höhe, viel Licht sorgt für einen freundlichen Empfang. Kuppeldächer und Säulen nehmen osmanische Vorbilder auf und interpretieren sie neu, wobei jeder Anflug von Orientkitsch vermieden wurde. Ganz anders als bei einigen neueren Bauwerken im Zentrum Istanbuls, wo der Versuch, sich an historische Vorbilder anzulehnen, gründlich misslang.

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Dominierend im neuen Flughafen, der nur den Namen "Istanbul" trägt, sind Weiß und Grautöne. Das beruhigt. Nervös wird allerdings, wer hier nicht genug Zeit für die langen Wege mitbringt. Vom Check-in bis zu dem am weitesten entfernten Gate sind es zwei Kilometer, wobei Rollbänder helfen. Was man an Zeit durch Lauferei verliert, soll bei den Pass- und Gepäckkontrollen eingespart werden, verspricht der Chef der Flughafengesellschaft IGA, Kadri Samsunlu.

Es gibt sieben Eingangstore, 500 Check-in-Stationen, über 200 Passkontrollschalter. Lange Warteschlangen, wie sie Reisende vom zuletzt stets überfüllten Atatürk-Airport gewohnt waren, soll es nicht mehr geben. Seine Zeit kann man dann in den ausgedehnten Duty Free Shops wieder vertrödeln, für die 55 000 Quadratmeter reserviert sind. Flughäfen sind auch Kathedralen des Kommerzes.

Sinan, der osmanische Ausnahme-Architekt, verstärkte wegen des Riesengewichts das Fundament der Süleymaniye mit Pfählen, und er ließ den Zement ganz langsam trocknen. Erst nachdem sich das Fundament gesetzt hatte und er es für erdbebensicher hielt, ließ er in die Höhe bauen. Der Bau des Großflughafens im Norden von Istanbul war ebenfalls eine ingenieurtechnische Herausforderung.

Sultan Süleyman, genannt der Prächtige, beauftragte Sinan, seinen besten Baumeister, mit dem Bau der Moschee. Sie ist heute ein Wahrzeichen Istanbuls. (Foto: AP)

Das Gelände war voller Wasserlöcher, da hier einst Kohle im Tagebau gefördert wurde. Der Untergrund musste mit 750 Millionen Kubikmetern Erde aufgefüllt werden. Skeptiker äußerten bis zuletzt Zweifel an der Stabilität der Fundamente.

Der Atatürk-Flughafen lag am Marmarameer im Süden der 15-Millionen-Metropole, der neue Airport wurde ans entgegengesetzte Ende der Stadt gebaut, nah ans Schwarze Meer. Gegen diesen Standort in der Nähe von Istanbuls Wasserspeichern hatten Naturschützer Einwände. Kritisiert wurde das Abholzen von 657 000 Bäumen. Die Zahl stammt aus einem Gutachten des türkischen Umweltministeriums.

Auch Luftfahrtexperten äußerten Bedenken, weil es am Schwarzen Meer oft windiger ist als im Süden und weil Zugvogelschwärme hier durchziehen. Es gab mehrere Klagen vor Gericht, am Ende siegte die Regierung. Fünf Baufirmen bekamen den Zuschlag, sie gelten als regierungsnah, sie bilden auch die Betreibergesellschaft IGA.

Der neue Flughafen heißt einfach nur Istanbul - wenn es dabei bleibt. (Foto: AFP)

Der neue Flughafen ist achtmal so groß wie der alte, er soll anderen Luftfahrtdrehkreuzen Konkurrenz machen, Dubai zum Beispiel oder Frankfurt. "Wir haben einen geografischen Vorteil", sagte IGA-Chef Samsunlu vor der Eröffnung des Gebäudes der Süddeutschen Zeitung. Die Strecke von London über Istanbul nach Mumbai sei einfach kürzer als die von London über Dubai nach Indien. Bis 2023, wenn die Türkische Republik 100 Jahre alt wird, soll es, sagt Samsunlu, "mindestens 100 Millionen Passagiere geben". Das ist das hochgesteckte Ziel.

Vor Kurzem, vor der aktuellen türkischen Wirtschaftskrise, wurden noch bis zu 140 Millionen Passagiere genannt oder gar 200 Millionen bis 2030. Damit hätte Istanbul wirklich den größten Flughafen der Welt. Heute steht Atlanta in den USA mit gut 100 Millionen Reisenden an der Spitze. Der Platz für Erweiterungen in Istanbul wäre da, aber im Moment sieht es eher so aus, als sei man schon froh, dass der Flughafen überhaupt fertig ist.

Der Flughafen, ein "Monument des Sieges" für Erdoğan

Der Zeitplan war wohl zu eng getaktet, selbst für türkische Verhältnisse. Die Grundsteinlegung fand im Juni 2014 statt. Damals waren die Gezi-Proteste noch nicht lange vorbei. Tausende Istanbuler hatten im Sommer 2013 versucht, im Zentrum Istanbuls einen kleinen Park vor der Bebauung zu retten. Hier scheiterte Recep Tayyip Erdoğan, damals Premier und heute Präsident, mit seinem Bauprojekt.

Aber die Gezi-Bewegung war nach harten Polizeieinsätzen in alle Winde zerstreut, und Erdoğan kostete seinen Triumph aus. Er nannte das Flughafenprojekt "ein Monument des Sieges".

Offiziell eröffnet wurde der Airport in einer feierlichen Zeremonie durch Erdoğan dann nach nur gut vier Jahren Bauzeit am 29. Oktober 2018, dem Republikfeiertag. Doch der zum selben Datum geplante Umzug vom alten auf den neuen Flughafen musste verschoben werden, erst aufs Jahresende, dann auf März und schließlich auf das erste Aprilwochenende. Als Erklärung wurde lediglich genannt, Turkish Airlines brauche noch etwas mehr Zeit.

Von Ende Oktober bis Anfang April gab es dann jeden Tag bereits eine begrenzte Zahl von Inlands- und einigen Auslandsflügen, eine Art Probelauf also. So konnte es passieren, dass man vom alten Atatürk-Airport startete und auf dem Rückweg aus München oder Ankara auf dem neuen, noch geisterhaft leeren Flughafen landete.

Wer nicht aufpasste, saß im falschen Flughafenbus, wie jener Reisende im Businessanzug, der erst auf der Autobahn nach Norden merkte, dass die Himmelsrichtung nicht stimmte. Der Busfahrer erwies sich als Meister der Improvisation. Er stoppte verbotenerweise auf dem Randstreifen, hupte, bis ein Taxifahrer auf der Gegenfahrbahn ebenfalls anhielt, und der Passagier nach dem Überklettern der Autobahnleitplanken samt Gepäck umsteigen konnte.

Eine U-Bahn zum neuen Flughafen soll es erst 2020 geben. Die Busse aus dem Zentrum brauchen offiziell 100 Minuten für die Strecke, sie starten nach wie vor nah am Taksim-Platz.

Aber Verwechslungen sind nun ausgeschlossen, denn "Atatürk" ist für Linienflüge seit dem 6. April geschlossen. Drei Flughäfen wollte sich auch Istanbul nicht leisten. Auf der asiatischen Seite des Bosporus gibt es noch den Airport Sabiha Gökçen, benannt nach der ersten türkischen Kampfpilotin und Adoptivtochter Atatürks. Dessen Namen trägt nun kein Istanbuler Flughafen mehr, was vor allem von Anhängern der säkularen Opposition bedauert wird. Auch an den türkischen Architekten Hayati Tabanlıoğlu, der das Internationale Terminal des Atatürk-Flughafens entwarf, wurde auf Twitter jetzt noch einmal erinnert.

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Der 1927 geborene Tabanlıoğlu hat bis heute viele Bewunderer, er gehörte zu den prägendsten Vertretern der modernen türkischen Architektur. Sie setzte wie ihre damaligen europäischen Vorbilder auf Beton, Glas und Stahl und war fern jeder osmanischen Reminiszenz.

Eine Weile wird "Atatürk" noch für Frachtflüge dienen, und auch ein paar VIP-Maschinen dürfen dort weiterhin starten. Aber bald soll auch damit Schluss sein, dann soll das Flugfeld zu einem Park werden.

Doch ein "richtiger" Name für den Airport?

Vor allem das sprunghafte Wachstum der halbstaatlichen Turkish Airlines (THY) sorgte dafür, dass der alte Flughafen an seine Grenzen stieß. Dort stiegen die Passagierzahlen seit 2003 um zehn bis 20 Prozent pro Jahr. THY wuchs parallel zum wirtschaftlichen Aufstieg der Türkei, die Fluglinie eröffnete immer neue Strecken, nach Asien, Afrika und Amerika. Damit wurde Istanbul zum Drehkreuz. Heute fliegt THY mehr als 250 internationale Destinationen an.

Türkische Reisende schätzen Last-Minute-Entscheidungen, buchen gern One Way, THY hat sich mit einem flexiblen Buchungssystem darauf eingestellt. Dass die Fluggesellschaft unter Regierungseinfluss steht, merkt man heute mehr als noch vor einiger Zeit: So verschwanden türkische Oppositionszeitungen aus dem Bordangebot. Auf Inlandsflügen wird kein Alkohol mehr angeboten, außer bisweilen in der Businessclass. Steigen die Spannungen im türkisch-deutschen Verhältnis oder zwischen den USA und der Türkei, gehen die Passagierzahlen zurück.

Für dieses Jahr sind die Touristiker wieder optimistisch. Das deutsche Reiseunternehmen Tui sieht die Türkei schon auf dem Weg zurück "zu alten Rekorden". Die Buchungen lägen für den Sommer 2019 "bereits 58 Prozent über dem Vorjahr", meldet der Spitzenverband der Deutschen Reisewirtschaft DRV. 2016 und 2017 hatten viele Deutsche die Türkei gemieden - nach einem Putschversuch, Anschlägen und der Verhaftung deutscher Staatsbürger, unter denen der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel der prominenteste war.

Das Auswärtige Amt aber warnt in seinen Reisehinweisen vor allem Bürger mit deutscher und türkischer Staatsbürgerschaft, die sich in sozialen Medien regierungskritisch äußern, weiterhin vor möglichen Festnahmen: "Ausreichend ist im Einzelfall das Teilen oder Liken eines fremden Beitrags." Im Fall einer Verurteilung wegen "Präsidentenbeleidigung" oder "Propaganda für eine terroristische Organisation" drohten auch längere Haftstrafen.

Bei der türkischen Kommunalwahl am 31. März setzten die Touristenzentren an der Mittelmeerküste ein klares Signal, sie zeigten, was sie sich von Erdoğan wünschen: ein Ende der Spannungen. Sie wählten mehrheitlich die Opposition.

Der gigantische Umzug des Flughafens lief weitgehend reibungslos. Auf Twitter, dem türkischen Lieblingsmedium, gibt es nun Vorschläge, dem Airport (IATA-Code IST) doch noch einen richtigen Namen zu geben: Atatürk oder Erdoğan? Entschieden ist nichts.

© SZ vom 11.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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