Island und seine Vulkane:"Grímsvötn und Eyjafjallajökull sind doch Pipifax!"

Während der Rest Europas die Aschewolken fürchtet, gehen Menschen auf Island sehr gelassen mit den Naturgewalten um: Sie schätzen ihre Vulkane als Touristenattraktion und riskieren gerne den Blick in den Krater.

Titus Arnu

Das Seil gibt ein leises Summen von sich, wenn es über die harschige Oberfläche des Gletschers schleift. Die Steigeisen knirschen und quietschen im hartgefrorenen Schnee. Ansonsten ist es absolut still hier oben. Kein Vogel zwitschert, kein Wasser plätschert. Unsere Achter-Seilschaft durchquert eine Wüste aus Eis und Schnee.

Die Zwölf-Stunden-Tour führt über den Öræfajökull, einen Teil des riesigen Gletschers Vatnajökull, auf den Hvannadalshnúkur, mit 2110 Metern der höchste Berg Islands. Den relativ öden Abschnitt, der drei Stunden lang über Eishänge, Gletscherspalten und Schneehügel führt, nennen die Einheimischen scherzhaft "Autobahn des Todes". Ist das nicht ein bisschen reißerisch?

"Ihr werdet es nicht glauben, aber wir laufen gerade direkt über den Rand eines Vulkans!", ruft Jón Yngvi Gylfason, unser Bergführer, von der Spitze der Seilschaft nach hinten. Was aus der Froschperspektive aussieht wie eine weiße Ebene mit fünf Kilometern Durchmesser, sei ein 550 Meter tiefer Krater, der komplett mit Gletschereis gefüllt ist, erklärt Gylfason. Die gewaltige Caldera gehört zum Vulkanmassiv Öræfi, einem der größten Islands.

Einige Teilnehmer der Tour schauen nun doch etwas verunsichert. Es ist ein seltsames Gefühl, auf dem gefrorenen Deckel eines gigantischen Lava-Kochtopfes spazieren zu gehen. "Keine Sorge, zuletzt ist der Vulkan im Jahr 1727 ausgebrochen", sagt Gylfason, "und jetzt schaut mal nach links, dieser sanfte weiße Bergrücken da drüben, das ist der Eyjafjallajökull. Sieht friedlich aus, oder?"

Keine 50 Kilometer vom Öræfajökull entfernt schlummerte der Grímsvötn bis vor wenigen Tagen ähnlich friedlich unterm Eis. Nun ist er ausgebrochen und pustet eine 20 Kilometer hohe, blumenkohlförmige Wolke in den Himmel. Ganz Europa fürchtet sich wieder vor der Asche aus dem Nordatlantik. Die Isländer bleiben bei solchen spektakulären Ereignissen dagegen relativ cool.

Auf der Insel herrscht angesichts der Kräfte, die unter Felsen und Gletschern verborgen sind, eine seltsam heitere, pragmatische Stimmung. Gegen Erdbeben und Vulkanausbrüche ist man sowieso machtlos. "Vulkane gehören eben zum Leben hier", sagt die Bäuerin Ragna Adalbjörnsdottir, "warum sollen wir den Eyjafjallajökull verteufeln? Er ist doch vergleichsweise harmlos."

Aufgeregte Reporter, amüsierte Isländer

Ragna Adalbjörnsdottir lebt mit ihrer Familie, einem dicken alten Schäferhund, 200 Schafen und 50 Kühen in Stóra-Mörk, einem Bauernhof am Fuße des Eyjafjallajökull. Der Krater des Vulkans mit dem schwer auszusprechenden Namen ist zwölf Kilometer Luftlinie vom Hof entfernt.

Als der Vulkan im Frühjahr 2010 ausbrach, kamen Berichterstatter aus aller Welt und mieteten sich auf Stóra-Mörk ein. Kriegserprobte Reporter, die sonst aus Afghanistan und Irak berichten, standen plötzlich auf dem Bauernhof von Ragna Adalbjörnsdottir und berichteten im dramatischen Tonfall vom Unheil, das sich im Bildhintergrund abspielte.

Was im Fernsehen nicht zu sehen war: "Wir Isländer standen nebendran und knipsten die Reporter mit unseren Handy-Kameras, anschließend machten wir mit unseren Kindern einen Ausflug hoch zum Krater. Für uns war das wie ein Festival", erzählt Einar Karlsson vom Tourismusbüro "Visit Reykjavik".

Wie dramatisch war es wirklich? Ragna Adalbjörnsdottir wiegt den Kopf hin und her. "Na ja, ein paar Schafe und Kühe waren vielleicht in Gefahr", erzählt sie. "Das Gras war voller Asche. Wir haben den Tieren dann anderes Futter gegeben. Alle haben überlebt." Sie hat eine Art Info-Mappe über den Ausbruch gebastelt. Besucher können spektakuläre Fotos anschauen, die Adalbjörnsdottir ordentlich in Klarsichthüllen gesteckt hat.

Darin ist zu sehen, wie die Eruption erst den Himmel schwarz färbte, dann die Berge, dann die Wiesen, dann die Häuser. Als der Vulkan wieder Ruhe gab, mussten sie in Stóra-Mörk die Wände der Gebäude abwaschen. Nun erhoffen sich die Bewohner des Weilers einen Tourismus-Boom. Die Weltöffentlichkeit schaute schließlich ein paar Wochen lang auf den abgelegenen Hof, eine bessere Gratis-Werbung kann sich Ragna Adalbjörnsdottir kaum vorstellen. Gerade sind zwei neue Sommerhäuser fertig geworden, die sie an Feriengäste vermieten will.

Der Ausbruch des Eyjafjallajökull begann eigentlich als touristenfreundliches Ereignis. Die Isländer fuhren mit Schneemobilen und Jeeps auf den 1500 Meter hohen Gletscherberg, um die Aschewolke aus nächster Nähe zu bewundern.

Ein findiger Veranstalter bot in den ersten Tagen der Eruption, Ende März, Exkursionen mit "Vulkan-Dinner" an. Die Gäste wurden mit Geländewagen an den Rand des Vulkans gekarrt, mit Blick auf den Krater, das Essen wurde über heißem Dampf gekocht, der aus Erdspalten strömte. In Europa war die Stimmung zu dieser Zeit bereits etwas mieser.

Hass auf den Vulkan

Weil der Eyjafjallajökull nach und nach den gesamten europäischen Flugverkehr lahmlegte, schlug die Faszination irgendwann in Hass auf den Vulkan um. Wirtschaftsexperten rechneten den riesigen volkswirtschaftlichen Schaden aus, Intellektuelle debattierten über die metaphysische Bedeutung der aschebedingten Reiseunterbrechungen.

Island, Karte, Vulkane

Insel der Vulkane: Island.

Klicken Sie auf die Grafik, um die Lage der größten und bedeutendsten Vulkane des Inselstaates im Nordatlantik zu sehen.

(Foto: SZ-/sde-Karte)

Auf Facebook gründeten Anti-Vulkanisten Gruppen wie "Ich scheiße auf den Eyjafjallajökull". Fest steht: Neben Björk ist der Eyjafjallajökull seitdem der bekannteste Isländer. Der Berg hat allerdings weniger Fans als die Sängerin.

Der Bauer Olafur Eggertson ist ein Fan, obwohl er einer der Hauptleidtragenden der Aschewolke war. Auf seinem Thorvaldseyri-Hof im Süden Islands hat Eggertson gerade ein kleines Eyjafjallajökull-Museum eröffnet. Vor einem Jahr war er kurz davor, den Hof aufzugeben - und dennoch sagt er mittlerweile nur Gutes über den Eyjafjallajökull: "Das ist der beste Vulkan der Welt. Die Asche macht meine Felder fruchtbarer, außerdem kommen jetzt mehr Touristen."

Die Besucher können in einem umgebauten Schuppen Fotos und Filme vom Ausbruch anschauen. Die Familie Eggertson rechnet mit ganzen Busladungen voller Vulkan-Touristen.

Auch in den Souvenirläden von Reykjavik will man Geld mit den Vulkanen machen. Die Händler bieten Original-Vulkangestein an, Postkarten mit Asche-Kapseln, Kerzenhalter aus Lava und witzig gemeinte T-Shirts mit dem Aufdruck: "Wir haben in Island zwar keine Kohle, aber dafür sehr viel Asche." Einar Karlsson macht sich angesichts der Grímsvötn-Wolke nun zwar Sorgen, ob dieser Sommer tatsächlich den erhofften Touristenboom bringt, und er gibt zu: "Das mit den Flugausfällen tut uns natürlich sehr leid."

Er kommt aber trotzdem nicht umhin, von einem gewissen fruchtbaren Effekt zu berichten, den der Ausbruch des Eyjafjallajökull für den Tourismus auf seiner Insel habe. Nach der Katastrophe verzeichneten Reiseveranstalter und Hotels auf Island 20 Prozent mehr Buchungen als im Vorjahr. Manch ein Gistiheimili (so lautet das lustige isländische Wort für Gästehaus) profitierte von dem Aschemonster.

"Geh doch zur Hekla!"

Eine Besteigung des Eyjafjallajökull sei unter fachkundiger Anleitung ohne weiteres möglich, sagt Bergführer Gylfason. Er selbst war noch vor drei Wochen mit Tourenski oben am Kraterrand. Auch auf dem Öræfajökull bleibt es während unserer Tour ruhig, und selbst das Wetter ist für isländische Verhältnisse extrem schön. Die Sonne scheint, es regnet oder schneit nicht, und der eiskalte Wind lässt sich mit der Hilfe von drei Jacken, zwei Paar Handschuhen und einer Wollmütze bestens aushalten.

Der Monstervulkan tief unter dem Eis verhält sich friedlich, so wie die letzten 300 Jahre. Und selbst wenn der Grímsvötn nun wieder Asche verbreitet - die Isländer bleiben entspannt. Berge wie der Eyjafjallajökull und der Grímsvötn seien ein Pipifax im Vergleich zu den anderen Vulkanen auf der Insel, sagt Gylfason. "Wenn erst Katla und Hekla ausbrechen, dann musst du dich anschnallen! Das sind Vulkane!"

Wenn man auf Isländisch sagt, "Geh doch zur Hekla!", ist das kein Reisetipp, sondern eine Verwünschung, gleichbedeutend mit der Redewendung "Fahr doch zur Hölle!"

Informationen

Anreise: Icelandair bietet ganzjährig Linienflüge von Frankfurt nach Reykjavik an, im Sommer gibt es auch Direktflüge von Berlin, München und Hamburg ab 340 Euro, www.icelandair.com Unterkunft: Fosshotel Skaftafell direkt am Nationalpark Skaftafell gelegen, DZ ab 100 Euro. Fosshótel, Freysnesi, 785 Öræfi, Tel.: 00354/4781945, www.fosshotel.is Weitere Auskünfte: Isländisches Fremdenverkehrsamt Visit Iceland, Rauchstraße 1, 10787 Berlin, Tel.: 030/50 50 42 00, www.visiticeland.com

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