Süddeutsche Zeitung

Island:Steine, Wale, Penisse

Es gibt kaum eine Ortschaft auf der Insel, die nicht mindestens ein Museum beherbergt. Die Amerikanerin A. Kendra Greene hat die skurrilsten besucht.

Rezension von Nicolas Freund

Es ist natürlich ein Klischee, den Isländern einen ungewöhnlichen Drang zum Sammeln und Ausstellen zuzuschreiben. Aber auffällig ist es doch, dass es in Island selbst in dem kleinsten Örtchen oft mehrere Museen gibt. Zum Beispiel in Stykkishólmur, 1200 Einwohner, ein Supermarkt. Der Ort ist vor allem bekannt, weil es hier eine Kirche gibt, die aussieht wie ein gelandetes Ufo, und weil von hier die Fähre in die abgelegenen Westfjorde fährt. Es gibt aber auch drei Museen allein im Zentrum, die man zu Fuß innerhalb von fünf Minuten besuchen könnte: das Eider-Museum, in dem es um die Zucht der Eider-Ente geht, das Norwegische Haus, das zugleich älteste Gebäude des Ortes, in dem eine Art Heimatmuseum untergebracht ist und ein wenig den Hügel hinauf die sogenannte Bibliothek des Wassers, ein modernes Gebäude im Bauhaus-Stil, das eigentlich nur aus einer Kunst-Installation besteht: 24 durchsichtige Glasröhren mit Wasser aus verschiedenen Gletschern Islands.

Die Amerikanerin A. Kendra Greene ist da also etwas auf der Spur, wenn sie für ihr Buch "Das Walmuseum, das Sie nie besuchen werden" diesem Drang der Isländer zum Betreiben von Museen nachgeht. Es gibt 265 davon im Land, das heißt, eines für je 1100 Isländer. Greene war leider nicht in Stykkishólmur, man hätte gerne gewusst, was sie zu der Bibliothek des Wassers geschrieben hätte, aber sie hat eine Reihe anderer skurriler Orte besucht, die ihr wohl berichtenswert erschienen, angefangen beim Penis-Museum, in dem es tatsächlich die eingelegten, männlichen Fortpflanzungsorgane fast aller auf Island vorkommenden Säugetiere zu bestaunen gibt.

Im Museum für Zauberei und Hexerei wird unter anderem ein unsichtbarer Junge gezeigt

Greene begnügt sich aber nicht mit der Beschreibung. Ihre Kapitel über die einzelnen Museen sind Ausstellungskritik, Reportage, Geschichtsschreibung und Landeskunde in einem. Man erfährt, warum Petra aus den Ostfjorden irgendwann angefangen hat, Steine zu sammeln, und warum, obwohl sie längst gestorben ist, ihre Sammlung von der Familie noch immer gepflegt wird. Und im Sommer inzwischen Busladungen von Touristen kommen, um sie zu sehen. Oder was eigentlich den kleinen Hering so besonders macht, dass er der König der Fische genannt wird, und warum ihm mit dem halbvergessenen Fischerort Siglufjörður, der einst ein Industriezentrum war, eigentlich eine Art großes Freilichtmuseum gewidmet ist. Oder wie es kam, dass das Museum für Zauberei und Hexerei, wo unter anderem ein unsichtbarer Junge gezeigt wird, gleichzeitig das Fremdenverkehrsbüro ist.

Greene schafft es, all diese Informationen mit einer ähnlichen Sammelwut wie die Isländer in einem enzyklopädischen, manchmal ausschweifenden Stil zusammenzuhalten, der oft an die Grenzen des Realismus geht, wenn sie zum Beispiel beschreibt, wie Petras Steinsammlung ihren Weg aus dem Haus fand: "eine umgekehrte Lawine, die sich in Zeitlupe Stein um Stein hinaufrollte, als würde die Schwerkraft diese Steine wie eine Flut zu den Gipfeln zurückrufen". Man erfährt viel über Island, neben dem nötigsten aber nur möglichst abseitiges über entlegene Orte, längst vergangene Zeiten und Seeungeheuer. Das ist kein Reiseführer und kein Reisebericht, aber lesenswert, für alle, die wissen wollen, wie es eigentlich passieren konnte, dass am Mückensee eines Tages ein Mann namens Sigurgeir beschlossen hat, ein Vogelmuseum zu eröffnen.

A. Kendra Greene: Das Walmuseum, das Sie nie besuchen werden. Eine Reise nach Island. Aus dem Englischen von Stefanie Schäfer. Liebeskind, München 2022. 304 Seiten, 24 Euro.

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