Irritierte Touristen:Wenn Fotografen zum Motiv werden

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Tourist oder Einheimischer, der den Spieß umgedreht hat? Wer fotografiert, muss damit rechnen, selbst in den Fokus genommen zu werden. (Foto: Getty Images)

Früher war die Sache klar: Urlauber machten Bilder von den Einheimischen, gerne auch ungefragt. Doch nun fotografieren diese zurück. Ein Rollentausch, der Verwirrung stiftet.

Von Nadia Pantel

Noch ein kleiner Schritt nach links, leicht in die Hocke, das Teleobjektiv auf einem Mauervorsprung abstützen und ... perfekt! Pyramiden im Bildhintergrund, mittig ein paar Minarette und vorne links spielt ein kleiner Junge im Staub. Für dieses Foto hat sich der Aufstieg zur Zitadelle von Kairo gelohnt. Triumph. Klick, klick, klick. Mitten in diese ästhetische Meditation hinein fragt jemand: "Hello? Photo? Yes?"

Eine junge Ägypterin mit breitem Lächeln, aber forderndem Blick. Will die etwa auch aufs Bild? Na gut, warum nicht.

Aber da winkt sie zwei plötzlich Mädchen heran, die sich neben dem Fotografen aufstellen. Es macht "Schmatz" (Handykamera) statt Klick und der fotografierende Tourist ist selbst zum Motiv geworden. Die Mädchen sagen "Thank You", kichern und gehen schnell weiter. Der Tourist bleibt perplex zurück.

Ob in der Altstadt von Kairo, am Taj Mahal in Indien oder auf der Rundreise durch China: Touristen unternehmen Fernreisen, um möglichst viel Exotisches zu sehen. Aber wenn sie dabei selbst als Exot in den Fokus geraten, beginnt die Verunsicherung.

Der britische Soziologe John Urry wurde in den neunziger Jahren mit seiner Analyse der touristischen Weltsicht berühmt. In "The Tourist Gaze" beschreibt Urry, wie Urlauber ihre Umgebung auf klassische "Erholungsbilder" scannen. Der Tourist wisse schon vorher ziemlich genau, wie sein Urlaubsland auszusehen habe: vor allem anders als seine Heimat. Kaum ist die Alltagskleidung gegen kurze Hosen und Sandalen eingetauscht, wechselt auch der Blick. Wahrgenommen wird, was man zu Hause als fremd und besonders beschreiben - und am Besten auch vorzeigen - kann. Und die Kamera ist nach dieser Maßgabe immer im Anschlag.

"The tourist gaze is directed to features of landscape and townscape which seperate them off from everyday experience. (...) The viewing of such touristic sights often involves different forms of social pattering, with a much greater sensitivity to visual elements of landscape or townscape than normally found in everyday life. People linger over such a gaze which is then normally visually objectified or captured through photographs (...) and so on", schreibt Urry.

Der Urlauber sieht sich gern als Entdecker. Am liebsten ist er dort unterwegs, wo vor ihm noch kein Tourist war und die "Eingeborenen" sich möglichst unverstellt und authentisch verhalten.

Dabei schwingt sich der Urlauber zum überlegenen Beobachter auf, wie die Tourismusforscherin Rosaly Magg sehr treffend beschreibt: " Der romantisierte Blick auf das Andere schafft ein Machtgefälle zwischen dem fotografierenden Subjekt und dem fotografierten 'Objekt'." Sie nennt das Ganze sogar eine "Völkerschau"-Mentalität. Der Tourist verhalte sich somit wie die Entdecker der Kolonialzeit.

Reist also zum Beispiel ein Deutscher nach Vietnam, hat nicht er das Gefühl, dort fremd zu sein: Die Fremden, die Exotischen, das sind die Vietnamesen. Und der Tourist ist der Zuschauer, der das Fremde analysiert und beobachtet.

Natürlich ist es nicht neu, dass auch auf Urlauber mit Fingern gezeigt wird, dass sie angebettelt oder angestarrt werden. Aber fotografiert zu werden, das ist eine grundlegend neue Erfahrung für sie.

Das lässt sich an den aufgeregten Debatten ablesen, die seit einiger Zeit in Online-Reiseforen geführt werden. Der immergleiche Grundton: Wir sind doch total normal. Warum machen die "Einheimischen" dann Fotos von uns?

"We keep having our photographs taken by eager groups of young Indians. (...) We certainly don't want to offend anyone at all, but we are dumbfounded by this and really aren't sure how to react. I mean we're just a couple of straightforward, easy going and unassuming Westerners!"

"Wir sind fremd für die Leute in Delhi, da ist es nur fair, wenn sie uns auch fotografieren", schreibt Blogger Dave Prager auf ourdelhistruggle.com. (Foto: privat, Dave Prager)

Gerade vor "Foto-wütigen-Indern" warnen Reisenden einander häufig. Diese würden sich doch nur später im Freundeskreis damit brüsten wollen, dass sie Weiße kennengelernt hätten:

"I don't mean to generalise here but Indian men would love to show that picture to their buddies and brag on how they scored you and dicXed you. I know of a girl from South Africa who's pictures showed up all over the net in porn ads for some penis enlargement scam."

Und es sei eben ganz und gar nicht Dasselbe, ob man als Tourist die Bewohner des Gastlandes fotografiere, oder ob man als Tourist selbst aufgenommen werde. Denn der Reisende fotografiere nicht voyeuristisch, sondern interessiere sich für die "authentische" Kultur. So wie dieser Urlauber:

"I'm an enthusiastic photographer, heading for china for about four weeks. I'm looking for the simple life, villages, authentic costumes, farmer life,colorful authentic places, so I will be greatful for anyone who can recommend me places I will find attractive."

Die Denkrichtung in den Köpfen steht fest. Wenn ich als Tourist fotografiert werde, dann passiert das oft, weil ich weiß bin. Und dieses Weiß-Sein findet der fotografierende Inder, Araber oder Chinese erstrebenswert. Daher müsse man sich schon der globalen Gleichberechtigung zuliebe dagegen wehren, fotografiert zu werden, schreibt ein Reisender:

"How do we feel about being asked for a photo by locals or other Indian tourists? Now I refuse all the time and I'll say why. First it is only because I'm white and it doesn't do any more good for people to be proud of taking a photo with a white person. Also it feels degrading as they only see my skin. I just don't want to be a part of this white skin obsession."

Die Idee, dass die fotografierende Landesbevölkerung genauso wie der Tourist einfach nur fotografiert, was anders ist, kommt erstaunlich wenigen.

Doch hier hilft der technische Fortschritt der schleppenden Selbsterkenntnis auf die Sprünge. Fotografieren wird immer billiger und einfacher. Je mehr Leute über (Handy-)Kameras verfügen, umso mehr wird das gegenseitige Fotografieren zu einer Sache globaler Selbstverständlichkeit und ist nicht länger das Privileg des reichen Touristen.

Es braucht keine Erklärungen mehr, dass es respektlos und unhöflich ist, jemanden ungefragt zu fotografieren. Oder dass eine Bolivianerin, wenn sie sich morgens entscheidet, einen bunten Trachtenrock anzuziehen, nicht gleichzeitig ein Einwilligungserklärung unterzeichnet: Ja, zoom mein Gesicht heran, ohne auch nur meinen Namen zu kennen.

Nun erfahren Touristen am eigenen Leib, wie nervig es ist, ständig fotografiert zu werden. Dabei merken sie: Sie sind nicht Zuschauer im fremden Land, sondern Gäste.

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