Irland:In dieser Bar gibt es keinen Tropfen Alkohol

In der Bar "Virgin Mary" in Dublin wird kein Alkohol ausgeschenkt.

In einer der wenigen noch authentischen Straßen Dublins hat die Bar The Virgin Mary aufgemacht.

(Foto: VirginMaryBar)

In der Brauereistadt Dublin hat Irlands erste alkoholfreie Bar eröffnet - ein gewagtes Experiment.

Von Evelyn Pschak

Die Dubliner Capel Street nördlich des Flusses Liffey ist eine Straße mit vierstöckigen Ziegelhäusern, in deren Erdgeschossen sich Pubs und Werkzeugläden abwechseln, dazwischen findet man ein alteingesessenes Gitarrengeschäft, südostasiatische Restaurants, Tätowierer, eine hippe Kaffeerösterei und einen der letzten Pfandleiher der Stadt. Die Tageszeitung Irish Independent pries jüngst die Widerstandsfähigkeit der Capel Street gegen Kaufhausketten und Franchise-Unternehmen und umschrieb die schmale Straße als "dyed-in-the-wool Dublin", als waschecht also. Ausgerechnet hier hat Vaughan Yates im vergangenen Mai The Virgin Mary eröffnet: die allererste alkoholfreie Bar Irlands.

Im Design unterscheidet sich das kleine Lokal des 52-Jährigen allerdings in nichts von den übrigen Trendadressen der Stadt: Die Holztäfelung in dunklem Grün, mit Tweed bespannte Barhocker, die Sammlung eleganter Flaschen und Cocktailshaker in den Regalen über dem Marmortresen - all das entspricht durchaus den gestalterischen Gesetzmäßigkeiten einer Bar. Das Publikum ist jung und weiblich. Am Stehtisch im Fenster zur Straße lachen fünf Barbesucherinnen aus vollem Hals, auch die Zweiersitzbänke in cognacfarbenem Leder sind ausschließlich von Frauen in angeregtem Gespräch besetzt. "Hörst du das?", fragt Vaughan Yates vergnügt: "Das ist der Widerhall weiblicher Stimmen."

Irland: Vaughan Yates verkauft in der Bar nur alkoholfreie Cocktails.

Vaughan Yates verkauft in der Bar nur alkoholfreie Cocktails.

(Foto: VirginMaryBar)

Der gebürtige Engländer zählt die 30 Sitzplätze seines Ladens durch: "In der ganzen Bar gibt es nur drei Jungs", sinniert er. "Frauen sind progressiver im Erkennen neuer Wege, vielleicht, weil sie mehr mit sich im Reinen sind." Aber überhaupt gebe es heutzutage mehr Menschen, die bewusst wahrnehmen, was sie konsumieren, leitet der Barbesitzer zu einem seiner Gründe über, The Virgin Mary zu eröffnen: "Wir sind mehr auf Gesundheit und Wellness ausgerichtet, als wir es je waren. Ich nenne das gesunden Hedonismus."

Diese neue Lust am Gesunden lässt sich aber nicht nur an den hier angebotenen Cocktails mit Ingredienzen wie Granatapfelmelasse oder schwarzem Kardamom festmachen. Oder daran, dass Barmanagerin Anna Walsh für den Signature Drink Virgin Mary, den Klassiker aller nicht-alkoholischen Cocktails, der ohne den Wodka eines Bloody Mary auskommt, jeden Morgen frische Tomaten entsaftet.

Es gibt viele Faktoren, die auf eine ganze Bewegung hin zur neuen Partylaune ohne Alkohol deuten: Das alkoholfreie "Mindful Drinking Festival" zog 2018 in London 15 000 Besucher an. In der britschen Hauptstadt eröffnete zudem eine Gastrogruppe die dritte Niederlassung von Redemption, in deren Restaurants ausschließlich alkoholfreie, aber elaborierte Drinks zu den Gerichten angeboten werden. In Brooklyn, New York, lädt seit April die Getaway Bar zu alkoholfreien Getränken. Und auf der Website der nullprozentigen Listen Bar, die monatsweise in einer Bar in der Bleecker Street in Manhattan gastiert, läuft ein Crowdfunding, um Geld für eine eigene feste Adresse zusammenzukratzen. Mehr als 40 000 Dollar kamen bisher zusammen.

Nüchtern zu feiern, beziehungsweise die Feier der Nüchternheit - "sobriety" im Englischen - gerät zum neuen Statussymbol. Die Vielzahl an Facebook- und Instagramseiten wie "sober is sexy", "hip sobriety" oder "sober girl society" zeigen, dass The Virgin Mary zum Zeitgeist passt. Man erwartet das neue Bargebaren wohl dennoch nicht ausgerechnet in Dublin, das bei Touristen eher mit 17 Destillerien und Brauereien sowie 750 Pubs punktet.

Aus Kaffee wird alkoholfreies Guinness

Er habe den Plan für diese Bar auch für andere Städte durchgespielt, sagt Yates. Denn, so der Gastronom: "Menschen kommen nicht nach Dublin, um nicht zu trinken, sondern um zu trinken." Es gebe hier ein Alkoholproblem, erläutert er. Trotzdem sehe er einen Markt, sagt Yates und zitiert die staatliche Wohltätigkeitsorganisation Alcohol Action Ireland, laut der immerhin ein Viertel aller erwachsenen Iren überhaupt keinen Alkohol trinkt. Selbst die Weltgesundheitsorganisation attestierte den Iren Besserung und kalkulierte den Alkoholverbrauch pro Kopf auf 11,15 Liter 2017, während 2005 noch 14,2 Liter puren Alkohols konsumiert worden seien. Dublin sieht Yates als ideales Versuchslabor: "Wenn wir es hier zum Laufen bringen, dann wird es überall funktionieren."

Der Brite möchte auch nicht missionieren: "Mein Zielpublikum sind Leute, die keinen Alkohol trinken wollen. Sei es nun für eine Stunde oder für ein ganzes Leben." Damit unterscheidet sich seine Bar von den didaktisch auf Mäßigung ausgerichteten Angeboten in der Tradition der Temperenzler-Bars. Letztere wurden im 19. Jahrhundert als Maßnahme der Abstinenzbewegung gegründet und finanziell unterstützt von Institutionen, die sich dem Kampf gegen die Alkoholsucht verschrieben hatten. Nein, The Virgin Mary sei ausschließlich von ihm selbst finanziert, versichert Yates. Und während die Temperance Bars einst dafür sorgten, dass die Zecher am nächsten Morgen nicht volltrunken zur Arbeit erschienen, würden seine Gäste eher den morgendlichen Yoga-Kurs in aller Frische besuchen wollen.

Eine Frau, die sich ihm als den Anonymen Alkoholikern zugehörig zu erkennen gab, habe ihm erzählt, dass sie Bars seit Jahren meide. "Aber bei uns konnte sie mit ihrer Tochter wieder einen Abend in entspannter Atmosphäre verbringen", sagt Yates. "Wir sind hier keine Bar, in der man auf Tische springt. Und wir müssen die Musik höchstens mal etwas aufdrehen, weil die Leute sich hier so laut unterhalten", fasst er einen Abend im The Virgin Mary zusammen.

Irland: Nüchtern zu feiern, beziehungsweise die Feier der Nüchternheit – „sobriety“ im Englischen – gerät zum neuen Statussymbol.

Nüchtern zu feiern, beziehungsweise die Feier der Nüchternheit – „sobriety“ im Englischen – gerät zum neuen Statussymbol.

(Foto: VirginMaryBar)

Er habe die Bar aber auch eröffnet, um eigene Drinks auf ihre mögliche Kommerzialisierung zu testen: "Es gibt so viele schlechte Produkte, die zwar eine schöne Verpackung und ein tolles Konzept haben, bei denen man aber wirklich vermuten muss, dass sie keiner probiert hat, bevor sie die Fabrik verließen." Er schüttelt den Kopf: "Die spüle ich einfach den Abfluss runter, denn dahin gehören sie."

Vaughan Yates arbeitet schon lange in der Getränkeindustrie. Eigentlich gestaltet der Designer den Parcours von Besucherzentren großer Destillerien, etwa für die Gin-Brennerei von Bombay Sapphire in der englischen Grafschaft Hampshire. Bei seiner Arbeit sei ihm aufgefallen, wie viele große Getränkeunternehmen begannen, in die antialkoholische Nische zu investieren. Jetzt will er selbst Produkte entwickeln und im The Virgin Mary kredenzen. Das Team arbeitet dafür mit einem Labor in London zusammen. Zunächst soll ein "Love Tonic" entwickelt werden: "Wer dieses Liebeselixier trinkt, verliebt sich in sein Gegenüber", meint er zwinkernd.

Derzeit kann man zwar noch keinen Love Tonic, aber dafür einige andere Kreationen von Barfrau Anna Walsh testen. Sie sorgt dafür, dass die Cocktails im The Virgin Mary großteils vegan sind und ohne raffinierten Zucker auskommen. Am häufigsten serviert die 39-Jährige derzeit einen kalt gebrühten, mit Stickstoffgas aufgemischten Kaffee, der cremig und schäumend aus der Zapfanlage schießt und den sie mit dem alkoholfreien Stout einer Amsterdamer Brauerei kombiniert.

Bei diesem Guinness bleibt kein Rausch zurück, aber doch der weiße Oberlippenbart, den man vom Besuch konventioneller Pubs gut kennt. "So hat Anna Walsh, ein irisches Mädchen aus Cork, ein nicht-alkoholisches Guinness erfunden", sagt Vaughan Yates und sieht dabei ziemlich zufrieden aus. "Stell dir das mal vor."

The Virgin Mary Bar, 54 Capel St., North City, Dublin, D01 C9K2, Irland, www.thevirginmarybar.com; dienstags bis donnerstags 17 bis 23 Uhr, freitags und samstags 16 bis 23 Uhr, sonntags 14 bis 21 Uhr, montags geschlossen.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

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