Irland:Das merkwürdige Wunder von Dooagh

Auf Achill Island ist vor einem Jahr plötzlich ein neuer Strand aufgetaucht - angeblich. Einwohner erwarteten einen Ansturm von Touristen. Aber es kam anders.

Von Harald Hordych

Mitte April muss man in Dooagh auf Achill Island nicht mit strahlend blauem Himmel oder anderen meteorologischen Sensationen rechnen. An der wilden Küste der größten, Irland vorgelagerten Insel ist zu dieser Jahreszeit der Sommer noch sehr weit weg. Emmett Callaghan, der in einem Haus an der Bucht von Dooagh aufgewachsen ist, hatte so gesehen keine großen Erwartungen, als er im April 2017 nach dem Aufstehen durchs Fenster blinzelte. Aber was er sah, verschlug ihm den Atem.

Statt der steinigen Bucht, die er seit seiner Kindheit so gut kennt, breitete sich vor seinen Augen ein 300 Meter langer Sandstrand aus. Über Nacht waren sie gekommen, Tausende Tonnen von feinem, goldgelbem Sand. Der Strand, der im Mai 1984 nach wochenlangen, heftigen Frühjahrsstürmen verschwunden war, kehrte 33 Jahre später nach starken, kalten Winden aus dem Norden zurück. "Wir dachten: cool!", erzählt der 37-jährige Callaghan. "Und wir beteten, dass er nicht wieder verschwindet, sondern die nächsten 50 Jahre bleibt."

Es dauerte noch zehn Tage, bis der Strand die volle Größe angenommen hatte, die Callaghans Mutter aus ihrer Kindheit kannte: 300 Meter lang und bei Ebbe 300 Meter breit!

Das Strandwunder hat tatsächlich weltweite mediale Aufmerksamkeit erregt

Bald eineinhalb Jahre ist das nun her, und Emmett Callahan hat alles getan, was in seiner Macht stand, um die Kunde von der wundersamen Wiederkehr des Strandes in der Welt zu verbreiten. Wie es der Zufall so will: Callahan arbeitet für Achill Tourism, die örtliche Tourismusorganisation, und die hat viel zu tun, wenn sie den Strom des internationalen Tourismus auf diese Insel steuern will. Das Strandwunder hat tatsächlich weltweite mediale Aufmerksamkeit erregt. Bleibt die Frage, inwiefern so ein Wunder auch das reale Geschäft befeuert.

Achill Island ist nämlich eine von Wind und Regen blankgewaschene Insel mit riesigen Buckelbergen und unzähligen Schafen, die überall, am liebsten aber auf den kleinen schmalen Straßen von Achill herumspazieren. Achill ist eine Insel mit 2000 Individualisten, die Wind und Wetter trotzen. Für Individualisten wie Heinrich Böll, der hier seit 1954 bis kurz vor seinem Tod 1985 ein Häuschen besaß und sein irisches Tagebuch geschrieben hat.

Böll war fasziniert von dieser geschundenen Welt. Schafzucht und Fischerei waren über Jahrhunderte die wenigen verlässlichen Einnahmequellen der Menschen auf Achill Island. Irgendwann kam Tourismus als weitere Einnahmequelle dazu. Die größte Gruppe der ausländischen Touristen stellen die Deutschen, wegen Böll.

Die Ruinen des verlassenen Dorfes am Fuße des Hügels Slievemore künden von der Armut, die hier herrschte. Es sind Häuser, nicht größer als ein Wohnzimmer, in dem Familien mit zehn und mehr Kindern lebten. Im selben Raum waren Kuh und Ziege untergebracht. Über ihnen schliefen die Kinder auf Brettern, damit die Ausdünstungen der Tiere sie wärmten.

Eine große Werbetafel haben die Tourismusleute jetzt am Strand von Dooagh aufstellen lassen. Dort ist nachzulesen, dass Fernsehteams der BBC, CNN, NBC, France 3 und Al Jazeera zu diesem Strand gekommen sind. Außerdem steht dort, dass 1,14 Millionen Internet-Nutzer sich den Film angeschaut haben, den Callahan auf Facebook gestellt hat. Der Ruhm des wiedergekehrten Strandes wird beschworen. Dahinter steckt der Wunsch, den Hotelbesitzer, B&B-Betreiber und Pub-Wirte kurz nach der Wiederkehr geäußert haben, wie der Guardian schreibt: Sie alle hofften auf einen neuen Zustrom von Touristen.

Aber es gibt ein generelles Problem, das diese Insel hat

Doch dieser erste Sommer im Zeichen des wiedergeborenen Strandes hat am touristischen Verhalten nicht viel geändert. In den vergangenen Jahren hatten drei Hotels zugemacht. Nach der Wiederkehr machte keines wieder auf. Es stimmt schon, erzählt Mary Sweeney, die Betreiberin vom Atlantic Breeze, eines der wenigen Bed & Breakfasts in der Nähe des Strandes, dass Touristen, die sonst nie nach Dooagh gekommen sind, ihre Route geändert haben. "Wegen des Strandes bleibt keiner, aber jeder, der kommt, fragt danach!"

Immerhin, Johnny Catterkey, der Wirt von einem der wenigen Pubs im Ortszentrum, die das ganze Jahr über geöffnet haben, sagt, dass im vergangenen Jahr mehr Touristen da waren als davor, eindeutig. "Es hat Achill auf die Weltkarte gesetzt. Zum Beispiel in China!"

Aber es gibt ein generelles Problem, das diese Insel hat, eines, das für Menschen, die ein Problem mit Massentourismus haben, eher eine Auszeichnung ist: Sie ist wegen des kühlen Wetters nur sehr bedingt für das geeignet, was man lässigen Strandurlaub nennen könnte. Wer in diesem Jahr an die vor fünf Jahren von einem Sturm in weiten Teilen zerstörte Promenade von Dooagh fährt, der sieht manchmal Leute im Auto sitzen, die auf den schönen, wiedergekehrten menschenleeren Strand schauen, aber sie steigen nicht aus. Sie dösen oder schlafen.

Reiseinformationen

Anreise: Aer Lingus, www.aerlingus.com: München - Dublin: 12. bis 19. Sept. mit 1 Handgepäck 189,98 Euro, plus Koffer (bis 15 Kilogramm) 35 Euro pro Strecke. 25. Sept. bis 2. Okt. 116,98 Euro plus Koffer. Von Dublin mit Mietwagen, vier Std. nach Achill. Tipp: Nur Wagen mit Automatik wegen ungewohntem Linksfahren.

Unterkunft: Bervie Guest accommodation, Keel, Achill Island, Co Mayo, www.bervieachill.com, Übernachtung mit Frühstück Superior Room 75 Euro pro P. / Gastronomie: "The Annexe Inn", Keel East. Ebenso erlebenswert, mit Live-Musik: "Lynott's Pub", Cashel. Hier saß auch Böll an so manchem Abend.

Weitere Infos: www.ireland.com, www.achilltourism.com, www.wildatlanticway.com

Kein Wunder, denn selbst in der Hochsaison von Mitte Juli bis Mitte August steigt die Lufttemperatur selten über 20 Grad. Das Wasser bleibt 16 Grad kalt. Auf Schwimmer, die das nicht abschreckt, braucht man trotzdem nicht zu hoffen, solange hier ein Schild steht, welches das Baden wegen der gefährlichen Strömung verbietet. An den wunderschönen Achill-Stränden treibt sich Ende Mai nur ein einsamer Kajakvermieter herum, der sich zum Zeitvertreib das Gitarrespielen selbst beibringt. Seine Kundschaft? Hiker, Biker - und Leute, "die schätzen, dass es niemals zu heiß werden kann".

"Ein bisschen Strand war immer da, mal weniger, mal mehr"

Der knorrige Farmer, dessen Schafweideland direkt an den Strand angrenzt, kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, als man ihn auf das Wunder von Dooagh anspricht. Na ja, sagt er und lehnt auf irische Weise - herzlich lachend, aber unverrückbar wie ein Fels - ab, seinen Namen zu nennen. "Ein bisschen Strand war immer da, mal weniger, mal mehr. Allerdings nie so viel wie jetzt." Er kneift listig die Augen zusammen, bevor er seinen Schafen Kommandos zuruft, die keinerlei Wirkung erzielen.

Mit solchen Reaktionen muss man auch rechnen, wenn man das Haus besucht, in dem Böll viele Jahre gelebt hat. Ins Heinrich-Böll-Haus kommen Touristen nicht rein, weil es Stipendiaten der Heinrich Böll Association als Gästehaus vorbehalten ist. Ein großer, schlaksiger Mann mit silbergrauer Wuschelmähne und einem sehr spöttischen Lächeln sieht nach dem Rechten. John McHugh ist Bildhauer. Irgendwann fragt er, was den Reporter nach Achill geführt hat, wenn nicht Böll.

Hinweis

Die Recherchereise für diesen Beitrag wurde zum Teil unterstützt von Veranstaltern, Hotels, Fluglinien und/oder Tourismus-Agenturen.

"Was? Ihr seid auf diesen Reklame-Gag mit dem Strand hereingefallen! Die Touri-Leute sagen das, damit die Touristen kommen!" Für ihn war der Strand nie weg. Für viele andere schon, und es gibt auch Fotos, die eine karge Steinwüste dokumentieren. Doch, doch sagt der Wirt Johnny Catterkey: "Es ist nicht 100 Prozent wahr, aber nahe an der Wahrheit!"

Sei's drum. Der Strand ist jedenfalls da. Groß und leer. Genau wie ein anderer, der nur ein paar Monate später auch wieder auftauchte. Aber darauf werden sie in Dooagh nicht so gern angesprochen. Ein Wunder pro Jahr muss für Achill Island reichen.

Zur SZ-Startseite
Small island of Skellig Michael

SZ PlusSkellig Michael in Irland
:Nicht von dieser Welt

Auf einer winzigen Insel wurden die letzten zwei Minuten des jüngsten "Star-Wars"-Films gedreht. Das hat gereicht, um Skellig Michael berühmt zu machen - mit allen Nebeneffekten.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: