Interview:Sehnsucht nach dem Einfachen

Der Gastronom Roland Essl forscht in Archiven und bei alten Bäuerinnen nach ursprünglichen Kochrezepten.

Von Ingrid Brunner

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Was sind Klemmbratl und Wandermus? Roland Essl weiß es.

(Foto: Marco Riebler)

Roland Essls Weiserhof in Salzburg lief so gut, dass der Wirt vor lauter Stress Opfer seines Erfolgs zu werden drohte. Deshalb hat er sein Gasthaus an einen Pächter übergeben und erforscht nun die kulinarische Geschichte der Alpen. Von Bayern bis an die Adria, von der Schweiz bis nach Slowenien sucht er in Archiven und vor allem bei alten Bäuerinnen nach ursprünglichen Rezepten - nach dem "kulinarischen Fußabdruck jeder Region", wie er sagt.

SZ: Gibt es "die Alpenküche"?

Roland Essl: Nein, sondern je nach Region sehr unterschiedliche Küchen. In Kärnten und der Steiermark haben sie den slowenischen Einfluss, im Norden den bayerischen, im Nordosten den slawischen. In der Schweiz ist die Küche traditionell von der Milchwirtschaft und ihren Produkten dominiert. Mich interessiert aber auch, wie die Küche früher war.

Wie weit kann man da zurückgehen?

So an die 300 Jahre, dann wird es schwierig. Interessant ist aber auch, wie und was man zur Zeit der Römer oder Karls des Großen gegessen hat. Was wurde damals angebaut? Dazu ist wenig schriftlich überliefert. Spannend finde ich zum Beispiel, dass vor Einführung der Kartoffel die Esskastanie Grundnahrungsmittel war, überall dort, wo milde Temperaturen herrschten. Aus den Kastanien machte man Mehl, Brot, Nudeln, Suppe, sogar Süßspeisen. Pro Person brauchte es einen Baum, um über den Winter zu kommen, Fleisch war ja eine Rarität. Die Mahlzeiten waren einfach, aber sehr schmackhaft. Man hatte nur, was Boden und Wald hergaben. Für mich hat sich da ein Universum aufgetan. Besonders toll finde ich, dass es fast zu jedem Gericht eine Geschichte gibt.

Zum Beispiel?

Der Brechelbraten, ein Lammbraten: Den gab es nach dem Flachsbrechen, einer besonders schweren Arbeit, die schon vor Sonnenaufgang begann und erst spätabends endete. Oder das Klemmbratl, eine Tradition im Lungau: Nach dem Abdreschen haben die Frauen den Bauern mit ihren Dreschflegeln umringt und sozusagen eingeklemmt, bis er einen Schnaps spendierte. Die Männer nahmen symbolisch die Bäuerin in die Klemme, bis sie das Bratl herausrückte, dann wurde gefeiert. Es gab einerseits die Alltagsküche, dazu kam die Festtagsküche. Zum Auffahrtstag, Christi Himmelfahrt, gab es "A fliagats Fleisch", Geflügel. Und zu Lichtmess am 2. Februar, wenn Knechte oder Mägde traditionell die Stelle wechseln durften, gab ihnen die Bäuerin ein Wandermus mit, eine reichhaltige Speise mit Honig für unterwegs.

Was sind die Gemeinsamkeiten in der alpinen Küche?

Die Schmalzküche, die Milchprodukte und das Brot sind wichtig, auch wenn sich darin fast jedes Tal vom anderen unterscheidet.

Was haben Restaurantgäste von kulinarischer Archäologie?

In meinem Gasthaus habe ich alles selbst gekocht, bei mir gab es kein Fast Food oder Convenience Food. Die Gäste heutzutage wollen etwas Authentisches, aber warten wollen sie nicht. Das geht nur mit einfachen Rezepten. Sie glauben gar nicht, wie sehr sich die Leute sehnen nach diesen alten, einfachen Gerichten.

Wann werden Sie Ihre Forschungen abschließen?

Ungefähr 200 Jahre werde ich noch brauchen.

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