Interview mit einem Expeditionsleiter:Touristen in der Pol-Position

Arktis und Antarktis waren noch nie so gefährdet wie heute - und nie zuvor so gut besucht.

Interview von Tanja Rest

Arktis und Antarktis waren noch nie so gefährdet wie heute - und nie zuvor so gut besucht. Über diese Entwicklung sprach die SZ mit Werner Stambach, 51. Er hat fast 30 Jahre lang als Expeditionsleiter auf Kreuzfahrtschiffen gearbeitet und ist heute selbständiger Berater in Touristikfragen; sein Spezialgebiet sind die Polarregionen.

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(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Stambach, im Jahr 2005 haben 38000 Menschen Grönland besucht, 25000 waren in der Antarktis - wie erklären Sie sich diesen Andrang?

Stambach: Um es vorwegzuschicken: Er hat garantiert nichts mit dem Klimawandel zu tun. Grundsätzlich ist die Kreuzfahrt als Reiseform in den letzten zehn Jahren sehr viel populärer geworden. Und die Polarregionen lassen sich aufgrund der fehlenden Infrastruktur nun mal am einfachsten und komfortabelsten mit dem Schiff bereisen.

SZ: Eine extrem unwirtliche Gegend - ist es gerade das, was die Leute anzieht, das Außergewöhnliche?

Stambach: Absolut, der Trend geht insgesamt weg von der klassischen Pauschalreise. Viele Kunden, die schon mehr gereist sind und womöglich auch mehr Geld haben als andere, haben ein Interesse an maßgeschneiderten Urlaubslösungen. Und da passen die Polarregionen wunderbar, weil sie Menschen ansprechen, die ein Interesse haben an unverfälschter Natur und nach Reisezielen suchen, die ein bisschen abseits liegen. Darauf haben sich Spezialisten in der Reisebranche - gerade auch mit etwas kleineren Schiffen - in den letzten zehn Jahren sehr erfolgreich eingestellt.

SZ: Nun handelt es sich um eines der sensibelsten Ökosysteme der Erde. Wie verträgt sich das mit Tourismus?

Stambach: Das ist die entscheidende Frage, die natürlich nicht auf die Polarregionen beschränkt ist. Das verträgt sich nur dann, wenn Sie diesen Tourismus verantwortlich und nachhaltig durchführen und die Betreuung der Gäste in die Hände von Fachleuten geben, die diese Regionen gut kennen und die Gäste entsprechend vorbereiten. Aus meiner fast 30-jährigen Erfahrung kann ich sagen, dass die ganz große Mehrheit der Anbieter von Polar-Kreuzfahrten ihre Verantwortung sehr ernst nimmt. Wie in jeder Branche kann man das eine oder andere schwarze Schaf aber nie ausschließen.

SZ: Welche spezifischen Auflagen müssen Reiseveranstalter erfüllen?

Stambach: Da muss man differenzieren. In der Arktis haben Sie es mit vielen verschiedenen Ländern zu tun, deren Gesetzgebung sich stark unterscheidet. Die Antarktis dagegen ist internationales Territorium, es gilt das Umweltschutzprotokoll von 1991. Jeder, der dort touristische Aktivitäten durchführen will, muss eine so genannte Umwelterheblichkeitsprüfung durchlaufen. Das heißt, er muss vor Beginn der Reise seiner nationalen Behörde - in Deutschland dem Umweltbundesamt - darlegen, was er vorhat, welche Auswirkungen auf die Umwelt das unter Umständen haben kann und was er dagegen unternehmen wird. Ein ziemlich aufwändiges Verfahren.

Touristen in der Pol-Position

SZ: Was ist unterwegs zu beachten?

Stambach: In der Antarktis dürfen Sie nie mehr als 100 Personen gleichzeitig an Land bringen. Diese 100 müssen von mindestens fünf Fachleuten begleitet werden. Wenn Sie mehr als 500 Gäste an Bord haben, dürfen Sie überhaupt nicht mehr an Land gehen - Anlandungen sind beschränkt auf kleine und mittlere Schiffe. Auf dem Schiff gibt es die Regelung, dass nichts über Bord gehen darf: Alle Abfälle und Abwässer müssen aus dem Antarktisvertragsgebiet abtransportiert werden. Der Tourismus in der Antarktis und in Teilen der Arktis ist der am strengsten regulierte weltweit.

SZ: Wird der Klimawandel bei einer solchen Kreuzfahrt inzwischen thematisiert oder bekommen die Passagiere vor allem ,,heile Natur'' geboten?

Stambach: Natürlich ist das ein Thema, dafür gibt es Experten ein Bord - in der Regel Wissenschaftler, die das Thema in Vorträgen und Diskussionsrunden behandeln. Das ist ja der Vorteil des Tourismus in diesen Regionen: dass sich die Menschen selbst eine Meinung bilden können. Ich meine, wenn sich Frau Merkel und Herr Gabriel diesen Gletscher in Grönland anschauen, den jedes Jahr auch 20 Kreuzfahrtschiffe ansteuern, dann ist das im Prinzip das Gleiche.

SZ: Nicht ganz. Politiker haben eine ganz andere Öffentlichkeit als Durchschnittstouristen.

Stambach: Wenn diese Touristen in den Polarregionen allerdings mit eigenen Augen erkennen, was der Klimawandel bewirken kann, wie er sich zum Beispiel auch auf das Leben der einheimischen Bevölkerung auswirkt, dann wird hier doch ein Bewusstsein erzeugt.

SZ: Ist ein Langstreckenflug gefolgt von einer Kreuzfahrt, die ebenfalls Mengen an Treibstoff verbraucht, nicht ein etwas hoher Preis für die Erkenntnis, dass der Klimawandel wirklich stattfindet?

Stambach: Klar, das kann man so sehen. Aber Sie schlagen jetzt vor, dass jeder zu Hause sitzt, die Süddeutsche liest und sich eigene Reisen versagt.

SZ: Der erlebte Klimawandel als Motiv für eine Fernreise erscheint einfach etwas schizophren.

Stambach: Vor diesem Hintergrund müsste man Bildungsreisen in ferne Länder grundsätzlich in Frage stellen. Ich glaube schon, dass man jedem Kunden das Recht zugestehen muss, sich im Rahmen einer Reise vor Ort zu informieren.

SZ: Umweltschutzorganistionen weisen immer wieder darauf hin, dass Tourismus gerade den arktischen Regionen einen erhöhten Bedarf an Wasser, Energie und Infrastruktur aufbürdet.

Stambach: Korrekt - je ökologisch sensibler ein Gebiet ist, umso mehr wird es zum Sonderfall. Darum ist das Schiff das richtige Beförderungsmittel, weil es in sich autark ist. Sie brauchen keine permanente Infrastruktur an Land und kein Hotel, Sie produzieren an Land keinen Abfall, und Sie haben eine sehr geringe Verweildauer von drei bis vier Stunden.

SZ: Sie arbeiten als Berater mit Kreuzfahrtunternehmen zusammen. Wie lauten Ihre Ratschläge?

Stambach: Ich rate ihnen, sich rechtzeitig mit Fachleuten zusammenzusetzen, die diese Regionen gut kennen. Die ihnen erklären, welche Vorkehrungen man treffen muss im Bereich Sicherheit und Umweltschutz. Solche Vorkehrungen kosten viel Geld und Zeit, man muss diese Reisen ganz anders organisieren als etwa eine Karibikkreuzfahrt. Wenn der Veranstalter dazu bereit ist, können wir zusammen arbeiten. Wenn er daran kein Interesse hat, war's das.

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