Interview:Der Norden gewinnt

Interview: Winzer müssen genau überlegen, was sie tun, sagt Romana Echensperger.

Winzer müssen genau überlegen, was sie tun, sagt Romana Echensperger.

(Foto: OH)

Der Klimawandel erfordert ein Umdenken bei den Winzern, sagt die Sommelière Romana Echensperger. Denn es gibt Methoden, wie man beim Weinanbau von den höheren Temperaturen profitieren kann.

Von Hannes Vollmuth

Der Klimawandel verändert alles: Erntezeiten, Rebsorten, den Geschmack. Wie darauf reagieren, überlegen Winzer auf der ganzen Welt. Romana Echensperger, Sommelière, Weinberaterin und frisch gewählte Master of Wine, über die größte Veränderung der Weinbranche seit Jahrzehnten.

SZ: Wäre der deutsche Wein ein Mensch, wie hätte er sich in diesem Sommer gefühlt?

Romana Echensperger: Er hätte zwischendurch mal ziemlich Durst gehabt und sehr geschwitzt. Und es wäre auch sehr anstrengend für ihn gewesen.

Kann ein Grad mehr wirklich so schlimm sein, wie alle sagen?

Ein Grad mehr und alles steht kopf. Die Trauben haben eine höhere Reife, der Wein wird dadurch gehaltvoller, weil er auch mehr Alkohol besitzt und die Säurewerte sinken. Wenn man an einen typischen Riesling denkt, der von Frische und Leichtigkeit lebt, ist das nicht unbedingt erstrebenswert.

Braucht Wein nicht auch Wärme?

Natürlich, aber jede Rebsorte hat ihren eigenen Wärmebedarf. Der ist bei Müller-Thurgau viel geringer als bei einem Cabernet Sauvignon. Und wird es zu warm, kann es zu einer Reifeverzögerung kommen: Die Reben lagern weiter Zucker ein, aber die phenolische Reife, die das Aroma bringt, wird unterbrochen. Manchmal hat man dann einen Wein mit 14,5 Prozent Alkohol vor sich, der aber trotzdem unreif und harsch schmeckt.

Man hört viel von Weinbau im Norden.

Ja, Sylt hat jetzt einen Weinberg, genauso Mecklenburg-Vorpommern, selbst die Norweger experimentieren mit ein paar Rebstöcken. Aber das ist nur eine Nische, es regnet dort einfach zu viel, da können nur Rebsorten wachsen, die pilzresistent sind. Eine Ausnahme ist da sicherlich Südengland. Die machen seit ein paar Jahren einen fantastischen Schaumwein, der an Champagner erinnert. Noch vor 25 Jahren wäre das rein klimatisch nicht denkbar gewesen.

Warum orientieren sich nicht alle um?

Weil das noch lange nicht nötig ist und auch so einfach nicht geht. Winzer haben ihre Weinberge seit Generationen, die Rebsorten sind an die Böden angepasst, die können nicht alles stehen und liegen lassen und weiter nördlich wieder anfangen. Man kann weinbaulich viel abfangen.

Ist der Klimawandel nur für deutsche Winzer ein Problem?

Nein. Weltweit macht man sich Gedanken, wie man mit höheren Temperaturen, schwankenden Niederschlägen und Schädlingen zurechtkommt. In Bordeaux war lange Zeit das Problem, dass es in der letzten Reifeperiode zu viel geregnet hat. Heute ist es zu trocken. Ich habe den 2005er- Jahrgang bei vielen Top-Châteaux vom Fass probiert, da gab es Weine mit 15 Prozent Alkohol. Das schmeckt dann nicht mehr nach Bordeaux.

Wie schmeckt Bordeaux-Wein also heute?

Immer noch fantastisch, aber doch mit mehr Alkohol ausgestattet als noch vor 40 Jahren. Die kühle Reife ist etwas verloren gegangen, es schmeckt fülliger mit süßeren Fruchtaromen. Der 75er-Jahrgang aus dem Bordeaux hatte zum Beispiel 11,5 Prozent Alkohol. Wer heute noch eine Flasche bekommt, der merkt: Das war eine Offenbarung, unglaublich fein, filigran und komplex. Heute werden Bordeaux-Weine mit 13 bis 13,5 Prozent Alkohol abgefüllt, weil die Trauben mehr Zucker haben.

Viel Zuckergehalt klingt für Wein-Laien immer gut.

Viele Menschen sind gedanklich noch in den Sechziger- und Siebzigerjahren verhaftet. Da war der Klimawandel noch nicht so fortgeschritten, und auch die weinbaulichen Methoden waren noch nicht so entwickelt wie heute. Qualität hat man damals mit dem Zuckergehalt gleichgesetzt. Heute muss man eher schauen, dass nicht zu viel Zucker in den Trauben ist. Mit dem Klimawandel steigt das Risiko, alkoholische Weine zu bekommen, wenn man nicht weinbaulich eingreift.

Die Erntezeit hat sich auch verschoben.

Ja, heute wird oft drei, vier Wochen früher gelesen. Alles ist früher dran: die Blüte der Reben, der Austrieb, die Ernte. Im kontinentalen Klima ist es aber normalerweise so, dass der letzte Teil der Reifeperiode in den kühleren Phasen stattfindet. Die Kühle ist ein Signal für die Reben: Der Winter kommt, jetzt mal Gas geben mit der Reife. Dieses Signal fehlt jetzt. Wärmere Bodentemperaturen bedeuten auch mehr Nährstoffumsatz, die Weinstöcke werden also größer. Das wiederum aber bedeutet, dass es mehr Blätter gibt, die bei Starkregen dann anfällig sind für Pilzkrankheiten. Es sind so viele kleine Rädchen im Weinbau-Getriebe, die sich leicht verändern. Welche Auswirkungen das alles auf das große Ganze hat, kann man im Detail noch gar nicht sagen.

Bringt es etwas, auch auf andere Rebsorten zu setzen?

Das ist ein möglicher Weg: In Deutschland kann man heute schon Cabernet Sauvignon oder Syrah zu einer ganz anständigen Reife bringen. Das sind aber kleine Flächen - von Syrah gibt es in Deutschland 54 Hektar, von Carbernet Sauvignon 350 Hektar. Der Wein ist gut. Aber kein Vergleich zu einem Syrah aus dem Barossa Valley in Australien.

Wie reagieren Weinliebhaber auf diese Verschiebungen?

Einige denken inzwischen, Deutschland verwandle sich gerade in eine Art Toskana, in der bald überall Cabernet Sauvignon oder Syrah wächst. Das ist eine verzerrte Vorstellung. Vielleicht liegt es auch daran, dass man in der Presse eher von den Jungwinzern liest, die ein paar Flaschen Syrah machen, als von einem jahrhundertealten Traditionsbetrieb wie zum Beispiel dem Juliusspital. Die bauen seit einer Ewigkeit fantastischen Silvaner an und werden das auch noch in Zukunft tun.

Kann man sagen, dass der Klimawandel auch Vorteile hat?

Definitiv. Die Großeltern der Winzer von heute erzählen, dass in den Fünfziger- und Sechzigerjahren von zehn Jahrgängen vielleicht drei schön reif wurden. Die anderen sieben waren so sauer, dass nur die Einheimischen sie getrunken haben. Heute haben wir eine Abfolge guter Jahrgänge und deutlich höhere Reifegrade. Rotwein macht bei uns inzwischen circa 30 Prozent der Gesamtfläche aus.

Klingt so, als wäre Deutschland ein Gewinner des Klimawandels. Wer verliert?

Die Winzer im Süden Frankreichs, in Spanien, Italien. Die Winzer in Kalifornien und in Teilen Australiens haben auch zu kämpfen, da mangelt es mittlerweile sogar an Wasser. Und das hat dann schnell eine moralische Dimension, wenn Weinberge bewässert werden und nicht Gemüse oder Salat. Im australischen Riverina kostet Wasser inzwischen so viel, dass sich manchmal der Weinbau nicht mehr rentiert.

Was könnten die Winzer tun?

Es gibt zahlreiche weinbauliche Maßnahmen, die die Auswirkungen des Klimawandels abschwächen. Die Winzer müssen genau überlegen, wie sie mit ihrem Weinberg umgehen. Hängen da zu viele Blätter, können bei Regenfällen schnell Pilzkrankheiten entstehen. Wird zu viel entblättert und es kommt eine Hitzeperiode, bekommen die Trauben einen Sonnenbrand. Der Wein schmeckt bitter und unangenehm. Manche setzen auch auf Bio-Weinbau: Gesunde Böden können Hitze und Trockenheit ganz anders ertragen als Böden, die man mit Herbiziden behandelt.

Müssten die Winzer heute mehr wissen als früher?

Daran führt kein Weg vorbei. An der Ruwer bei Trier zum Beispiel war in den Sechzigerjahren die Weinlese erst Anfang November. Die Weinkeller sind so spät im Herbst schön kühl, und die Trauben beginnen langsam die Vergärung, genauso wie man es haben will. Durch die Erwärmung findet die Weinernte jetzt aber vier Wochen früher statt. Deswegen haben einige Winzer sich Kühltechnik angeschafft. Das ist ein Beispiel von vielen. Wer keine Ahnung hat, wird es schwer haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: