Süddeutsche Zeitung

Reise buchen:"Urlauber müssen nicht zwischen Geldbeutel und Gewissen entscheiden"

Wie nachhaltig und fair sind Billigurlaub und All-inclusive? Tourismus-Professor Harald Zeiss erklärt, warum Reisende an allem sparen können, nur nicht an Selbstkritik.

Von Katja Schnitzler

Es ist Hauptbuchungszeit und Unternehmen werben mit Rabatten, besonders günstigen Pauschalreisen und All-inclusive-Urlaub in der Türkei, auf den Kanaren oder in der Dominikanischen Republik. Reisende buchen bisweilen mit dem unguten Gefühl, weder fair noch besonders umweltschonend zu verreisen. Harald Zeiss ist Professor für Tourismusmanagement sowie Leiter des Instituts für Nachhaltigen Tourismus - und sagt, das Problem ist nicht der Preis.

SZ: Herr Zeiss, wer zahlt eigentlich am Ende drauf, wenn Reisende nur auf den Preis schauen?

Harald Zeiss: Der Preis allein sagt - wie auch in der Bekleidungsindustrie - nicht viel über die Arbeitsbedingungen aus. Wenn aber zwei Wochen Strandurlaub in Tunesien nur 400 Euro kosten, hat der Gast schon ein ungutes Gefühl, das könne nicht mit rechten Dingen zugehen. Aber das trügt. Denn nach der Arabischen Revolution blieben die Touristen aus und bevor ein Hotelbett leer bleibt, ist es besser, es für einen geringeren Preis anzubieten. Manchmal subventionieren auch Staaten wie Ägypten oder Tunesien in schwierigen Zeiten Flugtickets. Urlaubspakete können dann billiger angeboten werden. Das belastet zwar den Haushalt dieser Länder. Dafür wird aber die Tourismuswirtschaft angekurbelt.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

All-inclusive-Angebote helfen besonders Familien, im Urlaub die Finanzen im Griff zu behalten: Gibt es die auch in "fair"?

Auch All-inclusive-Anlagen können fair sein, denn es bleibt viel Geld im Land. Schließlich werden hier auch lokale Gehälter bezahlt, Energie genutzt und das Gemüse für das Buffet hatte bestenfalls ein Bauer im Ort gepflanzt. Billig heißt nicht zwangsläufig unethisch. Und nachhaltige Produkte sind nicht unbedingt am höheren Preis zu identifizieren. Urlauber müssen also nicht zwischen ihrem Geldbeutel und ihrem Gewissen entscheiden.

Woran erkennt man dann beim Buchen, welche Reise nachhaltig konzipiert ist?

Das ist die Herausforderung. Es gibt Siegel und Zertifikate, aber oft hilft es, den Kopf einzuschalten und sich zu fragen: Muss eine bestimmte Reiseform wirklich sein? Etwa Christmas-Shopping in New York: Der Anlass ist trivial, nämlich Konsum, dafür jettet man für ein langes Wochenende um die halbe Welt. Nachhaltiger wäre, bei kurzen Distanzen Bahn zu fahren und bei längeren Strecken nicht nur die CO₂-Emissionen etwa bei atmosfair zu kompensieren, sondern auch länger vor Ort zu bleiben - und währenddessen mehr Geld am Ziel zu lassen sowie Land und Leute kennenzulernen. Dafür müsste man gegen den Trend Urlaub machen, nämlich lieber einmal länger im Jahr statt mehrmals kurz. Ich persönlich finde, dass man auch in Deutschland sehr gut Urlaub machen kann. Holiday made in Germany bedeutet längst nicht mehr altbackene 60er-Jahre-Tapete und Tanzabende mit Alleinunterhalter.

Trotzdem träumen Deutsche lieber von den Malediven als von der Mecklenburgischen Seenplatte ...

Natürlich haben Fernreisen noch immer eine wahnsinnige Faszination, wir verbinden damit Exotik und Abenteuer. Und in den sozialen Medien sieht der Zuckerhut im Selfie-Hintergrund eben besser aus als der Monte Kali in Hessen. Da sollten wir uns vor dem Buchen selbstkritisch fragen: Will ich Freunde und Follower neidisch machen? Oder mich im Urlaub erholen und entspannt Zeit mit Partner und Familie verbringen? Das kann ich ebenso auf den Kanaren, und Abenteuer erlebe ich auch beim Kanufahren in Mecklenburg.

Also sollten wir lieber in der Nähe bleiben?

Das ist tatsächlich ein Dilemma im Tourismus: Aus ökologischen Gründen gilt meist, je näher, desto besser. Doch gerade für die Ärmsten der Armen in fernen Ländern bietet der Tourismus große wirtschaftliche Chancen. Selbst Menschen ohne Bildung finden in Hotels einen Job und das in einer vergleichsweise guten Arbeitsumgebung. Jemand, der jeden Tag ohne Schutz vor giftigen Chemikalien in der Lederindustrie schuftet, würde vermutlich lieber Tellerwaschen oder Cocktails am Pool servieren. Da muss sich der deutsche Tourist auch nicht mit schlechtem Gewissen wie ein "Gutsherr" fühlen. Denn mit seinem Besuch trägt er zum wirtschaftlichen Wohlstand bei. Eine Untersuchung zeigte, dass eine Woche All-inclusive-Urlaub in der Dominikanischen Republik mehr zur lokalen Armutsminderung beiträgt als 50 Jahre lang Fair-Trade-Kaffee zu trinken.

Zum Problem für Einheimische werden Touristen jedoch gerade in Städten, wenn einfach zu viele kommen. Allerdings sind Barcelona oder Venedig wirklich schöne Orte - wie bleiben wir da fair?

Mit Billigflügen und Unterkünften von Airbnb, aber auch bei Kreuzfahrten wird vermittelt: Wir tauchen mal eben ein ins authentische Leben in der Fremde. Nur wie viele Einheimische treffen wir noch in Venedig, in Island oder im Berliner Café? Örtliche Behörden könnten das Problem Overtourism größtenteils regeln, aber wer möchte schon auf die touristischen Einnahmen verzichten? Wir Konsumenten müssen also selbstkritisch sein: Wenn es unbedingt Barcelona sein muss und keine andere Stadt, die noch nicht so überlaufen ist, dann reisen wir eben nicht zu der Zeit, in der sowieso alle kommen. Es gibt genug Orte auf der Welt für authentische Erlebnisse, aber es ist für viele bequemer, auf ausgetretenen Pfaden anderen hinterherzureisen. Und sich dann zusammen mit den Einheimischen über Touristenmassen zu ärgern.

Dieses Problem haben andere Länder nicht, wie Nordkorea, das sich dem Tourismus minimal geöffnet hat. Aber: Dürfen wir guten Gewissens in eine Diktatur reisen?

Diese Frage stellt sich immer wieder, zuletzt etwa bei Myanmar: Mit einem Urlaub wird man zwangsläufig das Regime finanziell unterstützen, aber durchaus auch einen Beitrag für die Menschen dort leisten. Und sei es nur, dass man mal ins Gespräch kommt. Nach Nordkorea würde ich persönlich nicht fahren. Dort landet vermutlich fast 100 Prozent des Geldes beim Staat. Und das Reisemotiv wäre auch sehr voyeuristisch: Was gibt es dort Besonderes zu sehen, außer zu erleben, was die Menschen in solch einer Diktatur tagtäglich ertragen müssen? Das Land kann man auch noch bereisen, wenn der Kim-Spuk eines Tages vorbei ist.

Etwas weniger eindeutig ist aber eine Reise in die Türkei. Man könnte Erdoğan-Gegner in den Urlaubsorten an den Küsten unterstützen. Oder aber mit einem Wegbleiben ein Zeichen setzen ...

Bei der Türkei stellt sich zunächst die Frage nach der eigenen Sicherheit. Das Auswärtige Amt hat für die Türkei einen Reisehinweis, der eher wie eine Reisewarnung formuliert ist. Sicherlich ist ein Besuch in der Türkei risikoreicher als in Österreich, vor allem nach der jüngsten Offensive in Syrien. Aber Urlauber vergessen so etwas sehr schnell. Auch nach Attentaten kehren sie nach kurzer Zeit zurück. Die andere Frage ist, ob man ein politisches Zeichen setzen möchte. Allerdings fließt das Geld nicht wie in Nordkorea automatisch in die Kasse des Machthabenden, sondern zum größten Teil in die Taschen jener Menschen, deren Lebensgrundlage der Tourismus ist. Und die Frage ist, ob man diese Männer und Frauen, die seit Jahren Gäste aus Deutschland empfangen und bedient haben, jetzt für eine Regierung bestraft, mit der man persönlich nicht einverstanden ist. Und Reisen ist ja auch Austausch: Man sollte zwar nicht besserwisserisch politisieren. Aber wer über sein eigenes Leben in Deutschland spricht, transportiert schon gesellschaftliche Ideen und den Demokratiegedanken.

Genaue Informationen, welche Daten für den Messenger-Dienst genutzt und gespeichert werden, finden Sie in der Datenschutzerklärung.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3836812
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/ihe/rus
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.