Eine gewisse Grundsympathie fürs Bahnfahren sollte man wohl mitbringen: Wer mit Interrail reist, verbringt viel Zeit im Zug. Europa auf diese Weise - wortwörtlich - zu erfahren, macht aber auch den Reiz des Tickets aus. Was es bietet und in welche Länder es den Reisenden bringt: Die wichtigsten Informationen im Überblick.
Die Idee
Eine Fahrkarte für 21 Länder - so fing es 1972 an. Zum 50. Geburtstag des Internationalen Eisenbahnverbandes führten 21 europäische Staaten das Interrail-Ticket ein. 235 D-Mark kostete es in Deutschland, vier Wochen konnten Jugendliche bis 21 Jahren damit unterwegs sein, 1979 wurde die Altersgrenze auf 26 Jahre angehoben. Die Idee passte zur Aufbruchstimmung der Siebzigerjahre: endlich ohne Eltern verreisen, vom Nordkap bis Lissabon, eine Verheißung von Freiheit und Abenteuer, Völkerverständigung inklusive. Volle Züge und unbequeme Nächte im Bahnhof nahm man dafür gern in Kauf, im Rückblick legte sich selbst über den geklauten Geldbeutel und die verschimmelte Billig-Unterkunft ein sanft verklärender Erinnerungsfilter. Interrail war eine prägende Reiseerfahrung des Erwachsenwerdens. Und die Eltern dachten sich: Immerhin sicherer als per Anhalter.
Seinen Sonderstatus als günstiges Ticket in die Freiheit hat Interrail eingebüßt, seit viele Ziele mit dem Flieger schneller und oft auch noch billiger zu erreichen sind. Und exklusiv für junge Leute ist es auch nicht mehr: 1988 wurde die Altersgrenze aufgehoben und Interrail zu einem Reiseangebot unter vielen. Doch der Zug könnte, um im Reisejargon zu bleiben, wieder Fahrt aufnehmen: 300 000 Pässe wurden 2018 europaweit verkauft, eine Verdreifachung zum Jahr 2005. Besonders stark sei das Wachstum in den skandinavischen Ländern, berichtet eine Sprecherin der Dachorganisation Eurail. In Schweden, dem Land, in dem die Flugscham erfunden wurde, lägen die aktuellen Verkaufszahlen um 80 Prozent höher als 2018. In Deutschland gab es nach Angaben einer Sprecherin der Deutschen Bahn immerhin ein Plus von 13,5 Prozent, vergleicht man das erste Halbjahr 2019 mit den ersten sechs Monaten des Vorjahrs.
Die Debatte über nachhaltigeres Reisen könnte Interrail eine Renaissance bescheren, glaubt David Scheibler aus Ismaning bei München. Er hilft auf seiner Webseite zugreiseblog.de Interrailern bei der Planung ihrer Reise. Ganz unabhängig davon sei es nach wie vor "eine sehr gute Möglichkeit, viele Länder in kurzer Zeit zu sehen".
Das Ticket
Mit Interrail auf Reisen gehen darf, wer dauerhaft seinen Wohnsitz in Europa hat. Für Nicht-Europäer gibt es als Alternative den Eurail-Pass. Allerdings: Ticket kaufen und losfahren - ganz so einfach ist es nicht mehr. Mittlerweile gibt es ein ganzes Portfolio von Interrail-Pässen. Sie gelten entweder für einzelne Länder oder für das gesamte Gebiet, das derzeit 31 Staaten in Europa umfasst, von Norwegen bis Italien, von Portugal bis zur Türkei. Litauen stieß 2019 als erstes baltisches Land dazu, Großbritannien wollte im Zuge des Brexits zunächst aussteigen, bleibt aber nun doch dabei.
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Interrailer können außerdem wählen, wie lange das Ticket gelten soll. Von drei Tagen innerhalb eines Monats bis zu drei Monaten gibt es eine ganze Reihe von Optionen.
Das sind die wichtigsten Interrail-Varianten:
- Der Interrail Global Pass, der Klassiker, gilt für beliebig viele Fahrten in allen Mitgliedsländern - mit einer Ausnahme: Im Heimatland sind lediglich Hin- und Rückfahrt frei. Die Preise starten für Jugendliche bis 27 Jahren bei 168 Euro für drei Reisetage innerhalb eines Monats, sieben Reisetage kosten 258 Euro. Wer einen Monat lang jeden Tag unterwegs sein möchte, zahlt 515 Euro, drei Monate kosten 693 Euro. Wer älter ist als 28, zahlt zwischen 218 Euro und 902 Euro. Senioren ab 60 Jahren reisen wieder günstiger: Ihre Interrail-Tickets kosten zwischen 196 Euro und 812 Euro. Kinder bis elf Jahre zahlen nichts, brauchen ab dem vierten Geburtstag allerdings trotzdem ein eigenes Ticket.
- Der Interrail One Country Pass gilt für beliebig viele Fahrten in jeweils einem Land, die Benelux-Staaten Niederlande, Belgien und Luxemburg bekommt man im Paket. Die Tarife variieren je nach Reiseziel: Am günstigsten sind die osteuropäischen Staaten mit Ticketpreisen ab 51 Euro für drei Reisetage innerhalb eines Monats. In Großbritannien dagegen kostet Interrail mindestens 166 Euro, in Frankreich 127 Euro. Ländertickets können kombiniert werden, für die Anreise muss ein separater Fahrschein gelöst werden.
Zusatzkosten drohen in Form von Reservierungsgebühren: Viele Schnellzüge vor allem in Frankreich, Spanien, Schweden oder Italien dürfen nur mit Platzkarte genutzt werden, in einem französischen TGV können dafür durchaus auch mal 20 Euro pro Strecke fällig sein. Für Spanien und Italien gibt es deshalb seit einigen Jahren den Interrail Premium Pass für mindestens 123 Euro. Reservierungen sind dann im Preis schon mit drin.
Die Planung
Durch die Reservierungspflicht für viele schnelle Züge, die einigen Planungsvorlauf erfordert, habe Interrail an Reiz verloren, klagen viele Nostalgiker, weniger frei und spontan sei die Europatour auf der Schiene dadurch geworden. Der Berliner Peter Freisberg würde das so nicht unterschreiben - und er hat durchaus Interrail-Expertise: 1994 unternahm er seine erste Europa-Tour, seitdem sind viele weitere hinzugekommen: "Wenn es geht, zweimal im Jahr." Für Bahnreisende hat er die Infoplattform rail.cc aufgelegt. Im Forum tauschen sich dort Interrailer über Fahrpläne, Routen und Unterkünfte aus. "Es gibt oft Alternativ-Verbindungen mit Regionalzügen", sagt Freisberg. Statt im Schnellzug von Paris nach Barcelona zu rauschen, könne man im südfranzösischen Perpignan einen Zwischenstopp einlegen und von dort aus im Bummelzug mit malerischer Aussicht durch die Pyrenäen fahren - ganz ohne Reservierungspflichten.
Zogen Interrailer früher mit dem Kursbuch los, hilft in digitalen Zeiten eine App bei der Routenplanung. Sie funktioniert auch offline, wer möglichst günstig unterwegs sein will, blendet reservierungspflichtige Züge aus. Eine gute Informationsquelle sind auch Erfahrungsberichte anderer Reisender auf Blogs und in Foren, beispielsweise die öffentliche Facebook-Gruppe #DiscoverEU Official für junge Reisende, die ihr Ticket im Rahmen der Aktion "DiscoverEU" gewonnen haben.
Wie groß der Planungsaufwand vor der Reise ist, hängt vor allem von den eigenen Vorlieben ab. "Man kann auch einfach losfahren", sagt Bahnblogger David Scheibler: "Interrail gibt einem die Flexibilität, spontan die Route zu ändern, weil man interessante Menschen kennengelernt hat, mit denen man weiterfahren möchte." Oder auch mal auszusteigen, wenn der Zug überfüllt und der nächste Halt reizvoll ist.
Serie "Reisen ohne Flug":"Du spürst tatsächlich, dass du reist"
Zurzeit verschenkt die EU wieder Interrail-Pässe an junge Europäer. Vier davon erzählen, was das Abenteuer mit der Bahn für sie bedeutet.
Die Mitreisenden
Auch wenn die Altersbegrenzung schon vor Jahrzehnten fiel, ist Interrail nach wie vor eher eine Sache der Jugend. Knapp zwei Drittel der Pässe gingen nach Angaben von Eurail im vergangenen Jahr an Reisende zwischen zwölf und 27 Jahren, die Zahl der Älteren mit Interrail-Pass im Rucksack steige aber stetig. Das kostenlose Ticket für Kinder unter zwölf Jahren macht die Bahnreise auch für Familien interessant, die auf der Suche nach einer Urlaubsalternative zu Strand und Bauernhof sind. Pro Erwachsenem (der nicht verwandt sein muss) können zwei Kinder kostenlos mitreisen.
Dreimal schon war Ina Altmann-Oettel aus Görlitz mit Familie und Interrail-Ticket unterwegs, auf ihrem Reiseblog mitkindimrucksack.de berichtet sie darüber. 12 000 Kilometer sammelte die Familie bei ihrer längsten Tour. Von Norwegen aus, wo sie damals lebte, ging es nach Schweden, Dänemark, Deutschland, Ungarn, Rumänien, Slowenien, Italien, Frankreich und über Deutschland und Schweden wieder zurück. Ein Jahr alt war das jüngste Kind, die beiden älteren sieben und 15. Ist das nicht mühsam, so viel Zeit im Zug mit drei Kindern? "Fand ich nicht", sagt die Bloggerin, "da hat man doch endlich mal Zeit zum Erzählen, Lesen und Spielen." Außerdem bekomme man über die Kinder viel schneller Kontakt zu Mitreisenden und Einheimischen. Dank eher minimalistischem Gepäck seien auch die Quartierwechsel kein Problem gewesen, "man muss dann eben nach Unterkünften schauen, in denen man Wäsche waschen kann".
Die Profi-Tipps
Eine Interrail-Reise fällt zwar sicher in die Kategorie "Individuell unterwegs" - mit einer mehr oder weniger großen Anzahl von Gleichgesinnten aus ganz Europa muss man trotzdem rechnen. Vor allem in der Hauptsaison im Sommer kann es auf beliebten Strecken in den Zügen voll werden, in den Hostels am Zielort ebenso. Die fünf meistbesuchten Städte sind nach Angaben der Eurail-Sprecherin Wien, Hamburg, Berlin, Prag und Budapest, zu den beliebtesten Strecken gehören dementsprechend Berlin - Prag, Budapest - Wien und Amsterdam - Berlin. "Es lohnt sich, auch kleinere Städte anzusteuern", sagt Interrail-Fachmann Peter Freisberg. Europa lerne man so ohnehin viel besser kennen als nur in den Metropolen. Einen Tag Bahn fahren, gern auch in einem Regionalzug, in dem sich vielleicht noch die Fenster öffnen lassen, und dann zwei Tage vor Ort sein - das sei ein guter Rhythmus, um sich einzulassen auf neue Länder und Landschaften.
Wer statt im Hochsommer Ende Mai/Anfang Juni oder im September fahre, entgehe den Touristenmassen. "Dann bekommt man auch wieder Plätze in den Nachtzügen." Die sollte man sich nicht entgehen lassen, findet auch Bahnblogger David Scheibler: "Bahnfahren hat ohnehin den Vorteil, dass man sehr viel mehr Menschen kennenlernt als beim Fliegen. Und die Atmosphäre im Nachtzug ist noch einmal etwas ganz Besonderes." Die kroatische Hafenstadt Rijeka zum Beispiel, Kulturhauptstadt im Jahr 2020, sei von München aus bequem über Nacht zu erreichen.