Inseln im Stadtgebiet von Berlin:Hamptons, wa!

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Gartenzwerge und andere Spießigkeiten sind tabu: Berlins Kreative ziehen sich zur Erholung auf die malerischen Inseln der Havel zurück und leben sich dort auch baulich aus.

Peter Littger

Es hieß ja früher immer, Berlin sei eine Insel, vor allem die der Kreativen und Vergnügungssüchtigen. Aber mittlerweile zieht es immer mehr dieser Leute, die früher mitten hinein zogen, hinaus auf die richtigen Inseln im Stadtgebiet Berlin. Da kreischen die Möwen wie auf Sylt, klappern die Takelagen wie am Comer See - und es gibt sogar einige exotische Momente, wie man sie auch in Süddeutschland kennt, wenn man am Fuß der Zugspitze in den türkisfarbenen Eibsee hüpft, der an manchen Stellen fast karibisch anmutet.

Blick auf Valentinswerder (Foto: Peter Littger)

"Noch nie haben mich so viele Leute angerufen, alle wollen hier neuerdings hin", berichtet Gerhard Neitzel. Er ist seit 25 Jahren Verwalter von Maienwerder im Tegeler See - einer von 34 Inseln, die bisher im Berliner Stadtgebiet gezählt worden sind. Fast alle sind autofrei, fast alle haben schön klingende Namen: "Lindenwerder", "Nixenwall", "Liebesinsel". Maienwerder gehört zehn privaten Eigentümern und hat rund 100 kleine Grundstücke, die nicht ans Stromnetz angeschlossen sind. Die Bebauung ist eng, und Neitzel beschreibt die Häuser als "primitive Lauben".

Malerische Ufer und viele alte Bäume

Was die Insel ausmacht, ist das malerische Ufer und viele alte, sehr alte Bäume. "Früher waren wir ein Altenheim, heute sind wir ein Kindergarten", erklärt Neitzel. Etliche junge Familien würden auf die Insel ziehen. "Neulich wollte ein Haufen Baden-Württemberger hier alles kaufen." Seine Stimme klingt ein wenig besorgt.

Draußen auf dem Wasser schippert gut gelaunt der Kapitän Wolfgang Burchardi. Seit fast 50 Jahren bringt er Menschen zu den Inseln im Tegeler See und in der Havel. Er schwärmt davon, wie sich die Wasserqualität seit 1989 entwickelt habe. "Überall kann man auf den Grund sehen - das sind bestimmt zehn Meter! Wenn hier die Flugzeuge nicht mehr fliegen, wird das ein echtes Paradies."

In diesem Moment taucht hinter ihm eine Maschine der Lufthansa in den Wald, rund zehn Minuten später folgt eine von Air Berlin. Zufälligerweise liegen die meisten Berliner Inseln in der Nähe der beiden Flughäfen. Mit der vollständigen Verlagerung des Luftverkehrs vom Westen nach Schönefeld im Osten werden sich auch die Werte verschieben. Denn im Juni 2012 schließt der Flughafen Tegel. Wer jetzt zum vielleicht letzten Mal von dort aus in die Sommerferien aufsteigt, sieht schräg unter sich alleine ein knappes Dutzend der Inseln, die mehr Erholung bieten können als so manche teure Fernreise - und die schon bald erheblich mehr wert sein dürften.

Kleine feine Villenkolonie auf Valentinswerder

Besonders profitieren wird Werner Haberkern. Sein Urgroßvater hatte im 19. Jahrhundert die Insel Valentinswerder gekauft und zu einer Kolonie für kleine feine Sommerhäuser gemacht. Im Krieg wurde jedoch viel zerstört, sodass auch dort eine Laubenkolonie entstand, über die Haberkern heute seine Nase rümpft: "Als ich die Verantwortung 1995 erbte, war hier alles verwildert." Niemand hatte sich mehr um die Landschaftsarchitektur gekümmert, zum Beispiel die beiden Alleen, die sich kreuzen und deren Mittelpunkt ein klassizistisches Rondell aus Bäumen und Hecken bildet. Haberkern hat es mit neuen Pflanzen, einer Bewässerungsanlage und einem verzierten Eisenpavillon wieder so herrichten lassen, dass es einem Märchengarten gleicht.

Die circa 120 Menschen, die auf Valentinswerder wohnen, sprechen nicht gerne darüber. Sie befürchten eine Invasion derer, die genug haben vom Stadtleben. "Auf den Spielplätzen in Mitte rumzuhängen mit all den anderen Verzweifelten, die keine Gärten haben - das hatte doch keine Zukunft", sagt eine Bewohnerin.

Mittlerweile ist Valentinswerder zur Insel der Kreativen geworden. Haberkern zählt seine Mieter auf wie eine Sammlung Preziosen: "Mehr als 15 Architekten, ein Parfümeur und ein Stuntman wohnen hier, Schauspieler, Drehbuchautoren und Eins-A-Journalisten." Der Betreiber der Galerie C/O Berlin baut sich demnächst eine Nobellaube neben der Choreographin Sasha Waltz. Sie wohnt im größten Haus der Insel, in dem 2005 der investigative Journalist Bruno Schirra eine Polizeirazzia über sich ergehen lassen musste - Valentinswerder ging damit in die Pressegeschichte ein.

Der Art Cube im Park vom Haus am Waldsee (Foto: Jörg Hejkal/Haus am Waldsee)

Haberkern war früher Manager eines Tabakunternehmens. Und wenn er von seiner damaligen Verantwortung für eine Plantage in Ecuador berichtet, dann wird deutlich, wo er sich die Sporen für sein Inselprojekt verdient hat. Ähnlich wie er lernte, mit Drogenkartellen oder Gewerkschaften zu kooperieren, möchte er sich heute nicht von der Berliner Bezirksbürokratie von seinem Ziel abbringen lassen. Er will eine Insel schaffen, die vielleicht so exklusiv, aber nicht so pompös ist wie Schwanenwerder oberhalb des Wannsees. Und weil Schwanenwerder durch einen Damm mit dem Grunewald verbunden und strenggenommen nur eine Halbinsel ist, wäre Valentinswerder automatisch die exklusivste Insel Berlins.

Architektur des Star-Büros Graft

Schwanenwerder - das ist tatsächlich der Inbegriff und das Original aller Berliner Inseln. Egal, ob in der Reichshauptstadt oder in der geteilten Stadt, schon Joseph Goebbels und Axel Caesar Springer wussten die Lage zu schätzen. Sie bauten sich palastartige Häuser, als wären sie in den Hamptons.

Zuletzt entstand ein riesiges, ultramodernes Haus, das nun an der Havelküste steht, als wäre es von Malibu hierher gebeamt worden. Lange kursierten Gerüchte, es sei für Angelina Jolie und Brad Pitt errichtet worden - und es wurde ausgerechnet von Graft geplant, den Architekten, die auch Mieter auf Haberkerns Insel sind. Aber auch sie würden das lieber bei einem Gerücht belassen.

Doch die Architektur der "Grafties", wie sie Haberkern nennt, ist stilprägend für die neue Berliner Inselsehnsucht. "Es entstehen hier immer mehr interessante Mikroarchitekturen", so der Markenberater Matthias Dietz, ein Freund und Mieter Haberkerns. Hinter der verspiegelten Datscha der Grafties baute der Architekt Per Pedersen mit Studenten ein visionäres Holzhaus. "Es war in allen Architekturzeitschriften, bevor überhaupt die Baugenehmigung vorlag", flachst Haberkern.

Einraumbungalow auf Stelzen

Er mag die bauliche Abwechslung und fördert sie: Die einen lässt er steinern bauen wie in der Gründerzeit, die anderen dürfen renovierte Zirkuswagen beziehen - nur Gartenzwerge und andere Spießigkeiten sind tabu. Mit den Grafties möchte Haberkern eine schwimmende Sauna bauen. Und er würde gerne mehr Häuser wie den "Loft Cube" auf Valentinswerder sehen.

Der Loft Cube ist ein Einraumbungalow auf Stelzen, den der Designer Werner Aisslinger am versteckten Waldsee in Berlin-Zehlendorf aufgebaut hat. Noch bis Oktober steht der mobile Wohncontainer im Garten der Kunstgalerie "Haus am Waldsee", danach kann er - so sieht es der Erfinder vor - in wenigen Tagen überall wieder aufgestellt werden. Vielleicht findet der loftige Kubus ja ein geeignetes Plätzchen auf Valentinswerder. Er würde ideal dorthin passen - besser als jeder Klotz aus Malibu.

© SZ vom 13.08.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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