Indien: Falsche Pilotenlizenzen:Flug und Trug

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Wer in Indien ein Flugzeug besteigt, kann nicht sicher sein, dass der Pilot wirklich Ahnung von seinem Job hat: Viele Flugkapitäne sollen sich ihre Lizenz erschlichen oder sogar erkauft haben.

Tobias Matern

Vor dem Start war alles noch wie immer. Die Flugbegleiterin hatte den Passagieren die Sicherheitsstandards an Bord erklärt, den Weg zu den Notausgängen gezeigt und die Anschnallgurte überprüft. Aber dann kam diese unerwartete Frage von einem jungen Reisenden: "Was machen wir, wenn der Pilot ein Schwindler ist?" Die indische Flugbegleiterin wusste nicht, was sie ihm erwidern sollte.

Sie hat ihr Erlebnis der Times of India erzählt und dabei eingeräumt, sie habe nur zusammenhanglose Sätze über das Auswahlverfahren für die Männer und Frauen, die im Cockpit sitzen, herausbekommen. Die Zeitung kommt zu einem vernichtenden Urteil: Noch nie habe die aufstrebende Luftfahrtindustrie des Landes eine solche "Vertrauenskrise" durchlebt.

Mehr als ein Dutzend Schwindler entlarvt

Nur bei etwa einem Drittel der 4500 Piloten des Landes sind nach Angaben des Blattes bislang die Fluglizenzen genauer überprüft worden: "Die Wahrscheinlichkeit besteht noch immer, dass Sie in einem Flugzeug saßen und mit einem Piloten geflogen sind, der dafür nicht qualifiziert ist", wandte sich die Zeitung in alarmierendem Ton direkt an die Leserschaft.

Die indische Presse neigt zwar manchmal zu Übertreibungen - aber Fakt ist: Mehr als ein Dutzend indischer Piloten sind in den vergangenen Monaten tatsächlich als Schwindler entlarvt worden - und ein Ende der Affäre ist noch nicht in Sicht. Die Ermittler gehen von weiteren Betrugsfällen aus, die sie aufdecken werden.

Die Vetrauenskrise der indischen Luftfahrt begann mit einer reichlich unorthodoxen Landung auf dem Flughafen des Ferienparadieses Goa. Eine Pilotin der Billig-Airline Indigo hatte dort im Januar eine Maschine mit dem vorderen und nicht, wie üblich, mit dem hinteren Teil zuerst aufgesetzt. Es folgten Ermittlungen, die deutlich machten: Die Frau hatte schon häufig Probleme mit der Fliegerei, aber ihre Fehler waren vertuscht worden. Sie besaß keine gültige Lizenz.

Das blieb kein Einzelfall: Einige Tage später fiel dasselbe Vergehen beim Piloten einer anderen Fluggesellschaft auf. So ging es weiter und weiter. Die Möchtegern-Piloten hatten mit der Zahl der Trainingsflugstunden oder auch mit ihren Testergebnissen getrickst. So ergaunerten oder erkauften sie sich ihre Lizenz. Die enttarnten Kapitäne und Ersten Offiziere haben inzwischen ihr Recht verloren, Maschinen zu fliegen. Mehrere Verdächtige sitzen in Untersuchungshaft, ihnen drohen lange Gefängnisstrafen.

Aber damit enden die unangenehmen Erkenntnisse für indische Fluggäste noch nicht. Luftfahrtminister Vayalar Ravi teilte kürzlich mit, in den Jahren 2009 und 2010 seien 57 Piloten aufgefallen, die angetrunken zum Dienst erschienen waren. Nur in zehn Fällen griffen die Fluggesellschaften durch und entließen ihre Angestellten - die anderen durften nach einer Pause wieder fliegen und kamen mit einer Rüge davon.

Die Serie von Negativ-Nachrichten trifft eine rasant wachsende Branche. Im vergangenen Jahr verzeichneten die indischen Fluggesellschaften etwa 50 Millionen Passagiere. Experten rechnen damit, die Zahl könne sich bis zum Jahr 2020 verdreifachen, wenn der Aufschwung wie prognostiziert anhält. All diese Zahlen sind trotz der noch immer weit verbreiteten Armut in Indien ein Beleg für die stetig wachsende Mittelschicht, die ihre neue Mobilität auskostet.

Wachstum der Airlines zu Lasten der Passagiere

Bislang galt das Fliegen in Indien als weitgehend sicher. Zwar kamen im vergangenen Jahr 158 Menschen beim Absturz einer Air-India-Maschine im Süden des Landes ums Leben. Davor hatte es aber ein Jahrzehnt lang keine größeren Zwischenfälle gegeben. Doch nun kommen Zweifel auf, ob das Wachstum der Fluggesellschaften zu Lasten der Passagiere geht. Piloten, die sich ihre Lizenz illegal sicherten, seien so verwerflich wie Betrüger, die sich als Ärzte ausgeben, sagte der Parlamentarier Baijayant Panda in einer Fernsehtalkshow: "Sie bringen Menschen in Gefahr." Schwarze Schafe gebe es aber nicht nur in der indischen Luftfahrt - "in vielen Berufsfeldern wird getäuscht", erklärte Panda.

Bharat Bhushan, der Chef der zivilen Luftfahrtbehörde DGCA, lässt nun die Lizenzvergabe aller 40 indischen Flugschulen genauer unter die Lupe nehmen. Der Vorfall in Goa und die Folgen seien ein "heftiger Schock" gewesen, sagt er. Aber von einem weit verbreiteten Skandal zu sprechen, hält Bhushan für übertrieben: Die Angelegenheit geht seiner Meinung nach nicht allzu tief und werde bald geklärt sein, "damit alle Beteiligten wieder voller Vertrauen fliegen können".

Allerdings richten sich die Ermittlungen der Polizei auch gegen Mitarbeiter seiner Behörde. Drei Angestellte sitzen derzeit hinter Gittern, weil sie Piloten geholfen haben sollen, mit einer illegalen Lizenz fliegen zu können. Indische Flugbegleiter müssen sich wohl auf weitere Fragen verunsicherter Passagiere einstellen.

© SZ vom 12.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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