In den Katakomben von Palermo:Bella Figura bis zum jüngsten Tag

Schrecklich faszinierend, aber auch ein bisschen unheimlich: In den Katakomben von Palermo sind Mumien aus vier Jahrhunderten ausgestellt.

Helmut Luther

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Antonio Prestigiacomo muss ein schöner Mann gewesen sein. Und er hatte Stil. Mindestens 1,90 Meter groß und von athletischer Figur, pflegte er im eleganten Anzug, das dunkelbraune Haar zurückgekämmt, durch die engen Holpergassen seiner Heimatstadt zu flanieren. Ein Siegertyp, der die Blicke der Frauen auf sich zog. Sonst ist leider nicht allzu viel Gutes über ihn zu berichten. Denn er war ein Filou, unterhielt eine Affäre mit einer verheirateten Frau: und das im erzkatholischen Palermo, wo man mit Ehebrechern stets kurzen Prozess machte! Er wurde schließlich mit Arsen vergiftet, und zwar nicht vom betrogenen Ehemann, sondern von der Geliebten, weil er sich nach ein paar vergnügten Jährchen aus dem Staub machen wollte. Das geschah 1844, in Europa dämmerte das industrielle Zeitalter herauf, und in Palermo, wo Antonio Prestigiacomo lebte, herrschte König FerdinandII. mit eiserner Hand. Tempi passati, könnte man sagen. Foto: iStock

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Aber noch immer lehnt der vergiftete Liebhaber wie ein Dandy an der weiß gekalkten Kellerwand im Kapuzinerkloster hinter der alten Stadtmauer. Er trägt einen schwarzen, rot gepunkteten Schal um den knochigen Hals und blickt die Besucher, seinen Kopf wie zum Gruß lässig vornübergebeugt, aus leeren Augenhöhlen an. Antonio Prestigiacomo ist nicht der Einzige, der im Reich der Mumien in den Kapuzinerkatakomben von Palermo Bella Figura für die Ewigkeit macht. Etwa 8000 Tote wurden hier seit 1599 mumifiziert. Links und rechts der hohen, gewölbten Gänge hängen sie dicht gedrängt an Eisenhaken, oder ruhen in offenen Holzkisten. Nicht alle sind so gut konserviert wie Antonio Prestigiacomo. Foto: apn

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Manche warten mit gefalteten Händen, von Draht einigermaßen in Form gehalten, ergeben auf den Jüngsten Tag. Andere scheinen sich mit ihrem Schicksal noch immer nicht ausgesöhnt zu haben und reißen ihre zahnlosen Münder zu stummer Klage auf. Es sind Tote aus vier Jahrhunderten, und zwar ausnahmslos Angehörige der höheren Stände, die hier dem Lauf der Zeiten trotzen. Nur gegen eine großzügige Spende konnte man einst an diesen besonderen Ort gelangen. Er war sehr begehrt, weil hier das Fleisch nicht verwest. Foto: apn

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Dabei galt Palermo schon immer als eine der ärmsten Städte Italiens. Heute ist die Stadt laut, chaotisch, eine Hochburg der Kriminalität, wo die Staatsgewalt vor den unsichtbaren Mafiabossen offenbar längst kapituliert hat. Zwischen dem pittoresken Hafengelände und den Bergen im Südwesten Palermos liegen Viertel mit klingenden Namen wie "Sacro Cuore" oder "Speranza". Auf alten Stichen präsentiert sich das Gelände mit hübschen Gebäuden inmitten einer bukolischen Landschaft mit antiken Bauwerken, und vom prunkvollen Normannenpalast bekrönt, in dem Stauferkönig Friedrich II. seine Kindheit verbrachte. Nun klettert eine amorphe Betonmasse mit Skeletten unfertiger Brücken und Hochhäuser immer weiter die umliegenden Hügel empor. In Palermo, wo Bombenruinen des Zweiten Weltkriegs und viele Häuser, die das Erdbeben von 1968 zerstört hatte, nie wieder aufgebaut wurden, bröseln ganze Stadtteile vor sich hin. Und doch gibt es in der geschundenen Stadt ein paar stille Flecken, Inseln der Ruhe und des Friedens. Foto: iStock

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Etwa die Kapuzinerkatakomben, die Valentina Guarnotta für "typisch Palermo" hält. Die gelernte Sprachwissenschaftlerin arbeitet in ihrer Heimatstadt als Fremdenführerin, am liebsten begleitet sie Touristen tief hinab in die Eingeweide Palermos. Denn eigentlich, sagt Guarnotta, sei der unterirdische Friedhof wie ein Spiegelbild dieser schillernden, lebensgierigen und immer gewaltbereiten Stadt. "Alle finden die Katakomben hoch faszinierend. Aber sie sind eben auch ein bisschen unheimlich, der Tod lauert hier um die Ecke. Einige Besucher werden anschließend von Albträumen geplagt." Es ist kurz nach drei am Nachmittag. In den unterirdischen Grüften ist es ziemlich kühl und seltsamerweise riecht es überhaupt nicht nach Moder. Durch die schmalen Fensterluken fallen sogar ein paar Lichtstrahlen in die weit verzweigten Gänge, was die in Samt und Seide gehüllten Mumien wenig zu freuen scheint. Von draußen dringt wie aus weiter Ferne der gedämpfte Verkehrslärm herein. Foto: apn

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Angesichts der geballten Übermacht von 8000, zum Teil schwer bewaffneten Leichen stockt jedem Eindringling einen Moment lang das Blut in den Adern. Aber zum Glück nähert sich gerade vom Eingangsbereich her eine lärmende Schulklasse, sodass sich die Schauder gleich wieder verflüchtigen. Der Rundgang führt an einer Gruppe beinahe Skelettierter vorbei, deren gelbbraune Unterschenkelknochen durch zerschlissene Hosenbeine ragen. Wo es den bedauernswerten Gestalten an Fleisch fehlt, haben ihre Verwandten mit Stroh und Lumpen nachgeholfen. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein, erzählt Valentina Guarnotta, sei es Zweck der Mumifizierung gewesen, dass die Zurückgebliebenen ihre geliebten Verstorbenen regelmäßig besuchen konnten. Foto: apn

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Da die Zahl der Toten kontinuierlich zunahm, hat man eigene Gänge für die Priester (im Bild), Lehrer, Ärzte und Rechtsanwälte eingerichtet. Es heißt, der Tod macht alle gleich. Doch hier wurden ihnen ihre Standessymbole - ein Offiziersdegen, reich dekorierte Uniformen, oder Bischofsmützen - vorsorglich mit ins Grab gegeben. Den Jungfrauen hat man eine eigene Kapelle reserviert. Als Überbleibsel einer längst vergangenen Jugend und Schönheit zieren nun Haarbänder und feine Spitzenhauben ihre pergamentenen Schädel. Foto: apn

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Die Natur hat es mit den Kapuzinern von Palermo gut gemeint. Denn obwohl sie von Amts wegen zur Armut verpflichtet sind und ihr Kloster auf einem wertlosen Grundstück außerhalb der Stadtmauer errichtet wurde, erwies sich gerade dieser Standort als wahre Goldgrube. Der poröse Tuffstein, in den die Katakomben gehauen wurden, bewirkt nämlich den natürlichen Vorgang der Mumifizierung. Die Bettelmönche verdienten gut am Geschäft mit den Trockenleichen. Zeitweilig lebten hier bis zu 200 Ordensbrüder. Der Konvent der Kapuziner an der Piazza Cappuccini galt als der reichste und mächtigste in ganz Italien. Foto: picture-alliance

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Heute hingegen halten hier nur noch 15 betagte Patres die Stellung, Junge wollen keine mehr nachrücken. Aber nicht nur die Zukunft der Ordensgemeinschaft ist ungewiss, auch um den Erhalt der Mumien muss man sich Sorgen machen, meint Fabrizio Fernandez. Foto: picture-alliance

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Der junge Palermitaner ist seit einigen Jahren als Hilfskraft mit der Obhut über die Leichen im Keller betraut. Deren Zustand, so Fernandez, sei teilweise erbärmlich: durch die geöffneten Fenster dringe zu viel Staub herein, schwankende Luftfeuchtigkeit und Temperaturen zersetzten die Gebeine und die jahrhundertealten Kleidungsstücke. Man müsste die Mumien dringend restaurieren und in klimatisierten Vitrinen unterbringen. "Wir haben hier alles vorbereitet", sagt der 31-Jährige. "Zwölf Säle und ein chemisches Labor stehen bereit. Aber noch fehlen die Geldmittel seitens der Regionalverwaltung." Foto: apn

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Ob ihm der Aufenthalt unter so vielen Toten nicht manchmal aufs Gemüt drücke? Der temperamentvolle Süditaliener winkt ab. "Wenn man hier viel Zeit verbringt, beginnt man automatisch über den Sinn des Lebens nachzudenken. Man sieht dann vieles entspannter." Und Angst, nein Angst habe er keine vor den Toten. "Viel gefährlicher sind doch die Lebenden", sagt Fabrizio Fernandez und verschwindet eilig im labyrinthischen Gewirr der Gänge. Valentina Guarnotta zeigt in ein Verlies, das sich vom Hauptgang öffnet: "In diesen Zellen, die Colatoi, Abtropfkammern, genannt werden, hingen die Neuzugänge wie frischer Parmaschinken acht Monate ab." So lange dauerte es etwa, bis sich ein Verstorbener in eine haltbare Trockenleiche verwandelt hatte. Erst dann wurde er eingekleidet und im Gang draußen an einen freien Platz gehängt. 8000 Tote, man mag das als Agnostiker sehen oder als gläubiger Christ, sind ein erschütternder Anblick. Der Riesengruft entstiegen, freut man sich sehr über den blauen Himmel und kann auch dem überirdischen Palermo wieder mehr Positives abgewinnen. Foto: apn

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Karte: SZ-Grafik (Helmut Luther, SZ vom 1./2.4.2010/dd)

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