Im "Tal der Bären" in der Schweiz:Bär Nummer 13 lebt - noch

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In Graubünden ist ein Bär namens M13 unterwegs, der schon half, einen Mordfall aufzuklären. Dennoch stellt sich die Frage: Können Mensch und Raubtier koexistieren? Vor allem da M13 dieselbe Charakterschwäche hat wie einst Problembär Bruno.

Marco Maurer

Als der Bär im April dieses Jahres das Unterengadin erreicht hatte, war er zu seinem Unglück nicht allein. Ein Hobbyfilmer stellte ihm nach und ließ sein Video dem Schweizer Boulevardmedium Blick zukommen. Zu sehen war der Bär, wie er in Richtung einer menschlichen Ansiedlung im Tal blickte. Kurz darauf hieß es: "Der Braunbär treibt im Unterengadin sein Unwesen. Er zerstört Bienenhäuschen und jagt deutsche Touristen." Willkommen in Graubünden, M13!

Schweiz Bär M13

Der Bär M13 könnte zum Problem werden: Es zieht ihn zu den Nutztieren der Schweizer.

(Foto: dpa)

Tal der Bären wird das Val S-Charl inzwischen bereits genannt. Seit 2005 ist beinahe jährlich ein Bär auf Durchreise. Begonnen hat es mit JJ2. Damals titelte der Boulevard: "Wir sind wieder Bär."

Geendet hat die Geschichte weniger euphorisch, der Verbleib des ersten Schweizer Bären seit mehr als 100 Jahren ist ungeklärt. Nicht wenige glauben, dass ein rachsüchtiger Schäfer einen Wilderer engagiert hat. Der Kopf des Tiers wird wohl in irgendeiner Stube hängen. Bären verschwinden nicht einfach so.

Seither suchten mindestens sechs weitere Bären das Gebiet zwischen Scuol und S-Charl heim, und alle kamen sie wie auch der 2006 in Deutschland unter dem Namen Bruno bekannte JJ1 aus dem Nationalpark Adamello-Brenta im Trentino. Ende der Neunzigerjahre wurden dort zehn Bären, ursprünglich aus Slowenien, wiederangesiedelt. Mittlerweile leben etwa 40 Tiere in dem Gebiet. Und da junge Bären sich auf Wanderschaft begeben, eine Heimat oder eine Bärin suchen, kommen sie fast immer durch das zwischen dem italienischen Vinschgau und dem Bündner Val Müstair liegende Seitental Val S-Charl.

Auf diesem Weg kollidieren sie unweigerlich mit der Moderne. Mit Autos, Eisenbahnen, Blitzlichtern, sogenannten Bären-Vergrämungs-Eingreiftruppen und ihren Gummigeschossen, dem Journalismus und dem Tourismus und den Erschaffern dieser Dinge selbst: mit den Menschen.

Curdin Florineth, der Wildhüter für diese Gegend, ist mit seinem olivgrünen Jeep unterwegs in Richtung des Tals. Die Clemgia, ein Nebenarm des Inns, schlängelt sich durch die Schlucht, als wolle sie eine Rolle in einem Western ergattern. Geröllpassagen, lichte Nadelwälder, die immer wieder einen Blick auf den Piz Pisoc, einen Dreitausender, freigeben. Auf der linken Seite sind Steinböcke zu sehen, rechts hin und wieder Hirsche. Und mitten über die Straße liefe, wäre er heute hier, M13.

"Die Bären aus dem Trentino spazieren immer hier entlang. Ist doch am gemütlichsten, oder?", fragt Florineth. Dann sagt er, früher habe ein Bär ein Geheimnis des Engadins bleiben können, "heute aber gibt es Youtube". Die Art und Weise einer Sichtung, sagt er, sei maßgebend für den Verlauf eines Bärenlebens: "Ein Film im Internet ist, wie wenn man Benzin ins Feuer kippt." Früher hat man die Tiere mit Gewehren erlegt, heute rückt man ihnen mit Autofokus und Aufmerksamkeit zu Leibe. Viele sagen: Diese Öffentlichkeit führe über kurz oder lang zum Tod der Tiere.

Florineth nennt es "die Bärendynamik". M13 hat so gesehen ohnehin schon lange durchgehalten. Er ist der Popstar unter den Schweizer Bären der vergangenen Jahre. Nicht nur, weil er die Kollision mit einer Lok der Rhätischen Bahn überlebt hat. Er half sogar, einen Mordfall zu lösen: In einer entlegenen Ecke hatte der Bär einen Baum zu Fall gebracht. Der fiel auf eine Stromleitung, weswegen die Feuerwehr ausrückte, die dann eine Leiche entdeckte. Seit einer Stippvisite nach Südtirol heißt M13 dort Kommissar Petz. Zuvor hatte er, wie eine Bündner Zeitung wusste, einen deutschen Lokalpolitiker "verfolgt", was Florineth zum Lachen bringt.

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