Im Hochland von Bolivien:Farbspritzer in der Mondlandschaft

Die Landschaft im Altiplano, dem bolivianischen Hochland, ist steinig und karg und steckt doch voller bunter Wunder: türkise Lagunen, blutrote Seen und grüne Quinoa-Terrassen.

Von Jochen Temsch

Alle paar Monate ist es wieder so weit. Dann kommt der Puma vom Berg herab und holt sich ein Lama. Dann muss Efrain helfen. Der 31-jährige braun gebrannte Hirte und Quinoa-Pflanzer wird von allen Dorfbewohnern nur beim Vornamen genannt, wie ein schützender Engel. Er hat Erfahrung mit den Raubkatzen. Sie haben schon viele seiner Tiere gerissen. Und er besitzt ein altes Gewehr. Efrain passt auf 300 Lamas auf. Das ist eine ganze Menge in Coquesa, einem Nest mit 100 Einwohnern, die in Stein- und Lehmhäusern leben, unter Dächern aus Gras und hinter Türen aus verholzten Kakteenstämmen. Wie ein kleiner Fischerhafen am Meer, so klebt die ärmliche Siedlung auf mehr als 3600 Metern Höhe am Nordufer des Salar de Uyuni im bolivianischen Altiplano.

Bolivien Hochland Altiplano

Kein Tag am Meer, sondern am Salar de Uyuni, dem größten Salzsee der Welt. An seinen Ufern lösen sich die gewohnten Grenzen von Zeit und Raum auf - ein surreales Erlebnis.

(Foto: Jochen Temsch)

Auch die Fahrt hierher ähnelt einer Schiffspassage. Im schlingernden, vollbeladen Jeep geht es über den größten Salzsee der Welt. Seine kristalline, wenige Zentimeter bis mehrere Meter dicke Salzkruste, unter der sich Wasser befindet, ist flach, aber rau wie Schmirgelpapier. 110 Kilometer lang und 140 Kilometer breit ist der Salar, und in der Sonne so gleißend, dass man ihn ohne Sonnenbrille nicht anschauen kann.

Wenn der seltene Regen Wasserlachen bildet, fällt der Himmel in den Spiegel der Erde. Oben und Unten zerfließen. Entfernungen lassen sich nicht mehr einschätzen. Die gewohnten Grenzen von Zeit und Raum, sie lösen sich auf - ein surreales Erlebnis. Die Temperaturen fallen nachts auf bis zu 20 Grad minus. Dann ist es gut, wenn Land in Sicht kommt. Die Salzkruste an den Rändern des Sees ist brüchig. Um ans Ufer zu gelangen, muss der Jeep über holzverstärkte Salzrampen rumpeln, die Bootsstegen ähneln.

Die Tränen der Tunupa

Die Einheimischen nennen den Salzsee Salar de Tunupa, nach dem 5432 Meter hohen Vulkan, der sich hinter Coquesa erhebt und mit seinen Grün- und Rottönen einen starken Kontrast zum alles überstrahlenden Weiß abgibt. Der Kraterrand ist langgezogen und gezackt wie der Rücken eines Drachens. In der Mythologie der Indigenen stellt Tunupa eine schöne junge Frau dar, die von den Göttern versteinert wurde, weil sich zwei Clanchefs um sie stritten. In ihrer Trauer vergoss Tunupa Tränen und Muttermilch - so ist der Salzsee entstanden.

Die Pumas vermehren sich prächtig auf dem Berg. Für Efrain sind sie "die schlausten Tiere, die man sich vorstellen kann". Um sie zu überlisten, zieht er bei Vollmond los, damit er sie besser sieht. Der erste Schuss muss sitzen, sonst flüchten die Pumas oder greifen ihn an. Bis jetzt ist es immer gutgegangen. Aber nicht für die Raubkatzen.

Touristen haben kaum eine Chance, einen Puma in freier Wildbahn zu beobachten. Die Tiere sind menschenscheu. Wobei die Nacht in einem verlassenen, zur temporären Lodge umfunktionierten Bauernhaus auch ohne Katzenkontakt spannend werden kann. Es gibt kein elektrisches Licht, nur Gaslaternen, und Efrains Geschichten vor dem Schlafengehen zu hören, ist Nahrung für die Phantasie. Man liegt im Schlafsack auf einem Feldbett. Zur Toilette muss man mit der Taschenlampe über den zugigen Hof. Und so genau weiß man dann doch nicht, was hier mitten in der Nacht sonst noch um die Hütten schleicht.

Mumien am Wegesrand

Am nächsten Morgen geht es bei Sonnenaufgang los. Die Besteigung des Tunupa dauert zwar nur drei bis vier Stunden, aber bereits am späten Vormittag brennt die Höhensonne zu stark. Nach wenigen Gehminuten - ganz langsam in der dünnen Höhenluft - gelangt man zu einer Höhle, deren Eingang mit einer Stahltür verschlossen ist.

Bolivien Hochland Altiplano

Weite Regionen auf dem Altiplano gleichen einer Mondlandschaft.

(Foto: Jochen Temsch)

Es dauert ein Weilchen, bis sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnen. Dann erkennt man die Mumien. Sieben zusammengekauerte Gestalten, ein Mann, zwei Krieger, zwei Kleinkinder mit ihren Eltern. Tausende Jahre alt, aus der Zeit vor den Inkas, rituell beigesetzt an einer Stelle, die in der Vorstellung der Ureinwohner zwischen den imaginären gespreizten Beinen Tunupas liegt - der Fruchtbarkeit des Landes halber.

Die Leute von Coquesa haben Opfergaben neben die Mumien gelegt: Münzen und Bierflaschen, viel Wertvolleres besitzen sie nicht. Die Farben der Kleider, die um die winzigen, verschrumpelten Körper gewickelt sind, Rot und Blau, kann man immer noch erkennen. Haare und Nägel sind lang. Die Dunkelheit und die trockene Luft haben alles konserviert. Nur der Silberschmuck, den die Mumien einst trugen, wurde längst gestohlen. Ein Wunder, dass die Körper selbst noch nicht verschwunden sind. Grabräuber bedienten sich viele Jahre lang völlig unbehelligt in Bolivien. Teils wurden die Mumien einfach mit der Post nach Europa oder in die USA verschickt.

Anderswo wäre ein Ort wie diese Höhle am Tunupa von Touristenmassen überlaufen. Doch selbst an turbulenten Tagen in der Hochsaison kämen nicht mehr als zehn Besucher hierher, sagt ein alter Mann in einem Wärterhäuschen an der einzigen Straße von Coquesa, bei dem man den Schlüssel zur Höhle bekommt - gegen eine kleine Gebühr.

So ist das im bettelarmen Bolivien, wo es an Infrastruktur und überhaupt an so gut wie allem mangelt. Wo nur Sand-, Schotter- und Salzpisten ans Ziel führen, für die man einen herausragenden Fahrer und gute Nerven braucht. Und viel Zeit, zumindest als Individualreisender, weil man unterwegs teils buchstäblich steckenbleibt.

Touristen bleiben im Salzsee stecken

An einem anderen, sulzigeren Salzsee nördlich des Salar de Uyuni, im Salar de Coipasa, steht ein Reisebus, die Reifen schon bis zur Hälfte eingesunken. Alles Gepäck wurde herausgeräumt, die Fahrgäste schieben an - Touristen aus Deutschland, die nahe der Panik berichten, dass der Fahrer des Busses nur mal eben eine Abkürzung nehmen wollte. Seit acht Stunden würden sie in der prallen Sonne bereits auf Rettung warten, sie hätten kein Wasser mehr, und es wird Nacht. Schließlich hilft ein Trupp Soldaten, der zufällig in der Nähe unterwegs ist und den Bus mit schwerem Gerät herausziehen kann.

Karge Landschaft voller Naturwunder

Rundreisen mit verlässlicher Betreuung und abseits der üblichen Touristenrouten werden zum Beispiel von Chile aus angeboten. Die komplette Verpflegung ist mit an Bord, weil es in den abgelegenen Regionen des Hochlands nichts zu kaufen gibt. Der Grenzübergang ist nahe San Pedro de Atacama an einer Baracke auf 4600 Metern mitten in der Wüste.

SZ Grafik Reise

Rundreisen durch das bolivianische Hochland werden unter anderem von Chile aus angeboten.

(Foto: SZ Grafik)

Ein paar Lamas knabbern an dürren Grasbüscheln, daneben verrottet ein Buswrack, Besatzungen staubiger Jeeps, beladen mit Gepäck, Ersatzreifen und Benzinkanistern, warten auf ihre Abfertigung. Auf den umliegenden, bis zu 6000 Metern hohen Vulkanen mit ihren extremen klimatischen Bedingungen hat die Nasa schon Bakterien und Flechten erforscht, um mehr über die Möglichkeit außerirdischen Lebens zu erfahren. Ab hier wird es abenteuerlich.

Hunderte Kilometer weit erstreckt sich eine karge, steinige, mit teils rauchenden Vulkankegeln gespickte Ur-Landschaft voller Naturwunder: hier eine türkise Lagune, da ein See, blutrot gefärbt von Algen und Mineralien, Heimat von drei verschiedenen Arten Flamingos. Tausende Vögel, die sich nur deshalb vertragen, weil sie in ihren Schnäbeln unterschiedliche Filtersysteme für das Plankton haben und sich gegenseitig nichts wegfressen können. Wenn man sich ihnen nähert, staksen sie vom Ufer weg, ganz langsam und unauffällig, und am Ende steht man plötzlich alleine da.

Es gibt blubbernde Schwefellöcher und Geysire zu bestaunen und seltsam gezackte, vom kalten Wind geföhnte, hauchdünne Schneeformationen im roten Sand.

Auf dem Tunupa sieht es ein bisschen so aus, wie man es sich auf dem Mars vorstellt. Nach einem moderaten Anstieg über grüne, von Steinmauern eingefasste Quinoa-Terrassen geht der Pfad in tiefrotes, kiesartiges Gestein über, das immer feiner wird und immer weniger Halt bietet, je weiter man nach oben kommt. Der Blick auf den Salar de Uyuni - mit den aus ihm herausragenden, kakteenbestandenen Inseln einmal mehr wie ein surrealer Ozean - findet keinen Halt am Horizont.

Steinhaufen weisen den Weg - Apachetas, wie sie bereits die Inkas zur Orientierung und zu rituellen Zwecken nutzten. Daran erinnert auch der chilenische Guide, der die Gruppe anführt. Kommt er an einem Apacheta vorbei, küsst er die Steine oder gießt Wasser auf den Boden, "für Pachamama", sagt er, für Mutter Erde, wie sie überall in den Anden von den Einheimischen als personifizierte Natur verehrt wird. Spätestens am Gipfel des Tunupa weiß man auch als Gast in diesem Land, warum.

Informationen:

Anreise: Von Frankfurt über Santiago de Chile nach Calama, hin und zurück ab ca. 1200 Euro, www.lan.com, www.iberia.com

Reisearrangement: Die chilenische Hotelgruppe Explora bietet Travesias, Rundreisen, durch Bolivien im 11-Tage-Paket an: u.a. fünf Nächte im Hochland mit Fahrer, Guide, Vollverpflegung in hoteleigenen Camps und Lodges, vier Nächte im Explora-Hotel de Larache in San Pedro de Atacama, dem Ausgangspunkt der Tour, ab 5300 Euro pro Person. www.explora.com, buchbar auch über Mavia Soul Travel, www.mavia-reisen.de

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